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Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen
Читать онлайн.Название Nur ein Tropfen Leben
Год выпуска 0
isbn 9783847686248
Автор произведения Christina M. Kerpen
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die Hoteliersfrau kehrt in die Gegenwart zurück und schaut in die erwartungsvollen Gesichter der Cowboys und ein Ziehen in der Brust lässt sie ein gewisses Verlangen nach dem dunkelhaarigen Mann verspüren. Sie räuspert sich. „Nun, Mrs. Carol hat schon am ersten Abend ein kleines Konzert gegeben. Sie hat sich einfach ans Klavier gesetzt und gespielt, ohne Noten und ohne Scheu vor den anderen Gästen. Mein Mann hat sie vom Fleck weg engagiert und seitdem ist sie praktisch Hotelinventar.“ Sie hebt beschwichtigend die Hand, weil John etwas erwidern will. „Langsam, junger Mann, ich komme schon zum Thema, aber eine kleine Einleitung gehört nun mal dazu. – Schon am nächsten Abend kam die Witwe Gwendale und erkundigte sich nach der jungen Pianistin.“
John schnaubt leise und Charlottes Gedanken sind bei dem Gespräch mit der alten Dame, als hätte sie es erst gestern geführt. „Irgendwer hatte Mrs. Gwendale erzählt, dass bei uns im Hotel ein junges Mädchen wohnen würde, das hervorragend Klavierspielen könne und sie wollte mich natürlich ein bisschen ausfragen, als ich ihr sagte, dass sie von nun an jeden Abend bei uns auftreten würde. Nun ja, da ich allerdings auch nichts weiter über die junge Frau wusste und gerade eben feststellen durfte, dass ich bis heute nicht das Geringste über sie weiß, konnte ich ihr nur sagen, was jeder sehen konnte: Eine junge Frau, werdende Mutter und ohne männliche Begleitung. Die alte Lady war damit keineswegs zufrieden, denn sie war schon immer an allen schönen Künsten interessiert. Sie ist eine sehr vornehme Frau und besitzt sehr viel Einfluss hier in der Stadt. Da ich ihr nichts Interessantes über die Zugereiste sagen konnte, mischte sie sich unter die Zuhörer und war begeistert. Mrs. Gwendale liebt Chopin, sie ist seine größte Verehrerin, na und Carol, die interpretiert seine Melodien geradezu meisterhaft. Kein Wunder also, dass die Witwe nahezu hin und weg war. Seitdem kommt sie fast jeden Abend, denn sie kann dem Kind stundenlang zuhören, ohne es müde zu werden. Außerdem glaube ich, dass sie in Carol ein wenig die Tochter sieht, die ihr selber nie vergönnt gewesen ist. Sie hat zwar noch eine Nichte, aber die ist viel zu selten hier.“
„Alles schön und gut“, brummt John, „aber das erklärt noch immer nicht ihre Tätigkeit als Lehrerin. Für mich ist das fast ein wenig Hochstapelei, was Carol da betreibt. Das ist mir regelrecht unheimlich.“
Charlotte lächelt. „Ich bin ja noch nicht fertig, Mister, äh, Blake.“ Sie stutzt kurz, als sie den vertrauten Namen bei dem Fremden benutzt. „Also, nach der gelungenen Vorstellung wollte Mrs. Gwendale das Mädchen natürlich unbedingt kennen lernen. Sie erklärte meinem Mann, dass sie unbedingt mit der Kleinen reden müsse, es umgäbe sie so etwas Geheimnisvolles, aber reizend Anziehendes. Na ja, und so brachte mein Mann Mrs. Carol an den Tisch der Witwe.“
„Aha, und Mrs. Gwendale ist hier die Oberlehrerin und hat sich blenden lassen.”
Charlotte schüttelt den Kopf. „Oh nein, die Witwe Gwendale ist die mit Abstand reichste Frau hier in der Gegend und daher in allen Bereichen überaus einflussreich. Seit ihr Mann verstorben ist, ist sie unglaublich streng und hart geworden, denn leider war die Ehe, wie schon gesagt, kinderlos. Aber Sie können mir glauben, sobald Mrs. Carol auftaucht, schmilzt die alte Dame, wie Butter in der Sonne.“
„Hm“, der Indianer kratzt sich am Kopf. „Das kennen wir, das tun andere Leute auch. Aber ich wollte Sie nicht unterbrechen, bitte entschuldigen Sie, erzählen Sie doch weiter, Ma’am.“
„Nun, da gibt es gar nicht mehr viel zu erzählen. Die Alte ist sehr vornehm und sie ist der strikten Meinung, Französisch sei die Sprache der feinen Leute, also spricht sie viel Französisch. Fast jeder Satz ist mit ein, zwei Worten gespickt. Die meisten Leute hier verstehen natürlich kein Wort, aber trotzdem endet jeder Satz bei ihr mit ‚n’est ce pas’ oder ‚ce ça’. Oh je, ich schwatze und komme letzten Endes doch noch vom Thema ab. – Also, mein Mann hat die beiden miteinander bekannt gemacht und die Witwe reichte dem Mädchen die Hand mit ihrem typischen ‚Bonjour ma chère!’, worauf Mrs. Blake klar und deutlich zur Antwort gab: ‚Bonjour Madame Gwendale, je suis contente de faire votre connaissance’, oder so ähnlich. Ich kann leider kaum ein Wort dieser schönen, aber komplizierten Sprache, aber ihre Schwester scheint darin perfekt zu sein, denn die beiden plauderten in locker, leichtem Tonfall fast zwei Stunden lang, ohne auch nur ein englisches Wort zu gebrauchen. Lange Rede, kurzer Sinn, zwei Tage später hatte Plumquartpinie eine neue Lehrerin für Französisch und Carol gab ihre erste Unterrichtsstunde. Damit hat es angefangen und dann ging es Schlag auf Schlag mit Musik und Handarbeiten weiter.“ Die Frau lächelt entwaffnend. „Carol hat niemals behauptet, dass sie Lehrerin ist, aber sie macht ihre Sache ausgezeichnet. Und ob Sie es nun glauben oder nicht, schon nach einer einzigen Woche liebten alle Einwohner von Plumquartpinie das geheimnisvolle Mädchen mit dem traurigen Gesicht.“
„Während ganz Wyoming Trauer trug!“, knurrt David und leert seine Kaffeetasse.
Mrs. Wolters wirft dem dunkelhaarigen Mann wieder einen verheißungsvollen Blick zu und ihre Finger tasten über den Tisch nach seiner Hand. „Sie gefallen mir, Mr. Widefield. Schade, dass Sie nur ihre Braut im Kopf haben. Wir hatten schon lange keine so gut aussehenden Gäste mehr. Wir zwei könnten eine Menge Spaß miteinander haben.“
David zieht seine Hand bestimmt unter der der Dame weg und erhebt sich. „Mrs. Wolters, vielen Dank für Ihre Gesellschaft, aber Sie möchten sich doch nun sicher etwas ausruhen, da Sie sich die ganze Nacht um die Ohren schlagen mussten. Ich möchte mich ein wenig in der Gegend umsehen, wenn ich schon nicht zu Miss Blake darf.“ Er betont das ‚Miss‘ ganz besonders und wendet sich an John, der sich nun ebenfalls hastig erhoben hat. „Kommst Du mit, Blacky?“
„Klar, Boss!“, und als sie außer Hörweite sind, flüstert er: „Mann, die ist ja schlimmer, als eine neunarmige Krake. Du wolltest mich ich doch wohl nicht mir ihr alleine lassen. Da ist ein armer, unschuldiger Mann ja glatt von Vergewaltigung bedroht. Die hätte mich glatt als Nachspeise vernascht.“
„Ach komm, so übel ist die Frau doch gar nicht, mein Freund. Mir ist sie allerdings zu alt", lacht David und sofort bekommt er Johns Ellbogen zwischen die Rippen. „Klar, Du treibst es nur mit kleinen, unschuldigen Mädchen.“
Trocken erwidert der Indian sofort: „Unschuldig sind die nur beim ersten Mal, dann nicht mehr!“
Johns Lachen weicht einem nachdenklich ernsten Ausdruck. „Tja, Mädchen. Ich fürchte nur, unser kleines Mädchen ist keins mehr. Sie wirkte gestern auf der Bühne wie eine Fremde auf mich. Völlig erwachsen. Eine erwachsene, reife Frau ohne die geringsten kindlichen Züge.“
Auch Davids Blick ist nachdenklich geworden. „Ja, sie ist viel reifer geworden. Wahrscheinlich haben die Umstände sie dazu gezwungen. Immerhin hat sie ein Baby ausgetragen. Alleine diese Tatsache genügt sicherlich, um aus einem Kind einen Erwachsenen zu machen. Ist Dir aufgefallen, wie sehr sich ihr Körper verändert hat?“
„Ja klar, sie ist dicker geworden. Aber das soll ja wohl so sein.“
„Nein, das alleine ist es nicht. Ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ihre Haltung, ihre Bewegungen, alles ist irgendwie anders. Sie hat zwar ein stattlichen Bäuchlein bekommen, aber trotzdem sind ihre Bewegungen immer noch weich und fließend, nicht so plump, wie man es normalerweise von einer Hochschwangeren kennt, aber dennoch anders wie früher, irgendwie gelassener und, ja, einfach reifer.“ David seufzt und sein Blick verdunkelt sich. „Wahrscheinlich ist von dem Bauch schon nicht mehr viel vorhanden. Wenn das Baby weg ist, geht im Laufe der nächsten Wochen sicher auch der Bauch zurück. Aber hast Du ihre Brust gesehen? Wahnsinn gegen früher, wo kaum etwas vorhanden war. Meine kleine Carol ist begehrenswerter denn je.“
John brummt heiser: „Wo Du aber auch hinguckst. Carol ist meine Schwester, so was darf mir doch gar nicht auffallen.“ Er macht eine kleine Pause, dann murmelt er: „Ihre Hemden bekommt sie bestimmt nicht mehr zugeknöpft.“
„Nun, vielleicht ist mit der äußerlichen Reife auch die innere Einsicht