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sich der Reiseleiter dem Rödnbacher Debattierklub und mahnte zum Aufbruch.

      „So meine Lieben, beeilen sie sich bitte, wir treffen uns in zehn Minuten am Ausgang. Wir wollen doch heute noch die Pyramiden von Gizeh besichtigen und davor noch einen kleinen Imbiss zu uns nehmen. Yallah, yallah!“

      So viel hatten die Reisenden in den wenigen Stunden seit ihrer Ankunft schon von ihrem Guide gelernt. Yallah bedeutete so viel wie „Auf geht’s, tempo, hopp hopp“ oder bei Bedarf auch „schau, dassd die schleichsd“. Dass Ägypten ein Land im Aufbruch sei, das hatten sie schon gelesen, dass man das aber so wörtlich nehmen musste, das war ihnen neu.

      Kurz darauf setzte sich der Komfortbus in Richtung Süden über die Nile Corniche nach Gizeh in Bewegung.

      Verkehrsregeln scheint es in Kairo nicht zu geben. Noch wichtiger als ein funktionierender Motor scheinen hier Hupe und Bremse zu sein. Man hat den Eindruck die Fahrzeuge gehen gleich kämpfenden Stieren auf einander los, bis der Fahrer mit den schlechteren Nerven im letzten Moment klein bei gibt und abbremst. Roten Ampeln kommt offenbar allenfalls die Rolle einer bunten Straßenbeleuchtung zu. Auch die Touristenbusse beteiligen sich, wenn auch etwas moderater als andere Fahrzeuge, an diesem Nerven aufreibenden Spiel.

      So erschien es beinahe wie ein Wunder, dass der Bus schließlich frei von Zusammenstößen über die Giza Bridge in die King Faisal Street einbiegen konnte und wenig später wohlbehalten auf dem Plateau von Gizeh ankam. Was für ein Menschenauflauf, was für ein Spektakel! Zig Busse parkten zu Füßen der Pyramiden, Kameltreiber versuchten für horrende Summen ihre geschundenen Reittiere an unbedarfte Touristen zu vermieten, um sie die letzten hundert Meter zu den Resten des mächtigsten Weltwunders der antiken Welt zu tragen. Trotz der eingehenden Instruktionen der Reiseleiter bezüglich des angemessenen Bakshishs schafften es die Besitzer der Reittiere immer wieder, nicht selten unter üblen Beschimpfungen und Drohungen, den normalen Verdienst eines ganzen Tages aus einem einzelnen, unbedarften Touristen, herauszuschlagen. Da gab es schon mal einen heimlichen Klaps mit der Gerte, um das Kamel zu einer antrainierten, aber trotzdem Angst einflößenden Pirouette zu bewegen. Und in mehr als zwei Metern Höhe erübrigt sich für jeden ungeübten Reiter die Frage nach dem, was ihm wichtiger ist: Geld oder Leben.

      Die Pyramiden selbst machten einen nachhaltigen Eindruck auf die Besucher. Die beiden Lehrerinnen, Minerva und ihre vermutliche Schwester - das würde sich sicher noch zeigen - blätterten in ihren voluminösen Reiseführern und versorgten die Umstehenden mit beeindruckenden Zahlen.

      „Hoffndlich müss mer nedd aa nu an Aufsatz drüber schreiben“, raunte Marga heimlich ihren Gemahl zu. Es schien, als hätte sie tatsächlich Angst, von einer der beiden beim Schwätzen ertappt, vor die Klasse zitiert und mit reichlich Strafarbeit bedacht zu werden.

      Die Freunde standen staunend vor den drei riesigen Steinansammlungen. Von weitem sahen die Pyramiden immer so glatt poliert und ebenmäßig aus. Aus der Nähe konnte man sehen, dass sie im heutigen Zustand eher stufenförmig aus gewaltigen Quadern zusammengesetzt waren. In der Blütezeit des alten Reiches, also zu Zeiten der Pyramidenbauer Cheops, Chephren und Mykerinos, waren die Bauwerke tatsächlich mit polierten Abschlusssteinen verkleidet und absolut glatt. Der Lärmpegel auf diesem Platz war beachtlich und dem majestätischen Anblick des Bauwerks keineswegs angemessen. Ehrfurchtsvolle Stille wäre eher angebracht gewesen, Ehrfurcht und Staunen vor den Leistungen der Vorfahren, die wir moderne Menschen in unserer Überheblichkeit so gerne als primitiv und unterentwickelt ansehen.

      Der Lärm war ohrenbetäubend. So fiel es überhaupt nicht auf, dass sich etwas abseits der großen Gruppe zwei der Reisenden offenbar in einem heftigen Streitgespräch befanden. Der eine war zweifellos der flotte Herr, der Peter schon in Frankfurt aufgefallen war und den seine Marga aufgrund seines glatten Auftretens als „den Gebrauchtwagenhändler“ bezeichnet hatte. Der andere war wesentlich jünger, etwas kleiner, aber fülliger. Er schien seinem Gegenüber ernsthafte Vorwürfe zu machen, die dieser mit einer wegwerfenden Handbewegung kommentierte.

      Peter konnte gerade noch einen kurzen Gesprächsfetzen auffangen, bevor die beiden Männer voneinander abließen und sich in unterschiedliche Richtungen entfernten.

      „Hosd des gseeng, die erschdn schdreidn scho“, machte Peter seine Marga auf die beiden Streithähne aufmerksam.

      „.. kümmern sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten, hodd der Gebrauchtwagenhändler zu dem andern gsachd.“

      „Wahrscheinlich is er also dadsächlich a undurchsichdiger Gebrauchtwagenhändler und der andere anner, den er gscheid bschissn hodd“, war Margas fachkundige Einschätzung.

      Auch Lothar und Iwan standen schon wieder beisammen und fuchtelten mit den Händen in der Luft herum. Wer die beiden nicht kannte, konnte glauben, sie befänden sich in einer ernsthaften Auseinandersetzung. Die Besichtigungstour im Museum hatte Lothar zu einer weiteren, wenn auch zu kurzen Verschnaufpause verholfen, danach aber schien die Konversation erneut nicht nach Lothars Wunsch verlaufen zu sein, denn er jammerte dem Freund erneut die Ohren voll.

      „Mensch Iwan, warum hosdn du mich bloß in aso a blöde Lage brachd? Ich sitz noch nedd amal a ganze Stund neber meiner Zwangsbekanndschafd und scho wass die mehrer über mich als ich selber wass. Hoffndlich is bloß neugierich, abber ich hobb den Verdachd, dee suchd a Opfer fürs Lebn. Etz hodds mich scho zweimal gfrachd, woss mei Gschäfd so im Monad abwerfd. Dess is doch im höchdn Grad verdächdich.“

      „Unsinn, Lothar, die Dame will sich doch nur gut unterhalten. Du wirst sehen, ihr werdet euch bald bestens vertragen. Und wenns dir zuviel wird, dann stellt dich doch einfach schlafend oder sag, du hast Kopfweh. Das sagen die Frauen doch auch immer, wenn sie ihre Ruhe wollen. Das versteht sie dann schon“, versuchte Iwan den Lothar zu beruhigen, was nur teilweise gelang.

      Weiter kamen die beiden nicht und der kleine Disput war auch bald vergessen, zum einen, weil die Ehepaare Kleinlein und Bräunlein eben auf die beiden zu kamen und zum anderen, weil eine harmlose Meinungsverschiedenheit innerhalb einer Reisegruppe so unvermeidlich war wie Kloß und Soß‘ zum Schäuferla.

      Inzwischen waren zwei jüngere kräftige Männer dabei, die unteren Schichten der Cheopspyramide zu erklettern. Bei dem einen handelte es sich ganz sicher um den Fotografen, wir Marga ihn später wegen seiner Leidenschaft für die anspruchsvolle Fotografie und seine stets aufnahmebereite Profikamera taufen würde. Der andere, wohl etwa im gleichen Alter, aber sehr viel austrainierter wirkend, war bisher noch nicht besonders aufgefallen. Er hatte sich stets im Hintergrund gehalten und keine Gespräche mit Mitreisenden gesucht. Auch er war mit einer teueren Kamera mit Wechselobjektiv ausgerüstet. Die rechteckigen und tonnenschweren Quader forderten den beiden Männern eine gewisse Sportlichkeit ab. Der Kräftigere war bereits eine Stufe voraus, als aus der Gesäßtasche seiner khakifarbenen Jeans etwas herausfiel, das von weitem wie eine Brieftasche oder ein großer Geldbeutel aussah. Kleingeld und einige Karten lagen auf dem heißen Steinboden. Der nachfolgende Mann, der Fotograf, rief ihm etwas zu, worauf sich der andere umdrehte. Der Fotograf sammelte die Karten auf und hielt sie dem Besitzer zusammen mit dem Geldbeutel hin. Dabei war es unvermeidlich, dass er eine Visitenkarte mit dem Bild seines Begleiters sah und der Aufschrift: Robert Wohlleben, Privatdetektiv, Ermittlungen aller Art.

      „Das ist ja interessant. Verzeihen sie, ich bin sonst nicht so neugierig, aber dass sie ein Detektiv sind, das erscheint mir wie ein Wink des Schicksals zu sein.“

      Danach waren beide für mehrere Minuten in ein angeregtes Gespräch verwickelt an dessen Ende sich beide wie um ein Geschäft zu besiegeln die Hände schüttelten.

       .

      Noch während der Bus sich seinen Weg zurück durch den stockenden Verkehr nach Kairo bahnte, brach von einer auf die andere Minute die Dämmerung über die Stadt herein. In südlichen Ländern ist es aufgrund der stärkeren Erdkrümmung unvermeidlich, dass die Zeit zwischen Tag und Nacht kürzer ist als in den heimischen Breiten. Wie schnell der Übergang in Kairo von Statten ging, war aber doch sehr verblüffend.

      Machte die Stadt im hellen Sonnenlicht doch einen sehr schmutzigen, von Staub und Sandpartikeln vollständig überzogenen Eindruck, so wurden in der Dunkelheit diese Aspekte völlig in den Hintergrund

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