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Kind.« Ihre Finger glitten spielend durch Scarletts schwarzes Haar. »Vielleicht täte es uns allen besser, wenn wir hin und wieder ausgingen. Ist es nicht eigentlich sehr selbstsüchtig von uns, wenn wir uns so mit unserem Kummer einschließen? In Kriegszeiten ist das etwas anders als sonst. Wenn ich an all die Soldaten in der Stadt denke, die fern von zu Hause sind und keine Freunde haben, die sie abends besuchen können ... und an die im Lazarett, die gesund genug sind, aufzustehen, und doch nicht gesund genug, an die Front zurückzukehren ... ja, wir sind selbstsüchtig gewesen! Wir sollten auf der Stelle, wie jeder andere, drei Genesende ins Haus nehmen und jeden Sonntag ein paar Soldaten zu Tisch haben. So, Scarlett, nun mach dir keine Gedanken mehr. Wenn die Leute dich verstehen, reden sie auch nicht. Wir alle wissen, wie lieb du Charlie gehabt hast.«

      Scarlett machte sich durchaus keine Gedanken mehr darüber, ab er Melanies weiche Hände in ihrem Haar waren ihr unangenehm. Es reizte sie, mit einem Ruck den Kopf wegzuziehen und »dummes Zeug!« zu sagen, denn die Erinnerung daran, wie Landwehr, Landsturm und all die Frontsoldaten aus dem Lazarett sich um Tänze mit ihr gerissen hatten, erwärmte sie noch immer. Von allen Menschen wünschte sie sich Melly am wenigsten zur Verteidigerin. Sie wollte schon für sich selbst aufkommen, danke schön, und wenn die alten Drachen fauchen wollten nun, sie konnte auch ohne sie auskommen. Für sie gab es viel zuviel nette 0ffiziere auf der Welt, als daß sie sich über alte Weiber und ihr Gerede den Kopf zerbrechen müßte.

      Bei Melanies beruhigenden Worten tupfte sich Pittypat die Augen. Da kamPrissy mit einem dicken Brief herein.

      »Für Sie, Miß Melly. Ein kleiner farbiger Junge wird ihn bringen.«

      »Für mich?« Melly konnte sich nicht denken, woher er kam, und öffnete den Umschlag.

      Scarlett beschäftigte sich gerade mit ihren Waffeln und bemerkte nichts weiter, bis sie Melly in Tränen ausbrechen hörte und, als sie aufblickte, Tante Pittypat sich nach dem Herzen greifen sah.

      »Ashley ist tot!« kreischte Pittypat, warf den Kopf zurück und ließ beide Armeschlaff heruntersinken.

      »Mein Gott!« Scarletts Blut erstarrte.

      »Nein! Nein!« rief Melanie. »Rasch das Riechsalz, Scarlett! Nun komm, Tante, fühlst du dich besser? Tief atmen! Nein, es ist nicht Ashley. Es tut mir leid, daß ich euch einen Schrecken eingejagt habe. Ich weinte vor lauter Freude.« Und auf einmal öffnete sie die Faust und drückte etwas, was darin steckte, an die Lippen. »Ich bin so glücklich!« Und wieder brach sie in Tränen aus.

      Scarlett sah, daß es ein breiter, goldener Ring war.

      »Lies.« Melly wies auf den Brief, der am Boden lag. »Ach, wie lieb und gut von ihm!«

      Scarlett wußte nicht, was sie davon denken sollte, sie hob das Blatt auf und las die breiten kühnen Schriftzüge: »Mögen die Konföderierten auch das Blut ihrer Männer brauchen, das Herzblut ihrer Frauen verlangen sie noch nicht. Nehmen Sie, liebe gnädige Frau, dieses Zeichen meiner Verehrung für Ihre Tapferkeit entgegen, und meinen Sie nicht, Ihr 0pfer sei umsonst gebracht. Dieser Ring ist für das Zehnfache seines Wertes eingelöst worden. Kapitän Rhett Butler.«

      Melanie steckte sich den Ring an den Finger und betrachtete ihn liebevoll.

      »Habe ich nicht gesagt, daß er ein Gentleman ist?« wandte sie sich an Pittypat und lächelte glücklich durch die Tränen auf ihren Wangen. »Nur ein feinfühliger, verständnisvoller Gentleman konnte sich vorstellen, wie es mir das Herz brach! Ich schicke statt dessen meine goldene Kette. Tante Pittypat, du mußt ihm eine Zeile schreiben und ihn Sonntag zum Mittagessen einladen, damit ich ihm danken kann.«

      Keiner der beiden andern war es in ihrer Erregung aufgefallen, daß Kapitän Butler nicht auch Scarletts Ring zurückgeschickt hatte. Sie aber merkte es und ärgerte sich darüber. Sie wußte, daß Kapitän Butler nicht aus Feingefühl so ritterlich gehandelt hatte. Er wollte gern in Pittypats Haus eingeladen werden und hatte das sicherste Mittel dazu herausgefunden.

      »Es hat mich tief bekümmert, zu hören, wie Du Dich kürzlich aufgeführt hast«, lautete Ellens Brief, und Scarlett, die ihn bei Tisch las, machte ein finsteres Gesicht. Schlechte Nachrichten reisen schnell. Sie hatte in Charleston und Savannah oft sagen hören, daß die Leute von Atlanta ärger klatschten als irgend jemand sonst im Süden, und nun glaubte sie es. Erst vorige Woche hatte das Fest stattgefunden. Wer von den alten Drachen mochte es wohl auf sich genommen haben, Ellen zu benachrichtigen? Einen Augenblick hatte sie Tante Pittypat im Verdacht, ließ den Gedanken aber sofort fallen. Die arme Tante hatte Qualen der Angst ausgestanden, Scarletts dreistes Betragen könnte ihr zur Last gelegt werden. Es mußte wohl Mrs. Merriwether gewesen sein.

      »Es fällt mir schwer zu glauben, daß Du Dich und Deine Erziehung so völlig vergessen hast. Von der Ungeschicklichkeit, in Trauer öffentlich zu erscheinen, will ich nicht reden. Ich begreife, wie es Dir am Herzen gelegen hat, etwas für das Lazarett zu tun. Aber tanzen und das mit einem Mann wie Kapitän Butler? Ich habe viel von ihm gehört, wer hätte das nicht, und Pauline schrieb mir, er würde in Charleston nicht einmal von seiner eigenen Familie mehr empfangen, außer von seiner untröstlichen Mutter. Er ist ein durch und durch schlechter Charakter, der Deine Jugend und Deine Unschuld benutzt, um Dich zu kompromittieren, um Dir und Deiner Familie Schmach anzutun. Wie konnte Miß Pittypat ihre Pflicht gegen Dich so vernachlässigen?«

      Scarlett blickte über den Tisch zu ihrer Tante hinüber. Die alte Dame hatte Ellens Handschrift erkannt und spitzte erschrocken ihr Mündchen wie ein kleines Kind, das vor Schelte bange ist und sie durch Tränen abwenden möchte.

      »Es geht mir sehr nahe, daß Du Deine Erziehung so vergessen konntest. Ich ging schon mit dem Gedanken um, Dich sofort nach Hause zurückzurufen, stelle aber das lieber Deinem Vater anheim. Freitag kommt er nach Atlanta, um mit Kapitän Butler zu sprechen und Dich nach Hause zu bringen. Ich fürchte, trotz meiner Bitten wird er sehr streng sein. Ich hoffe und bete, nur Deine jugendliche Unerfahrenheit möge die Ursache zu so keckemBenehmen gewesen sein.«

      Es ging noch lange in demselben Ton weiter, aber Scarlett las den Brief nicht zu Ende. Dieses Mal war sie wirklich zu Tode erschrocken. Dies ließ sich nicht einfach trotzig abschütteln. Sie fühlte sich so klein und schuldbewußt wie mit zehn Jahren, wenn sie Suellen über den Tisch einen Zwieback ins Gesicht geworfen hatte, und nun wollte ihr Vater gar in die Stadt kommen, um mit Kapitän Butler zu sprechen! Der Ernst der Sache ging ihr immer deutlicher auf. Dieses Mal, wußte sie, konnte sie sich der Strafe nicht dadurch entziehen, daß sie sich schmeichelnd auf Geralds Knie setzte.

      »Es sind doch keine schlechten Nachrichten?« stammelte Pittypat .

      »Pa kommt morgen und will mich tüchtig abkanzeln«, antwortete Scarlett kläglich.

      »Prissy, mein Riechsalz!« wimmerte Pittypat und schob den Stuhl zurück. »Mir wird schlecht!«

      »Das haben Sie in der Rocktasche«, sagte Prissy. Sie ahnte das Drama und genoß es. Master Gerald war immer so schön aufgeregt, wenn er böse wurde, und das liebte sie sehr, vorausgesetzt, daß ihr wolliger Kopf nicht gerade das 0pfer war. Pittypat suchte in ihrem Rock und hielt sich das Fläschchen an die Nase.

      »Ihr müßt mir beistehen und dürft mich keinen Augenblick allein lassen«, sagte Scarlett. »Er hat euch beide gern, und wenn ihr dabei seid ...«

      »Ich kann nicht«, sagte Pittypat matt und erhob sich mühsam. »Ich ... ich fühle mich krank ... ich muß mich hinlegen, den ganzen Tag muß ich mich morgen hinlegen. Ihr müßt mich bei ihm entschuldigen.«

      »Feigling!« dachte Scarlett und funkelte sie voll Verachtung an. Melly nahm alle Kraft zusammen, obwohl sie bei dem Gedanken an den feuerspeienden Mr. 0'Hara ganz blaß vor Schreck wurde.

      »Ich helfe dir, ihm klarzumachen, daß du es um des Lazaretts willen getan hast. Das muß er doch begreifen.«

      »Nein, das tut er nicht. Ach, ich sterbe, wenn ich nach Tara zurück muß, wie Mutter mir droht!«

      »Ach Gott, du kannst doch nicht nach Hause«, sagte Pittypat unter Tränen.

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