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zur Zeugung von Kindern durchgeführt werden durfte, wodurch er für viele, sehr viele Generationen ein moralisches Elend verursachte, indem er nun den Geschlechtsakt, der ohne einen Zeugungswunsch durchgeführt wurde, aufs schärfste verurteilte und Ehemänner als schändliche Liebhaber, Ehefrauen als Huren, Hochzeitsbetten als Bordelle und Schwiegerväter als Zuhälter bezeichnete.

      Es ist nun sehr fatal, dass Augustinus von Schuld spricht, falls der Geschlechtsverkehr nicht zum Zwecke der Zeugung durchgeführt wird, aber da ihm wahrscheinlich, nicht zuletzt wegen seiner eigenen Vergangenheit, bewusst ist, dass sich der Geschlechtsverkehr in einer Ehe wohl kaum auf so wenige Male reduzieren lässt, führt er nun eine wahre Hirnakrobatik durch, um es für die Eheleute nicht zu schwer zu machen. Die geschlechtliche Lust ist für ihn zwar nicht schuldfrei, aber sie ist verzeihlich, es handelt sich um eine lässliche Sünde, während derjenige, der nur auf Verlangen, aber ohne Lust sich dem Geschlechtsverkehr hingibt, vollkommen schuldfrei ist. Hierzu schreibt Augustinus: ‚Die Pflicht leisten zieht keine Schuld nach sich, aber die Pflicht über die Notwendigkeit der Zeugung hinaus fordern ist lässliche Sünde‘.

      Dass Augustinus bei dem schuldfreien, ohne Lust und auf Verlangen durchgeführten Geschlechtsverkehr wohl ausschließlich an die Frau denkt, zeigt sich daran, dass er von der Pflicht zum Geschlechtsverkehr spricht, damit der Mann nicht eine noch größere Sünde begeht: ‚Man ist verpflichtet, der Schwäche des Mannes, der sonst sich verirren würde, als Asyl zu dienen‘. Deutlicher kann man es ja wohl nicht mehr ausdrücken, dass Augustinus die Frau zum Gebrauchsgegenstand zum Zwecke der Zeugung und zum Genussmittel degradiert.

      Nun möchte ich noch ein letztes Problem ansprechen, mit dem Augustinus die Menschen, insbesondere die Frauen, bis in die heutige Zeit schwer belastet hat, ich spreche vom ‚Problem‘ der Empfängnisverhütung. Da die Kirche bis zum heutigen Zeitpunkt der Meinung ist, dass der Geschlechtsverkehr ausschließlich zum Zwecke der Zeugung von Kindern durchgeführt werden darf, lehnt sie natürlich auch jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung ab. Andererseits hat die Kirche sich damit endgültig von der Realität dieser Welt verabschiedet, sodass viele Frauen sich entweder über dieses Dogma einfach hinwegsetzen oder sogar aus der Kirche austreten.

      Meine Damen und Herren, ich glaube, dass ich sehr deutlich gezeigt habe, dass Augustinus ein neurotischer Heuchler ist, der sein Leben über viele Jahre hinweg mit Fressen, Saufen und Huren genossen hat und dann schließlich zu der Überzeugung kam, dass er seiner Mama das nicht mehr länger antun kann. Nachdem er mit all den Frauen stellvertretend für seine Mama geschlafen hatte, unterwarf er sich anschließend verbrämt durch ein sogenanntes Bekehrungserlebnis dem religiösen Wahn seiner Mama.

      Dass Augustinus bis zum heutigen Tage als großer Kirchenlehrer verehrt wird und seine Lehren nach wie vor weitgehend in der kirchlichen Dogmatik Bestand haben, zeigt nur allzu deutlich, dass die Kirche mit Liebe zum Menschen nichts zu tun haben möchte; es geht ihr vielmehr darum, den Machtapparat der in Frauenkleidern herumlaufenden alten Männer zu erhalten, indem sie durch ihre Sündenlehre die bedingungslose Unterwerfung der Menschen fordert und indem sie beharrlich die Frau als minderwertiges Wesen betrachtet und sie von allen kirchlichen Ämtern ausschließt.“

      Die Zuhörer sprangen auf und machten ihrer Empörung durch laute Buhrufe Luft. Der Nuntius ging ans Rednerpult, erklärte die Veranstaltung für aufgelöst und verließ gemeinsam mit Augustinus die Aula der Theologischen Fakultät. Der Fahrer des Nuntius brachte beide zur Spiegelslust, wo sie sich beim Abendessen des Panoramablicks über die Stadt Marburg und das Marburger Schloss erfreuten.

      „Mein lieber Augustinus, es tut mir Leid, dass Sie den unglaublichen Beleidigungen und Irrlehren dieses Weibes ausgesetzt waren. Es ist mir vollkommen unverständlich, wie sie jemals zur Professorin ernannt werden konnte. Ich werde gleich morgen mit dem Heiligen Vater und der Glaubenskongregation sprechen und wir werden dafür sorgen, dass dieses Weib seine Irrlehren nicht weiter verbreiten kann und dass diese Frau möglicherweise sogar exkommuniziert wird.“

      Schopenhauer

      Am nächsten Tag fuhr Karl mit dem Zug nach Frankfurt am Main, wo er seinen Freund Arthur besuchen wollte, der eine wunderschöne Wohnung direkt am Mainufer gegenüber der Maininsel hatte. Sie hatten sich viele Jahre nicht gesehen und Karl verspürte das dringende Bedürfnis, mit ihm über dessen zweite Betrachtung ‚Bei erreichter Selbsterkenntnis Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben‘ zu diskutieren. Karl liebte es, mit Arthur und dessen Pudel stundenlang am Main spazieren zu gehen und zu philosophieren.

      Sie waren seit vielen Jahren miteinander befreundet, obwohl ihre Weltanschauungen vollkommen unterschiedlich waren; während Karl der Meinung war, dass die Philosophen die Welt immer nur unterschiedlich interpretiert hätten, es aber darauf ankäme, die Welt zu verändern, war Arthur ein Philosoph durch und durch, der eben genau der Meinung war, dass die Philosophie immer nur theoretisch sein könne: ‚Die Philosophie kann nirgends mehr thun, als das Vorhandene deuten und erklären, das Wesen der Welt‘. Karl will also eine neue Welt schaffen, während Arthur die Welt nur verstehen will.

      Im Gegensatz zu Karl, der ja sieben Kinder gezeugt hatte, von denen jedoch leider nur drei überlebt hatten, war Arthur ein Einzelgänger, der die Ehe sogar verabscheute, denn er war der Meinung, ‚Heiraten heißt das Mögliche thun, einander zum Ekel zu werden‘. Auch seine grundsätzlichen Anschauungen über die Frau zeugen nicht gerade von einer positiven Einstellung, wenn er die Frau als ‚sexus sequior‘ bezeichnete, die ‚bloße Aefferei, zum Behuf ihrer Gefallsucht‘ ausübe, selbst die Liebe beruhte seiner Meinung nach ausschließlich auf dem Geschlechtstrieb. Arthur liebte seinen Pudel mehr als die Menschen, genauer gesagt, das Wesen seines Pudels, denn wenn sein Hund starb, war er nicht besonders traurig, sondern er kaufte sich einen neuen Hund und war überzeugt, dass das Wesen seines Pudels ewig existiere. Wenn sein Hund gelegentlich nicht gehorchte und weglief, dann beschimpfte Arthur ihn mit den Worten ‚Du Mensch!‘.

      Einig waren sich Karl und Arthur eigentlich nur in der Überzeugung, dass es nichts Übersinnliches gebe, also Begriffe wie ‚das Absolute‘, ‚das Unendliche‘, ‚der Urgrund‘ lehnte er vollkommen ab und bezeichnete dies als ‚Gefasel‘ und als ‚Wolkenkuckucksheim‘. Nach seiner Überzeugung gab es in dieser Welt weder ein ‚Woher‘, noch ‚Wohin‘, noch ‚Warum‘, sondern ausschließlich ein ‚Was‘, das nach dem ewig gleichen Wesen der Welt fragte und dieses ewig gleiche Wesen war für ihn der ‚Wille‘ oder auch der ‚Wille zum Leben‘, was für ihn absolut identisch war, und die sichtbare Welt war für ihn nur ein ‚Spiegel des Willens‘, sodass auch das Individuum nur eine vorübergehende Erscheinung des Willens zum Leben ist: Es kommt aus dem Nichts und kehrt durch den Tod in das Nichts zurück, ohne dass sich dadurch an dem Willen zum Leben irgendetwas ändern würde. Raum, Zeit und Kausalität sind lediglich die Bedingungen unter denen der Wille zum Leben sichtbar wird, ohne dass Geburt und Tod, also diese Individuation des Willens zum Leben in irgendeiner Form den Willen selbst berühren würde, da es der Natur vollkommen egal ist, ob ein Individuum stirbt oder nicht.

      Karl fuhr mit dem Intercity bis zum Frankfurter Hauptbahnhof, wo er in den Regional-Express zum Ostbahnhof umstieg und von dort nahm er ein Taxi in die Schöne Aussicht, wo Arthur wohnte. Nachdem er mehrmals vergeblich bei Arthur geklingelt hatte, sah er ein, dass es wohl doch besser gewesen wäre, seinen Besuch anzukündigen. Doch da es noch früh am Nachmittag war und die Sonne vom Himmel strahlte, schlenderte er über die Alte Brücke hinüber zum Portikus, der Ausstellungshalle der Frankfurter Städelschule auf der Maininsel; er hatte gehört, dass dort eine kanadische Künstlerin namens Hajra Waheed eine beeindruckende Klanginstallation eingerichtet hatte.

      Schon beim Betreten des Portikus wurde klar, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Ausstellung handelte, denn Karl wurde gebeten, seine Schuhe auszuziehen; der unmittelbare Kontakt zu dem weichen Teppich, verbunden mit den wunderschönen mysteriösen Klängen, versetzte ihn sofort in eine andere, eine sakrale Welt. Aus den von der Decke hängenden Lautsprechern ertönten die Stimmen von Frauen und Männern, die die einzelnen Melodien summten, doch obwohl auf diese Weise eine himmlische Atmosphäre geschaffen wurde und Karl sich deren Schönheit nicht entziehen konnte, war sehr schnell klar, dass es hier durchaus um gesellschaftliche Probleme

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