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Traum des Menschen von der Glückseligkeit verwirklicht sich in der Religion, der Mensch projiziert seine Vorstellungen auf ein anderes Wesen, das ihm folglich als Erlöser erscheint, denn hier begegnet er sich als das Wesen, das er sein möchte, er sieht seine idealisierte, ewig existierende Persönlichkeit, an der er seine Wirklichkeit messen kann und die ihm als Sinn und Zweck seines Lebens erscheint. Letztlich kann der Mensch den Sinn seines Lebens also nur in sich selbst, in seinem Innersten finden, in dem er noch nicht von sich selbst entfremdet ist.

      Deshalb ist die Liebe auch nicht an das Christentum gebunden, sondern sie ist universell, die wahre Liebe bezieht sich immer auf die Gattung Mensch, auf die gesamte Menschheit und ist deshalb vollkommen unabhängig von jeglicher Religion; sobald sie mit einer Religion in Verbindung gebracht wird, ist sie auch immer an den Glauben gebunden und führt dann zu Gräueltaten, wie sie das Christentum und der Islam über die ganze Welt verbreitet haben.

      Der Mensch erlangt erst seine göttliche Bestimmung, wenn er eins wird mit der Liebe, mit der grenzenlosen Liebe. Der Mensch ist erst heil, er ist erst heilig, wenn er mit der Liebe eins wird, wenn die Liebe zum Menschen zu seinem wahren Wesen wird, in dem er den Sinn und Zweck seines Lebens findet, all dies hat Feuerbach zusammen gefasst in dem einen Satz: ‚Homo homini Deus est‘.

      So wie mein Freund Ludwig die Religion und speziell das Christentum entlarvt hat, so habe ich das ökonomische und das politische System unserer Zeit entlarvt, was es in Wirklichkeit ist, nämlich nichts anderes als die Ausbeutung des Menschen.“

      „Mein lieber Herr Marx, ich danke Ihnen ganz herzlich für diese wunderbare Therapiestunde, ich durfte mal wieder außerordentlich viel von Ihnen lernen und dabei auch noch viel Geld verdienen. Leider müssen wir nun eine dreiwöchige Pause machen, da ich zu einem Kongress nach Amerika fahre und anschließend noch vierzehn Tage Urlaub machen möchte. Aber Sie brauchen in dieser Zeit natürlich nicht untätig sein, ich gebe Ihnen mal wieder eine Hausaufgabe. Kennen Sie Arthur Schopenhauer?“

      „Ich bitte Sie, Arthur ist mein Freund, wir haben schon viele Diskussionen miteinander geführt, er ist für mich einer der größten Philosophen mit einem unglaublichen Wissen.“

      „Na, fantastisch, lesen Sie doch bitte das vierte Buch aus seinem Werk ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘, darüber können wir dann in drei Wochen reden. Ich wünsche Ihnen einen guten Heimflug.“

      „Ich verstehe, Sie wollen unsere Kontemplation über Erkenntnis und Liebe noch weiter ausbauen. Es ist mir bekannt, dass mein Freund Arthur die Upanishaden über alles geliebt hat, er hat wiederholt zu mir gesagt, dass sein ganzes Werk ohne Plato, Kant und die Oupnekhat, wie er die Upanishaden nannte, niemals entstanden wäre. Interessant ist ja hier schon sein Leitwort: ‚Tempore quo cognitio simul advenit, amor e medio supersurrexit.‘. Ich würde den Satz folgendermaßen übersetzen: Sobald die Erkenntnis entsteht, entwickelt sich aus ihrer Mitte heraus die Liebe.

      Andere haben es übersetzt mit: ‚Zur Zeit, da die Erkenntnis sich einstellte, hob sich die Begierde von dannen‘. Ich halte diese Übersetzung für vollkommenen Unsinn, es geht nicht um die Begierde, sondern um die Liebe, bei diesen Übersetzern hat sich wahrscheinlich mal wieder die kirchliche Sexualfeindlichkeit durchgesetzt oder sie haben sich zu sehr an der buddhistischen Lehre orientiert, deren Ziel es ja gerade ist, die Anhaftung an diese Welt durch die Aufhebung aller Begierden auszulöschen. Ganz in dem Sinne Feuerbachs hat Schopenhauer sich in einem Manuskript notiert: ‚Tat-twam-asi‘. Das bist Du! Das Absolute ist mit dir wesensgleich. Erinnern Sie sich, was Feuerbach gesagt hat, homo homini deus est. Das ist ja doch genau dasselbe, es geht um die Identität von Gott, dem Menschen und die Liebe.

      Nun, mein lieber Jung, ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Kongress und erholen Sie sich von mir in Ihrem Urlaub. Bis in drei Wochen.“

      Ranke-Heinemann

      Augustinus von Hippo hatte seinem Therapeuten verschwiegen, dass er von Zürich zunächst nach Marburg zu einem Streitgespräch mit der Theologin Uta Ranke-Heinemann fahren würde. Eigentlich war es unter seiner Würde, mit einer Frau über geistige Angelegenheiten zu diskutieren und es war ihm auch unbegreiflich, wie eine Frau sich jemals hatte habilitieren können und dann auch noch als Theologieprofessorin. Andererseits hatte er von ihr schon so groteske Aussagen gehört, dass er es als seine Pflicht empfand, diesen Unsinn einfach mal richtig zu stellen.

      Augustinus übernachtete am Marktplatz in dem Hotel ‚Zur Sonne‘ ganz in der Nähe der theologischen Fakultät der Philipps-Universität, wo am nächsten Tag das Streitgespräch zwischen ihm und dieser Frau vor den Honoratioren der Universität, zahlreichen Bischöfen und Kardinälen aus verschiedenen Ländern, sowie dem Nuntius des Papstes stattfinden sollte. Er war sich zwar absolut sicher, dass diese Frau ihm argumentativ unterlegen sein würde, aber es könnte ja nicht schaden, falls der Nuntius sie und ihre Ansichten gegebenenfalls dem Papst meldete, damit dieser geeignete Maßnahmen ergreifen konnte, um die weitere Verbreitung ihrer Irrlehren zu verhindern.

      Augustinus hatte außerdem erfahren, dass diese Marburger Universität für ihren revolutionären Geist bekannt war, so sollte sich unter den Gästen auch ein gewisser mit Ranke-Heinemann befreundeter Rudolf Bultmann, Theologieprofessor für Neues Testament, befinden, der so unsinnige Thesen von der Entmythologisierung verbreitete, dass man hier nur noch von Blasphemie sprechen konnte. Außerdem sollte sich unter den geladenen Professoren auch Wolfgang Abendroth befinden, der ihm bekannt war als ein ehemaliger Zuchthäusler und der wegen seiner sozialistischen Gesinnung außerordentlich umstritten war.

      Die Nacht verlief für Augustinus sehr unruhig, er war wohl doch nervöser als er gedacht hatte, außerdem wurde er immer wieder von dem Krächzen eines Metallgockels, der sich auf dem Dach des gegenüber liegenden Rathauses befand, in seinem Schlaf gestört, sodass er froh war, als die Nacht endlich vorüber war. Da das Streitgespräch erst am Nachmittag stattfinden sollte, hatte er noch den ganzen Vormittag zu seiner freien Verfügung.

      Zunächst einmal ging er über die Marktstraße und die Schlosstreppe hinauf zum Landgrafenschloss Marburg, das im elften Jahrhundert errichtet worden war. Von dort hatte er einen wunderbaren Ausblick über die Stadt. Lediglich störten ihn die vielen Touristen, die sich dort herumtrieben. Offensichtlich hatten viele Studenten sich an diesem Tag vorgenommen, ihren Eltern die Stadt zu präsentieren.

      Im Vordergrund befand sich die Lutherkirche, auch Marienkirche genannt, mit ihrem weithin sichtbaren schiefen Turm. der wohl durch die Einwirkung von Wind und Wetter seine Form erhalten hatte. Unfreiwilliger weise wurde Augustinus durch den Vortrag eines Studenten auch noch darüber aufgeklärt, dass dieser Turm sich angeblich von selbst wieder aufrichten würde, sobald die erste Studentin Marburg als Jungfrau verlässt. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was diese Aussage über das unmoralische und gottlose Leben der Studenten implizierte.

      Vom Marburger Schloss ging Augustinus wieder zurück zum Marktplatz und von dort zum Gebäude der Theologischen Fakultät, die sich zwischen Lahntor und Reitgasse befand. Er wollte das Gebäude besichtigen, damit er sich dort am Nachmittag besser zurecht finden würde. Anschließend ging er über die Wettergasse und den Steinweg zu der berühmten Elisabethkirche, die zu Ehren der heiligen Elisabeth von Thüringen über deren Grabmal errichtet worden war, um eine Weile in Gebet und stiller Meditation zu verharren und sich spirituell auf den Nachmittag vorzubereiten.

      Nach seiner Meditation machte Augustinus sich auf den Weg zum Restaurant Dammühle in Wehrshausen, von dem er gehört hatte, dass man dort sehr gut speisen und bei schönem Wetter auch draußen sitzen könnte. Über den Marktplatz, das Barfüßertor und den Rotenberg brauchte er dann doch eine gute Stunde bis zur Dammühle, sodass er sich nach der Anstrengung auf ein gutes Essen mit einem Glas Wein freute.

      Nach dem Essen war die Zeit so weit vorangeschritten, dass er sich gezwungen sah, sich ein Taxi bestellen zu lassen, damit er sich vor dem Streitgespräch noch in seinem Hotel frisch machen konnte. Nachdem er sich umgezogen hatte, ging er zur Theologischen Fakultät, wo er schon an der Tür von dem Rektor der Universität empfangen wurde; der Rektor teilte ihm mit, dass Frau Ranke-Heinemann auch schon anwesend sei und dass sie sich gleich in die Aula begeben könnten. Als er die Aula betrat

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