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meine Absicht, Ihnen einen Betrag zur Ordnung Ihrer Angelegenheiten zu geben. Machen Sie damit, was Sie wollen. Sind fünftausend Gulden genug?«

      »Oh, reichlich!« sagte Friedrich. »Und es ist doch auch für mich ein schöner Gedanke, daß mein Abschied vom Leben nicht ganz ohne Zweck ist.«

      Die Stube der Familie Littwak sah bei Tage noch elender aus als bei Nacht. Und doch fand Friedrich Löwenberg diese armen Leute in beinahe rosiger Stimmung, als er bei ihnen eintrat. David Littwak stand vor dem Fensterbrett, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag, und er las darin, während er an seinem mächtigen Butterbrot kaute. Der Vater und die Mutter saßen auf der Streu. Die kleine Mirjam spielte mit Halmen.

      Chajim Littwak erhob sich rasch, um den Wohltäter zu begrüßen. Auch die Frau wollte aufstehen, aber Friedrich ließ es nicht zu. Er kniete schnell neben ihr nieder und streichelte das Brustkind, das ihn aus den armseligen Fetzen heraus mit lieblichen Augen anlachte.

      »Nun, wie geht es heute, Frau Littwak?« fragte Friedrich.

      Die Arme haschte vergeblich nach seiner Hand, um sie zu küssen: »Besser, gnädiger Herr!« sagte sie. »Wir haben Milch für Mirjam und Brot für uns.«

      »Zins hab’ ich auch schon gezahlt!« ergänzte Chajim stolz.

      David hatte sein Butterbrot hingelegt, stand mit verschränkten Armen da und betrachtete Friedrich festen Auges. »Warum siehst du mich so durchbohrend an, kleiner David?«

      »Damit ich Sie nie vergess’, Herr. Ich hab’ einmal gelesen eine Geschichte von einem Manne, der einem kranken Löwen geholfen hat.«

      »Androklus!« lächelte Friedrich.

      »Er hat schon viel gelesen, mein David,« sagte die Mutter mit schwacher und zärtlicher Stimme.

      Friedrich stand auf, legte die Hand auf den runden Kopf des Knaben und scherzte: »Bist du am Ende der Löwe? Juda hatte einst einen Löwen …«

      David entgegnete beinahe trotzig: »Was Juda gehabt hat, kann es wieder haben. Unser alter Gott lebt noch.«

      Frau Littwak rief klagend: »Nit amal ein’ Sessel können wir Ihnen anbieten, gnädiger Herr!«

      »Nicht nötig, liebe Frau. Ich wollte nur nachsehen, wie es Ihnen geht, und — etwas bringen. Sie sollen diesen Brief erst öffnen, nachdem ich fortgegangen bin. Er enthält eine gute Empfehlung, die euch im Leben nützen wird. Sie müssen sich gut nähren, Frau Littwak, damit Sie dieses schöne, kleine Mädel zu einer braven Frau erziehen, wie Sie selbst sind.«

      »Mehr Glück soll sie haben!« seufzte die Frau.

      »Und diesen guten Jungen lassen Sie etwas Tüchtiges lernen. Gib mir deine Hand, Bürschchen! Versprich mir, daß da ein ordentlicher Mensch wirst.«

      »Ja, das verspreche ich Ihnen.«

      Was der Bub für merkwürdige Augen hat, dachte sich Friedrich, als er die kleine Hand schüttelte. Dann legte er den umfangreichen Brief auf das Fensterbrett und wollte gehen.

      »Entschuldigen Sie, gnädiger Herr,« sprach ihn Chajim Littwak bei der Tür an, »is in den Brief vielleicht eine Empfehlung an der Kultusgemeinde?«

      »Ganz richtig,« entgegnete Friedrich. »Das wird Sie auch der Kultusgemeinde empfehlen.«

      Und rasch ging er hinaus, die Treppen lief er hinunter, als fühlte er sich verfolgt. Vor dem Tore hielt sein Fiaker, eilig stieg er ein und rief dem Kutscher zu: »Schnell fahren!«

      Die Pferde zogen an. Es war die höchste Zeit. Eine Minute später keuchte David atemlos aus dem Tore hervor, spähte nach allen Richtungen, und als er keine Spur mehr von dem Helfer entdecken konnte, fing er bitterlich zu weinen an. Friedrich sah es durch das Guckloch in der Rückwand seines Wagens, und er freute sich, daß es ihm gelungen war, den Dankesergüssen zu entgehen. Mit den fünftausend Gulden war diese Familie hoffentlich gerettet.

      Im Hotel erwartete ihn Kingscourt mit breitem Lachen: »Haben Sie also Ihr gutes Werk getan, Doktor?«

      »Sie könnten mit mehr Recht sagen, daß es das Ihrige sei. Es war Ihr Geld, Mr. Kingscourt!«

      »Oho! Dagegen verwahre ich mich aber schon ganz entschieden. Ich hätte nicht einen Heller hergegeben, um Menschen Gutes zu erweisen. Ich habe nichts dagegen, daß Sie ein Narr der Nächstenliebe sind — ich bin keiner mehr. Das war Ihr Handgeld, damit konnten Sie machen, was Sie wollten.«

      »Auch recht, Mr. Kingscourt!«

      »Ja, wenn Sie mir gesagt hätten, daß Sie für Hunde oder Pferde oder sonst ein anständiges Vieh was Mildes vorkehren möchten, da hätten Sie mich dazu haben können. Aber Menschen? Nee, kommen Sie mir mit der Sorte nicht. Die ist oberfaul. Die ganze Vernunft besteht darin, daß sie niederträchtig sind … Da war neulich in den Blättern zu lesen, daß eine alte Dame ihr Vermögen ihren Katzen hinterlassen hat. Sie befahl in ihrem letzten Willen, daß ihr Haus in so und so viele feine Appartements für das Katzenvolk eingeteilt werde, mit Pflegepersonal und so weiter. So’n Kerl von Zeitungsschreiber hat dazu die blödsinnige Bemerkung gemacht, die Alte sei wahrscheinlich verrückt gewesen. Solch ein Hornochse! Nicht verrückt war sie, sondern riesig gescheit. Eine Demonstration gegen das menschliche Geschlecht, und insbesondere gegen ihre lumpige, erbgierige Verwandtschaft wollte sie machen. Den Tieren, ja — den Menschen, nein! Sehen Sie, das kann ich der alten Dame innigst nachfühlen, Gott habe sie selig!«

      Das war Kingscourts Lieblingsthema, und darin entwickelte er eine unerschöpfliche Verve.

      Friedrich Löwenberg ordnete seine geringen Angelegenheiten. Er war damit am anderen Tage fertig. Seiner Quartierfrau sagte er, daß er einen Ausflug auf den Großglockner unternehme. Sie entsetzte sich darüber: Mitten im Winter! Man höre so viel von Bergunfällen.

      »Schön,« meinte Friedrich mit melancholischem Lächeln, »wenn ich in acht Tagen nicht wiederkomme, so können Sie mich als vermisst bei der Polizei melden. Dann bin ich wohl in einer Felsenspalte besorgt und aufgehoben. Meine Habseligkeiten, die da sind, vermache ich Ihnen.«

      »Reden Sie nicht so sündhaft, Herr Doktor!«

      »Ich mache ja Spaß!« rief er. Mit dem Abendzuge verließ er in Kingscourts Gesellschaft Wien. Er war nicht wieder in das Cafe Birkenreis gegangen und wußte nicht, daß der kleine David Littwak Nacht für Nacht vor der Tür stundenlang auf ihn wartete.

      Im Hafen von Triest schaukelte sich die schmucke Jacht Mr. Kingscourts auf den Wassern. Die beiden machten noch ihre letzten Einkäufe für die lange Reise, und eines hellen Dezembertages lichteten sie die Anker und steuerten südwärts, ostwärts. Friedrich wäre wohl unter anderen Umständen von der Meeresfreiheit tief beglückt gewesen; so aber verdankte er der sonnigen Fahrt nur eine geringe Erleichterung seines Grames.

      Kingscourt war freilich ein prächtiger Mensch, gutmütig bei aller seiner Prahlerei mit Menschenhaß, und liebenswürdig und zartfühlend. Wenn er Friedrich in trüben Stimmungen sah, bemühte er sich mit allen möglichen Scherzen, ihn aufzumuntern. Er ging mit ihm um, wie mit einem kranken Kinde. Da pflegte Friedrich wohl zu sagen: »Wenn unsere Schiffsleute uns beobachten, müssen sie eigentlich eine ganz falsche Vorstellung bekommen. Sie werden mich für den Herrn, und Sie für den Gast halten, den ich mir eingeladen habe, um mir die Zeit zu vertreiben. Ach, Mr. Kingscourt, Sie hatten sich auch einen lustigeren Gesellen aussuchen können als mich!«

      »Mein Lieber, ich hatte keine Wahl!« antwortete Mr. Kingscourt mit grimmigem Ernst. »Einen Lebensüberdrüssigen mußte ich haben, und die sind in der Regel keine guten Gesellschafter. Aber Sie werd’ ich schon noch heilen. Sie werden mir doch noch ganz anders dreinschauen, bis wir erst das Menschengesindel ganz hinter uns haben. Da werden Sie auch noch so ein vergnügter Kerl werden, wie ich. Bis wir auf unserer seligen Insel sind, hol’ mich der Deibel, wenn’s nicht wahr ist!«

      Die Jacht war sehr behaglich mit allem amerikanischen Komfort eingerichtet. Friedrich hatte einen ebenso

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