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Friedrich aus der Bezauberung. »Verzeihen Sie, Mr. Kingscourt,« sagte er ein wenig beschämt »Ich habe Sie da warten lassen. Es war — es ist mir jetzt so eigen zumute. Ich weiß gar nicht, was das ist.«

      Kingscourt aber schob seinen Arm unter den des jungen Mannes und sagte mit ungewöhnlich weicher Stimme: »Sie, Friedrich Löwenberg, ich habe Sie gern!« Und so ging in großer Mondnacht ein Christ mit einem Juden Arm in Arm der alten heiligen Stadt Jerusalem zu …

      Weniger entzückend war der Anblick Jerusalems bei Tage. Geschrei, Gestank, ein Geflirr unreiner Farben, ein Durcheinander zerlumpter Menschen in den engen dumpfen Gassen, Bettler, Kranke, hungernde Kinder, kreischende Weiber, heulende Händler. Tiefer konnte das einst so königliche Jerusalem nicht sinken.

      Kingscourt und Friedrich besichtigten die berühmten Plätze, Bauten und Ruinen. Sie kamen auch in das traurige Gäßchen der Klagemauer. Der widerliche Anblick der geschäftsmäßig betenden Bettler belästigte sie.

      »Sie sehen, Mr. Kingscourt,« sagte Friedrich, »wir haben uns wirklich zu Tode gestorben. Vom jüdischen Reiche ist nichts mehr übrig als ein Stückchen Tempelmauer, und ich kann in meinem Gemüte bohren so viel ich will, mit diesen kleinen verkommenen Industriellen der Nationaltrauer habe ich nichts gemein.«

      Er hatte das laut gesagt, ohne zu bemerken, daß ihn auch andere hören konnten. Außer den Bettelbetern und Fremdenführern befand sich in dem Augenblicke noch ein dritter Herr in europäischer Kleidung vor der Klagemauer. Dieser sagte in fremdartig betontem, aber gebildetem Deutsch: »Mein Herr, nach Ihren Worten scheinen Sie ein Jude oder doch jüdischer Abstammung zu sein.« »Ja,« .antwortete Friedrich ein wenig verwundert.

      »Dann gestatten Sie mir vielleicht,« fuhr der Fremde fort, »daß ich Ihren Irrtum berichtige. Von der jüdischen Nation ist mehr übrig geblieben als die alten Quadern dieses Mauerstückes und als die armen Schlucker hier, die freilich kein schönes Handwerk betreiben. Sie dürfen die jüdische Nation in heutiger Zeit weder nach ihren Bettlern noch nach ihren Reichen beurteilen.« »Ich bin kein Reicher,« meinte Friedrich.

      »Ich sehe, was Sie sind: ein Fremder Ihrem Volke. Wenn Sie einmal zu uns nach Rußland kämen, würden Sie erkennen, daß es noch eine jüdische Nation gibt. Wir haben noch eine lebende Überlieferung, eine Liebe zur Vergangenheit und einen Glauben an die Zukunft. Bei uns sind die Besten und Gebildetsten dem Judentume als einer Nation treu geblieben. Wir wollen zu keiner anderen gehören. Wir sind, was unsere Väter waren.«

      »Das ist recht,« rief Kingscourt. Friedrich zuckte leicht die Achseln, sprach aber noch einige höfliche Worte mit dem Unbekannten, dann gingen sie. Als sie am anderen Ende der Gasse waren und um die Ecke bogen, blickten sie zurück. Der russische Jude stand noch dort. Er war in ein stummes Gebet vor der Klagemauer versunken.

      Abends, in dem englischen Hotel, in dem sie wohnten, sahen sie ihn wieder. Er saß bei Tische neben einer jungen Dame, offenbar seiner Tochter. Nach dem Essen traf man sich in der großen Halle. Das Gespräch von Vormittag wurde zwanglos wieder aufgenommen. Der Russe nannte seinen Namen: Dr. Eichenstamm. »Ich bin meines Zeichens Augenarzt. Meine Tochter auch«.

      »Wie? Das Fräulein ist ’n Doktor?« fragte Kingscourt. »Ja, sie hat bei mir und nachher in Paris studiert. Sie ist jetzt meine Assistentin. Ein ganz gelehrtes Haus, meine Sascha!«

      Das Fräulein Doktor errötete bei dem Lobe. »Aber Papa!« sagte sie abwehrend. Dr. Eichenstamm fuhr sich mit der Linken über den langen grauen Kinnbart: »Was wahr ist, kann man sagen. Wir sind auch nicht nur zum Vergnügen hier, meine Herren. Wir beschäftigen uns mit den Augenkrankheiten. Leider gibt es deren genug. Der Schmutz und die Verwahrlosung rächen sich. Alles liegt im argen. Und wie schön könnte es sein. Das Land ist ja ein goldenes Land.«

      »Dieses Land?« sagte Friedrich ungläubig. »Die Geschichte von Milch und Honig ist doch nicht mehr wahr!« »Sie ist immer wahr!« schrie Eichenstamm begeistert »Nur die Menschen müssen da sein, dann ist alles da.«

      »Nee! Von Menschen ist gar nichts zu erwarten,« erklärte Kingscourt mit Entschiedenheit.

      Doktorin Sascha wandte sich an ihren Vater. »Du solltest den Herren raten, die Kolonien zu besichtigen.« »Was für Kolonien?« erkundigte sich Friedrich.

      »Unsere jüdischen Ansiedlungen,« antwortete der alte Herr. »Auch davon wissen Sie nichts, Herr Doktor? Es ist doch eine der merkwürdigsten Tatsachen im modernen Leben der Juden. In verschiedenen Städten Europas und Amerikas haben sich Gesellschaften gebildet, die so genannten Liebhaber von Zion, mit dem Zweck, hier in unserem alten Lande die Juden zu Ackerbauern zu machen. Es gibt schon eine Anzahl solcher jüdischer Dörfer. Auch einige reiche Wohltäter haben der Sache Geld zugewendet. Unser alter Boden trägt wieder Früchte. Besuchen Sie diese Niederlassungen, bevor Sie Palästina verlassen.«

      Kingscourt brummte: »Können wir ja machen, wenn Sie Lust haben, Löwenberg.« Friedrich bejahte schnell.

      Am ändern Tag unternahmen sie in Gesellschaft Eichenstamms und Saschas einen Ausflug nach dem Ölberge. Vor der Höhe kamen sie an dem eleganten Hause einer englischen Dame vorbei.

      »Sie sehen,« sagte der Russe, »daß man auf der alten Erde auch neue Paläste errichten kann. Das ist ein vornehmer Gedanke, hier zu wohnen. Wäre auch mein Traum.«

      »Oder wenigstens eine Augenklinik,« meinte Doktor Sascha mit feinem Lächeln.

      Vom Ölberge aus bewunderten sie die hügelreiche Stadt, die steinernen Wellen der Berge im weiten Umkreise bis an das Tote Meer. Friedrich wurde nachdenklich.

      »Schön muß Jerusalem einst gewesen sein! Vielleicht haben unsere Väter diese Stadt darum nicht vergessen können. Vielleicht wollten sie darum immer zurückkehren?«

      Eichenstamm schwärmte: »Mich erinnert es an Rom. Auf Hügeln könnte man abermals eine Weltstadt erbauen, etwas Herrliches. Denken Sie sich den Blick, den man dann von hier aus hätte. Prächtiger als vom Gianiculo! Ach, wenn meine alten Augen das noch sehen könnten!« …

      »Das werden wir nicht erleben,« sagte Sascha traurig.

      Kingscourt wunderte sich im stillen über diese Phantastereien. Als er wieder mit Friedrich allein war, sprach er: »Das ist ein merkwürdiges Paar, der Doktorsvater mit der Doktorstochter. So praktisch und dabei so närrisch. Ich habe mir die Juden auch anders vorgestellt.«

      Am folgenden Morgen nahmen sie Abschied von den beiden und fuhren richtig, deren Rat befolgend, nach den Kolonien. Sie sahen die Ortschaften Rischon leZion, Rechoboth und andere, die als Oasen in der verdorrten Umgebung lagen. Viele fleißige Hände hatten sich da regen müssen, bis die Scholle wieder zum Leben erwacht war. Sie sahen wohlbebaute Felder, eine stattliche Weinkultur und üppige Orangengärten.

      »Das ist alles in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren entstanden,« erklärte ihnen der Vorsteher der Judenkolonie Rehoboth, an den sie von Eichenstamm empfohlen worden war. »Nach den Verfolgungen in Russland zu Anfang der achtziger Jahre hat diese Bewegung begonnen. Es gibt aber noch verdienstlichere Kolonien als unsere. Zum Beispiel die von Katrah. Die ist von studierten Leuten angelegt worden. Sie haben die Bücher verlassen und sind auf den Acker hinausgezogen. Solche Bauern gibt es wohl nirgends auf der Welt. Gelehrte Männer, die auf dem Felde arbeiten.«

      »Das ist ’ne starke Nummer!« rief Kingscourt. Aber noch größer wurde sein Erstaunen, als der Vorsteher die jungen Burschen von Rehowoth zu Pferde steigen ließ. Eine Art arabischer Fantasia wurde vor den Gästen aufgeführt. Die Burschen stürmten weit weg ins Feld hinaus, warfen die Rosse herum, kehrten jauchzend zurück, warfen im vollsten Lauf ihre Mützen oder ihre Gewehre in die Luft, fingen sie wieder auf. Schließlich ritten sie in einer Reihe und sangen ein hebräisches Lied. Kingscourt war hingerissen.

      »Da soll doch ein mehrfach gesalzenes Donnerwetter dreinschlagen. Die Kerls reiten ja wie der Deibel! Mit so ’was hätte mein Ur-Ur auch die Attacke bei Roßbach «

      Aber Friedrich hatte wenig Interesse für die Betätigungen einer gesunden Lebenslust, und er war froh, als sie die Ansiedelungen verließen, um nach Jaffa zurückzukehren.

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