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schweigen Sie, Kerl!« herrschte ihn Friedrich an und warf ihm eine Silbermünze vor die Füße.

      Als der Hausmeister den Silberklang auf den Fliesen hörte, wurde er kleinlaut und unterwürfig: »Euer Gnaden hab’ i net g’meint. Dö Juden da!«

      »Schweigen Sie!« wiederholte Friedrich, »und leuchten Sie mir über die Stiege.«

      Der Hausmeister hatte sich gebückt und das Geld aufgehoben. Eine ganze Krone. Das mußte ein vornehmer Herr sein.

      »Es is im fünften Stock, gnädiger Herr,« sagte der Hausierer. »Vielleicht borgt uns der Herr Hausbesorger e Stückl Kerzen.« »Dem Littwak burg’ i nix,« rief dieser; »aber wenn Euer Gnaden a Kirzen wolln …«

      Er nahm auch gleich das Stümpfchen aus der Laterne und gab es Friedrich. Dann verschwand er brummend. Friedrich stieg mit Littwak und David die fünf Treppen hinan.

      Es war gut, dass sie die Kerze mithatten, denn es umgab sie tiefe Nacht. Auch in dem einfenstrigen Stübchen Littwaks brannte kein Licht, obwohl die Frau, die auf einer Streu ihr Lager hatte, wach und aufrecht dasaß. Friedrich sah im Halbdunkel des Kerzenstümpfchens, daß der schmale Raum keinerlei Möbel enthielt. Kein Stuhl, kein Tisch, kein Schrank. Auf dem Fensterbrett befanden sich einige Fläschchen und zerbrochene Töpfe. Ein Anblick des tiefsten Elends. Die’ Frau hatte ein kleines, wimmerndes Kind an der schlaffen Brust. Sie starrte ihnen hohläugig und angstvoll entgegen.

      »Wer ist das, Chajim?« stöhnte sie erschreckt.

      »E guter Herr,« beruhigte sie ihr Mann.

      David ging zu ihr hin. »Mutter, da is Brot,« und gab es ihr.

      Sie brach es mit Mühe und schob sich langsam einen Bissen in den Mund. Sie war recht schwach und abgemagert, aber das verhärmte Gesicht wies doch noch Spuren einer vergangenen Schönheit auf.

      »Da wohnen wir,« sagte Chajim Littwak mit bitterem Lachen. »Aber ich weiß. nicht emal, ob wir übermorgen noch das haben werd’n. Sie hab’n uns scho’ gekündigt.«

      Die Frau seufzte laut auf. David hatte sich neben sie hin auf das Stroh gekauert und schmiegte sich an sie.

      »Wieviel brauchen Sie, um hierbleiben zu können?« fragte Friedrich. »Drei Gulden!« erklärte Littwak. »E Gulden zwanzig auf Zins und das Übrige bin ich der Hausfrau schuldig. Wo soll ich bis übermorgen drei Gulden hernehmen? Dann lieg’n wir mit die Kinder auf der Gass’n.«

      »Drei Guld’n!« jammerte die Frau leise und hoffnungslos. Friedrich griff in die Tasche. Er hatte acht Gulden bei sich. Die gab er dem Hausierer.

      »Gerechter Gott! Is es möglich?« rief Chajim, und es liefen ihm Tränen über die Wangen. »Acht Gulden! Rebekka! David! Gott hat uns geholfen. Gelobt sei sein Namen!«

      Frau Rebekka war auch fassungslos. Sie hatte sich auf die Knie erhoben und schleppte sich zu dem Retter hin. Im rechten Arm hielt sie ihr schlummerndes Wickelkind, mit der Linken haschte sie nach Friedrichs Hand, um sie zu küssen.

      Er entzog sich ihrem Danke rasch: »Macht doch keine solchen Geschichten! Für mich sind die paar Gulden gar nichts - ob ich sie habe oder nicht … David kann mir hinunterleuchten.«

      Die Frau war auf ihr Lager zurückgesunken und schluchzte bitterlich vor Freude. Chajim Littwak begann ein hebräisches Gebet zu murmeln. Friedrich ging, von David begleitet, hinaus und die Treppe hinunter. Als sie im zweiten Stock waren, hielt David, der die Kerze hoch trug, an, und sagte: »Gott wird aus mir e starken Mann machen. Dann werd’ ich Ihnen zahlen.«

      Friedrich war von dem Ton und den Worten des Kleinen überrascht. Es war etwas eigentümlich Festes, Reifes in seiner Art.

      »Wie alt bist du?« fragte er ihn.

      »Mir scheint zehn Jahr’,« antwortete David.

      »Was willst du werden?«

      »Lernen will ich. Viel lernen!«

      Friedrich seufzte unwillkürlich: »Und glaubst du, daß das genügt?«

      »Ja!« sagte David. »Ich hab’ gehört, wenn man gelernt hat, is man stark und frei. Gott wird mir helfen, daß ich lernen kann. Dann werd’ ich mit meine Eltern und Mirjam nach Erez Israel gehn.« »Nach Palästina?« fragte Friedrich erstaunt. »Was willst du dort?«

      »Das is unser Land. Dort können wir glücklich werden!« Der arme Judenjunge sah gar nicht lächerlich aus, als er sein Zukunftsprogramm energisch in zwei Worten angab. Friedrich mußte an die läppischen Humoristen Grün und Blau denken, die über den Zionismus ihre schalen Witze rissen. David fügte noch hinzu: »Und wenn ich etwas hab’, werd’ ich Ihnen zahlen.«

      »Ich hab ja das Geld nicht dir gegeben, sondern deinem Vater,« meinte Friedrich lächelnd.

      »Was man mei’ Taten gibt, hat man mir gegeben. Ich werd’ es zahlen — Gutes und Schlechtes.« David sagte es energisch und ballte seine kleine Faust gegen die Hausmeisterwohnung, vor der sie jetzt angelangt waren.

      Friedrich legte seine Hand auf das Haupt des Jungen: »Möge dir der Gott unserer Väter beistehen!«

      Und er wunderte sich selbst über seine Worte, nachdem er sie gesprochen. Seit den Tagen der Kindheit, da er mit seinem Vater zum Tempel gegangen war, hatte Friedrich vom »Gott unserer Väter« nichts mehr gewußt. Diese merkwürdige Begegnung aber weckte das Alte, Vergessene in ihm auf, und sekundenlang überflog ihn ein Heimweh nach dem starken Glauben der Jugendzeit, in der er mit dem Gott der Väter noch in Gebeten verkehrte.

      Der Hausmeister schlurrte heran. Friedrich sagte ihm: »Von jetzt ab werden Sie diese armen Leute in Ruhe lassen — sonst haben Sie es mit mir zu tun! Verstanden?«

      Da diese Worte von einem neuerlichem Trinkgelde begleitet waren, begnügte sich der Grobe, ein »Küß’ d’ Hand, Euer Gnaden!« zu murmeln. Friedrich gab dem kleinen David die Hand und trat auf die einsame Lände hinaus.

      In dem Briefe, den Friedrich von dem N.0. Body der Zeitungsannonce erhalten hatte, war ein vornehmes Hotel auf der Ringstraße als Ort der Zusammenkunft angegeben. Um die bezeichnete Stunde fand er sich ein und fragte nach Mister Kingscourt. Man wies ihn nach einem Salon des ersten Stockes. Als er eintrat, kam ihm ein hoher, breitschultriger Mann entgegen:

      »Sind Sie Doktor Löwenberg?«

      »Der bin ich.«

      »Nehmen Sie einen Stuhl, Doktorl«

      Sie setzten sich. Friedrich betrachtete den Fremden aufmerksam und wartete auf dessen Erklärungen. Mr. Kingscourt war ein Mann in den Fünfzigern, mit ergrauendem Vollbart und dichtem braunen Haupthaar, das von Silberfäden durchzogen war und an den Schläfen schon weiß schimmerte. Er rauchte in langsamen Zügen eine große Zigarre.

      »Rauchen Sie, Doktor?«

      »Jetzt nicht,« gab Friedrich zur Antwort.

      Mr. Kingscourt hauchte mit Sorgfalt einen Rauchring in die Luft, folgte der Auflösung der wolkigen Linien mit Spannung, und erst nachdem sie ganz verschwebt waren, sagte er, ohne seinen Gast anzusehen: »Warum sind Sie lebensüberdrüssig?«

      »Darüber gebe ich keine Auskunft,« erwiderte Friedrich ruhig. Mr. Kingscourt sah ihn jetzt voll an, nickte zustimmend, streifte die Asche seiner Zigarre ab und sprach: »Hol’s der Deibel, Sie haben Recht. Das geht mich ja auch nichts an … Wenn wir handelseins werden, wird schon die Zeit kommen, wo Sie es mir erzählen. Einstweilen will ich Ihnen sagen, wer ich bin. Mein eigentlicher Name ist Königshoff. Ich bin ein deutscher Edelmann. Ich war in meiner Jugend Offizier, aber der Waffenrock wurde mir zu eng. Ich kann’s nicht leiden, daß ein fremder Wille über mir ist, und wär’s der beste. Das Gehorchen war gut für ein paar Jahre. Aber dann mußt’ ich fort. Ich wär’ sonst explodiert und hätte Schaden angerichtet … Ich ging nach Amerika, nannte mich Kingscourt, erwarb

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