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hinterließen Flecken auf dem Schreibtisch. Zu dem Austausch des Obduktionsberichtes musste er auch noch den Diebstahl einbinden und die Tote verschwinden lassen, ehe sich die Wege von Friedrich und dem Bereitschaftsarzt kreuzten. Außerdem konnte er die vier Kollegen nicht einschätzen, die nach ihm eingetroffen waren und auf sein Kommando den Unfallort abgesichert hatten. Wenn auch nur einer von denen so viel Interesse zeigte wie Schumann, hätte er zwei Fische am Haken und sie würden ihn samt Angel ins Wasser ziehen, wo er ersaufen würde.

      Mittlerweile war die Salbe komplett eingetrocknet, genauso wie sein Rachen. Er lief zum Wasserspender, einem Abzweig aus dem Rohrleitungssystem mit Wasserhahn, und gönnte sich mehrere Schlucke. Es schmeckte abgestanden, metallisch und steinig. Aber sein Durst wurde gezügelt.

      Mit neuem Mut rekapitulierte er die Situation. Der Fall schrie regelrecht nach Mord. So gut wie alles deutete daraufhin. Und er würde diesen Mord auch aufklären, und erst im Nachhinein eins auf den Deckel kriegen. Aber bis dahin musste er den Mord als Unfall tarnen, damit er nicht direkt unehrenhaft vor die Tür gesetzt werden würde. Ein aufgeklärter Mord bedeutete enormes Renommee, weil die Aufklärungsrate sehr niedrig lag. Friedrich würde sich mit diesen Federn schmücken und sein Revier in den Himmel loben. Voss’ umstrittene Methoden wären dann sekundär, würden sogar vielleicht unter den Tisch gekehrt werden, wahrscheinlich von Friedrich persönlich.

      »Schubi!«, holte Voss den Schutzpolizisten unten hinterm Tresen aus einem Nickerchen. »Ich muss mal ins Archiv.«

      Schumann rieb sich das Gesicht. »War es nun Mord?«

      Voss lehnte sich über den Tresen und wisperte, »Wenn wir es als Mord deklarieren, haben wir bei Sonnenaufgang Friedrich und die Presse am Hals. Ich kann darauf verzichten.«

      »Ich auch«, erwiderte Schumann angewidert. »Aber du ermittelst?«

      »Inoffiziell«, bejahte Voss. »Aber zu keinem ein Wort!«

      Schumann nickte, während er den Schlüssel zum Archiv an seinem großen Schlüsselbund suchte. »Was brauchst du?«

      Er wollte schon aufstehen, aber Voss drückte ihn sanft auf den Stuhl zurück. »Nur den Schlüssel. Ich will dich da nicht mit reinziehen, Schubi.«

      Neugier wurde geweckt. Ein Feuer wurde entfesselt. Schumanns Augen leuchteten. »Aber du hältst mich auf dem Laufenden? Und wenn du Hilfe brauchst, kannst du jederzeit auf mich zählen.«

      »Das weiß ich«, äußerte sich Voss anerkennend.

      Er schloss die Tür zum Archiv hinter sich ab. Der staubige Raum war gefüllt mit einigen Reihen an schulterhohen Aktenschränken, geordnet nach Jahren. Jedes Schubfach für sich war noch einmal nach Monat und Tag strukturiert. Kerben in den einzelnen Akten präzisierten die Art des Verbrechens. Ein Mord hatte zum Beispiel fünf Kerben, Brandstiftung vier. Ein Raub, egal ob eine Person oder ein Gegenstand, hatte drei Kerben, Sachbeschädigung und Körperverletzung zwei. Eine Beleidigung kam mit einer Kerbe aus. Aufruhr oder Steuerbetrug erhielten keine Kerbe.

      Voss wusste nicht, wo er anfangen sollte. Die hier gelagerten Akten betrafen nur den Randbezirk des Reviers. An eine verbrannte Frauenleiche, die nicht identifiziert wurde, konnte er sich nicht erinnern. Er kramte in den Erinnerungen seiner Zeit bei der Schutzpolizei. Es gab Brandopfer, allerdings meistens im Zusammenhang mit Brandstiftung oder außer Kontrolle geratenen Nutzfeuern zum Kochen oder der Wärmegewinnung. Alle Opfer konnten durch Angehörige oder den Wohnort benannt werden. Auf gut Glück begann er mit den Aufzeichnungen der letzten Jahre und suchte dabei nach vier Kerben, für Brandstiftung. Das war die passende Einordnung für den Zwischenfall, den er für ein paar Tage als Unfall verkaufen musste. Er durchwühlte die Akten. Sein erster Blick ging nach oben links, wo die Identität geschrieben stand. Bei den Unbekannten suchte er dann nach dem Ereignis. Unfall musste irgendwo stehen, am besten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Da sich der Doktor auf die Opfer beschränkte, wiesen die Obduktionsberichte kaum Querverweise zum Unfallgeschehen auf. Das spielte Voss in die Karten.

      Schließlich fand er eine zerschlissene Akte, die fünf Jahre alt war. Vier Kerben. Eine unbekannte Frau starb an den Folgen von Brandverletzungen. Korpus und Gesicht waren gar. Sie hatte sich aus ihrem brennenden Haus gestürzt, mutmaßlich eigenhändig gezündelt. Voss erinnerte sich. Damals war er noch Schutzpolizist und erfuhr erst später davon in der Zeitung. Er selbst schleppte sich zu diesem Zeitpunkt mit zerschossenem Rücken vom Sessel zum Klo und wieder zurück. Seine Frau war da noch bei ihm gewesen, wenn auch distanziert. Ihre liebevolle Fürsorge war wohl eine wirre Einbildung gewesen, die ihm die Schmerzmittel vorgaukelten.

      Die Tote aus der Akte hatte einen Genickbruch erlitten. Er überlegte. Könnte sich jemand bei einem Autounfall einen Genickbruch zuziehen und erst ein paar Minuten später daran sterben, wenn sich dieser jemand eine Zigarette anzündet, um den Schock zu verdauen, ohne zu merken, dass überall Benzin an der Kleidung haftet? Klang für ihn plausibel, zumindest für den flüchtigen Blick von Friedrich, der medizinisch überhaupt nicht bewandert war. Die rußfreie Lungenthematik durfte allerdings nicht zur Sprache kommen, denn die Tote aus der Akte war pulmonal schwarz wie Teer.

      Überflüssigerweise blickte er über die Schulter, um die verschlossene Tür in Augenschein zu nehmen. Den Obduktionsbericht nahm er heraus und steckte die Akte zurück. Sollte irgendwann irgendjemand auf die Idee kommen, hier eine Schmökerstunde abzuhalten, würde der fehlende Bericht mit schlampiger Archivierung begründet werden.

      Bei Schumann händigte er den geliehenen Schlüssel aus.

      »Was gefunden?«, fragte dieser vorwitzig nach.

      Voss wippte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Aber, ich denke, ich habe eine Spur.« Er musste den Kameraden an der Nase herumführen, um ihn nicht in den perfiden Plan hineinzuziehen.

      Ein breites Grinsen legte sich auf das Gesicht des Wachmannes. »Ein Serientäter?«, nickte er zum Archiv. »Gibt es ein übereinstimmendes Muster in der Vergangenheit?«

      Voss lachte vorsichtig. »Du wärst ein guter Kriminalist, Schubi.«

      Enttäuschung machte sich breit. »Mir fehlt das Studium. Beide Seiten würden mich auslachen. Die einen, weil ich zu dumm bin. Die anderen, weil ich gewechselt habe. Schumann, bleib bei deinem Leisten

      Voss dachte an Leopold Springer, diesen ignoranten, eingebildeten Rassisten. Schumann wäre willkommenes Kanonenfutter für dessen Spießrutenlauf. Und Voss dachte an sein eigenes fehlendes Studium und die Fügung, die ihn zum Däumchen drehenden Kommissariat gebracht hatte.

      »Gib Nichts auf das, was die Leute denken oder sagen. Du bist immerhin der allnächtliche Herr dieses Polizeireviers.«

      »Im Neunten Bezirk, am Stadtrand. Mit dem geringsten Aufkommen an Straftaten.« Schumann wickelte einen Schokotaler aus und verschlang ihn. »Auch einen?«, bot er an.

      »Nein, danke! Hab noch viel zu tun.« Voss klopfte mit dem Fingernagel auf den Tresen. »Sag mal, wurde die Tote schon eingeäschert?«

      »Nö«, antwortete Schumann mit dem Taler im Mund. Bevor er weitersprach, schluckte er die Köstlichkeit hinunter. »Die liegt jetzt ein paar Tage auf Eis. Wenn sich niemand meldet, der sie vermisst oder identifizieren kann und es weiterhin als Unfall abgestempelt ist, wird sie nächste Woche eingeäschert. Bei einer Mordermittlung darfst du dir die Leiche aber genauer anschauen, zusammen mit dem Arzt und wahrscheinlich Friedrich.«

      »Ich weiß«, grummelte Voss zerknirscht. Dann wäre er am Arsch. Ihm kam eine Idee, wie er die Tote schneller in den Ofen bekam. Er schalt sich für seine Niederträchtigkeit. Doch es blieb ihm keine andere Wahl.

      »Hast du die Adresse vom Doktor? Ich habe nur seine Telefonnummer.«

      Schumann zog die Augen zusammen. »Willst du ihn aus dem Bett hauen?« Er blätterte nebenbei in der Kartei.

      »Ich muss ihm ein paar Fragen stellen.«

      »Mitten in der Nacht? Kann das nicht bis morgen früh warten?« Er hatte die Adresse gefunden und legte die Karteikarte auf den Tresen.

      »Meine Schicht ist nun mal nachts. Und ich ermittle in meinem

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