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      Zurück an seinem Schreibtisch platzierte Voss die beiden Obduktionsberichte nebeneinander. Obwohl fünf Jahre zwischen beiden lagen, hatte sich die Handschrift des Doktors kaum verändert. Friedrich würde der Unterschied nicht auffallen. Voss zückte einen Füllfederhalter und testete auf einem Schmierblatt Linienstärke sowie Intensität der schwarzen Farbe. Er erkannte, dass die Schrift des alten Berichtes mit der Zeit ausgeblichen war, im Gegensatz zum aktuellen Bericht. Das würde dem Bürokraten Friedrich auffallen. Auch der Zustand des vergilbten, fleckigen Papiers machte den zeitlichen Abstand deutlich. Voss’ Plan schien zum Scheitern verurteilt zu sein.

      Er massierte seine Schläfen. Grübelnd kreiste er mit den Daumen darüber. Nach einer Weile schob er ein weißes Blatt Papier unter das fünf Jahre alte Dokument und zeichnete mit dem Füllfederhalter die ersten Linien des Arztstempels nach. Er drückte stärker auf als man es müsste. Wie er die Rundungen des Stempels abgefahren war, kontrollierte er das Ergebnis. Der schwache Abdruck auf dem neuen Papier war gut sichtbar. Er müsste lediglich das Abgepauste säuberlich nachzeichnen. Viel Arbeit, aber notwendig.

      Als er fertig war, streckte er sich und vor allem seinen Arm samt der beanspruchten Hand. Er hatte den Obduktionsbericht soweit abgepaust und nachgezeichnet. Es sah aus wie ein originales Schreiben vom Arzt. Das Datum hatte Voss ausgelassen. Mittlerweile war er vertraut mit den Eigenheiten der Handschrift. Er übte kurz auf dem Schmierpapier, bevor er das aktuelle Datum kritzelte. Die beiden ursprünglichen Obduktionsberichte riss er in kleine Einzelteile, wonach er sie in den Müll warf, zu den goldenen Verpackungen der verspeisten Schokoladentaler der letzten Schicht. Damit war der erste Punkt abgehakt. Die Frau starb durch einen vom Aufprall verursachten Genickbruch ein paar Minuten nach dem Unfall, als sie sich eine Zigarette anzündete, um den Schock zu verdauen, wobei sie durch das Benzin auf ihr in Flammen aufging, was sie vermutlich nicht mehr mitbekam, denn die gebrochenen Halswirbel kappten die Verbindung bei der ruckartigen Fluchtbewegung. Schrecklicher, unausweichlicher Tod.

      Er nahm den Hörer von der Gabel und bediente die Wählscheibe. Ein Verbindungsrauschen begleitete die Warterei. Ein Kriminalkommissar vom, für den Nachtklub Zum Mond zuständigen, Revier in der Innenstadt meldete sich.

      »Gideon Voss vom Neunten Revier. Wurde Ihnen in den letzten 24 Stunden ein Autodiebstahl gemeldet?«

      Der Angerufene redete, schwieg und redete weiter. Anscheinend wurden einige gemeldet.

      »Peter Plogojowitz ist der Fahrzeughalter«, ergänzte Voss. »Ich buchstabiere: Paula, Ludwig, Otto, Gustav, Otto, Julius, Otto, Wilhelm, Ida, Theodor, Zeppelin.«

      Am anderen Ende der Leitung hörte man Gelächter. Auch Voss musste kichern.

      »Ja, das sind viele Ottos.«

      Kurz darauf verdüsterte sich seine Miene wieder. »Nicht? Hm, komisch. Gut, vielen Dank und einen ruhigen Dienst!«

      Voss legte auf. Plogojowitz hatte natürlich keine Meldung gemacht. Aber da sich der Kommissar sowieso bei Adelheid für die Salbe bedanken und sie für eine kleine List benutzen wollte, konnte er Plogojowitz gleich zur Rede stellen.

      Der Nachtklub Zum Mond war, wie immer, gut besucht. Zielstrebig wanderte Voss zur Bar. Den Portier hatte er wieder mit der autoritären Nummer kompromittiert, vorrangig mit der Pistole am Oberschenkel. Im Klub konnte Voss weder Adelheid noch Plogojowitz ausmachen. Er lupfte dafür sogar die Hutkrempe seines grauen Filzhutes nach oben.

      »Peter Plogojowitz«, hielt er der Kellnerin an der Bar seine Polizeimarke hin. Zuerst die Arbeit mit Peter, dann das Vergnügen, und etwas Arbeit, mit Adelheid.

      Die Frau schüttelte den Kopf vor lauter Unverständnis.

      »Chef!«, rief Voss gegen die musikalische Untermalung, was die Frau plötzlich verstand. Sie zeigte nach hinten zu einer unauffälligen Tür.

      Voss nickte ihr zu und ging nach hinten. Verschiedene Männer im Nadelstreifenanzug wollten sich ihm in den Weg stellen, aber seine Marke und die offen getragene Pistole verschafften ihm einen Durchgang. Er konnte das warnende Brummen der Männer vernehmen, ließ sich aber nicht einschüchtern.

      Er hämmerte gegen die Tür. Adelheid öffnete. Sein Herz blieb für einen Moment stehen. Nachfolgend raste es wie verrückt. Er nahm den Hut ab.

      »Gideon«, stieß Adelheid überrascht aus. »Ich hätte dich nicht so schnell wiedererwartet.« Ihre schwarzen Augen durchbohrten ihn. »Hast du mein Geschenk erhalten?«, musterte sie seine Hände.

      »Ja, danke dafür«, stammelte Gideon. »Ist Plogojowitz da?«

      »Nein«, entgegnete Adelheid mit einem Hauch Verlangen.

      »Können wir reden?« Hinter ihm spürte er die Augenpaare der Sicherheitskräfte im Nadelstreifenanzug. Adelheid winkte ihn herein in den mager beleuchteten Raum und schloss die Tür.

      Das alte Sofa und der schiefe Tisch mit dem verratzten Tresor daneben kontrastierten die Aufmachung des edlen Klubs auf eine schräge Weise. Licht und Schatten. Gold und Ramsch. Dumpf erklang die Musik.

      Adelheid setzte sich auf das Sofa und überschlug ihre Beine. Das Kleid spannte sich. Neben ihr war noch Platz für einen Mann. Sie legte den Arm auf die Rückenlehne der vakanten Stelle, was Gideon nötigte, sich genau dorthin zu bequemen. Ihre schwarzen, spitz gefeilten Fingernägel kraulten seinen Nacken. Er vermied es, sie plump anzustarren, denn er hätte nichts anderes gemacht, wenn er zu ihr geschaut hätte.

      »Das gestohlene Fahrzeug wurde nicht gemeldet«, begann Gideon, sich am Riemen reißend.

      Ihr schwarzer Bubikopf näherte sich seinem Ohr. »Ich konnte nur an dich denken, Gideon.« Sie berührte sein Bein mit der freien Hand. Ihr Kirschblütenduft strömte ihm in die Nase und vernebelte seine Sinne.

      »Adelheid!«, ermahnte er sie, um selbst wieder in die Spur finden. »Ihr müsst den Diebstahl unbedingt melden!« Er wandte sich zu ihr, wo er verfolgte, wie ihre Zunge über die gespitzten Schneidezähne in der oberen Zahnreihe fuhr. Ihre blasse Haut schien zu leuchten.

      »Dann melde ich es jetzt bei Ihnen, Herr Kommissar.« Mit dem Finger streifte sie von seinem Bein über das Becken, den Bauch und die Brust an seinen Hals. Dort erhöhte sie den Druck des spitzen Fingernagels, der sich zaghaft in seine Haut drückte.

      Gideon wurde bald wahnsinnig. Ungeheure Hitze strahlte aus seinem Schritt nach oben. »Ich bin nicht zuständig«, musste er eingestehen. »Die Meldung muss im Revier gemacht werden, das für den Stadtteil des Halters zuständig ist – in diesem Fall im Ersten Revier.«

      »Kompliziert«, schüttelte Adelheid ihr Haupt.

      Gideon beobachtete den Schwung ihrer Haare hypnotisiert.

      »Ihr tut euch keinen Gefallen damit«, insistierte er drucklos. Diese Frau konnte alles mit ihm machen. Er sehnte sich regelrecht danach.

      »Apropos Gefallen«, warf sie ein. »Wie laufen die Ermittlungen?«

      »Auch deshalb bin ich hier. Die Obduktion der Leiche war uneindeutig. Die fehlende Anzeige des Autodiebstahls macht Plogojowitz verdächtig, weil er der Halter ist.«

      »Uneindeutig?«, hauchte Adelheid ganz dicht an seinem Hals, wo ihr Fingernagel ein Fadenkreuz skizzierte. Ihr warmer Atem markierte die Stelle.

      Gideon schluckte. Einerseits weil er nicht zu viel verraten durfte. Andererseits weil er ihr schutzlos ausgeliefert war. Im Affekt schaute er auf seine Waffe, auch wenn er nicht wusste, warum er das tat. Eingeübte Polizistenmasche.

      »Anscheinend ist die Tote verblutet«, flüsterte er. »Vor dem Unfall.«

      Adelheid schmunzelte. Sie atmete noch immer dicht an seinem Hals. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Also doch ein Mord?«

      »Das versuche ich auszuschließen.« Hätte er sich rühren können, hätte er sich gegen die Stirn geschlagen. Diese Frau, die er kaum kannte, entlockte ihm einfach zu viel. Seine Hände lagen schweißgebadet auf seinen Oberschenkeln, nicht imstande zu einer Bewegung. Lust lähmte ihn. Selbst die Brandblasen schwiegen.

      »Wenn

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