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      Voss schob ihm das Papier hinüber, auf dem das Kennzeichen notiert war. Nebenbei schlürfte er die dunkelrote Limonade. Plogojowitz beäugte die krakelige Handschrift einen ausgedehnten Moment lang.

      »Was ist geschehen?«, erkundigte er sich beiläufig.

      »Ich hatte gehofft, das von Ihnen zu erfahren.« Voss musste von der Kohlensäure aufstoßen, was seine Autorität untergrub.

      »Sie müssen mir verzeihen, Herr Kommissar, aber ich habe nicht alle Fahrzeuge aus meinem Fuhrpark im Kopf. Können Sie mir das Fahrzeug beschreiben?«

      »Wollen Sie mich hinhalten?«, erhob Voss die Stimme.

      Plogojowitz straffte seine Körperhaltung. Er zeigte zur Bar. »Ich glaube, wir sollten beim zuständigen Revier anrufen. Ich fühle mich nicht wohl, wenn Sie«, er fixierte die Pistole am Oberschenkel, »mit einer Pistole in meinen Klub kommen und mich haltlos verdächtigen.« Er stemmte die Arme auf den Tisch und drückte sich nach oben.

      Voss stand ebenfalls auf. Sein Gegenüber überragte ihn um zwei Köpfe. »Warten Sie!« Die Sache durfte nicht hochkochen. Sein nicht angemeldetes Wildern im fremden Revier hätte Konsequenzen. Genaugenommen durfte er nicht herumschnüffeln, weil es keinen Fall gab. Den vermeintlichen Fall hatte er als Unfall an die Schutzpolizei abgeschoben. Somit wühlte er in zweifacher Ausführung im fremden Revier. Er war weder örtlich noch fachlich zuständig.

      »Vermissen Sie eine Mitarbeiterin?«, versuchte Voss zu besänftigen, indem er einen anderen Weg einschlug.

      Plogojowitz hob eine Augenbraue. Er identifizierte den Geruch des Kommissars, der beim Aufstehen zu ihm herüber geweht worden war. »Gab es ein Feuer?«

      Voss wich baff zurück. Sein hinterfragender Blick gewann an Eindringlichkeit.

      »Sie riechen nach Ruß und Kraftstoff und Ihre Hände sind verbrannt«, nickte Plogojowitz zum Polizisten.

      Voss bestätigte nonverbal. Langsam setzte er sich wieder. Ohne den Blickkontakt abzubrechen, trank er einen weiteren Schluck.

      »Es wäre möglich, dass ich ein Fahrzeug vermisse«, druckste Plogojowitz herum, auf den Zettel mit dem Nummernschild blinzelnd. Auch er hatte kein Interesse an einer umfangreichen Ermittlung in seinem Königreich. Abgesehen davon, blieb er stehen. Der Beamte sollte nicht noch mehr kostbare Zeit erhalten. Der Größenunterschied im Stehen wirkte wie ein Kräftemessen zwischen David und Goliath.

      »Gestohlen?«, warf Voss einen Krümel.

      »Ja, gestohlen«, nahm Plogojowitz die Vorlage dankbar auf.

      »Haben Sie das schon gemeldet?«, forschte Voss nach, immer mit Feingefühl.

      Die schlaksigen Arme winkten ab. »Die Polizei wird im selben Atemzug informiert wie die Versicherung. Und das geschieht erst, wenn die tägliche Bürozeit anbricht.« Er lächelte übertrieben freundlich. »Adelheid wird Ihnen mehr darüber berichten können. Sie ist für Personal und Technik verantwortlich. Glück für uns beide.« Sein dürrer, langer Zeigefinger streckte sich aus der Faust heraus, um eine im Schatten stehende Person anzuvisieren. Dann drehte er den Handrücken nach unten und knickte beide Fingerknöchel mehrfach zur Hand ein, um die Person herbeizuholen. »Entschuldigen Sie mich, Herr Kommissar.«

      Voss sah dem Inhaber hinterher. Auf halber Strecke traf dieser sich mit einer Frau. Sofort beschleunigte sich Gideons Puls, als er das paillettenbesetzte Kleid an einem schönen Körper entdeckte. Schwarze Perlen an Hals, Ohren und Handgelenken zierten zarte, blasse Haut. Der schwarze Bubikopf schimmerte im seichten Licht der Deckenscheinwerfer. Die dunklen Augen schauten zu ihm, schienen ihn festzunageln, wie sie den Lippenbewegungen ihres Chefs lauschte. Gideon konnte seinen Blick nicht abwenden, der den Hüftschwung der Frau verfolgte. Ihr Duft paralysierte ihn, als sie sich zu ihm setzte. Nicht wie Plogojowitz gegenüber, sondern direkt neben ihn. Dafür zog sie sogar den benachbarten Stuhl heran. Sie reichte ihm die Hand zum Kuss. Gideon gehorchte bereitwillig. Sie schmeckte nach Seife, blumig und betörend. Ihre schwarz lackierten Fingernägel waren spitz gefeilt, was Gideon als vorübergehende Modeerscheinung abtat.

      »Adelheid«, stellte sie sich vor. Ihr Lächeln offenbarte in der oberen Zahnreihe zwei angespitzte Schneidezähne, die knapp über die Beißkante der übrigen Zähne herausragten. Auch das schreckte Gideon nicht ab. Die mediale Welt der Metropole veränderte das Frauenbild, das sich bisher auf Kinder, Küche und Kirche beschränkte, auf eine konfrontative, rebellische Weise. »Und Sie sind Gideon Voss, der Kriminalkommissar, der hier nichts zu suchen hat. Dienstlich zumindest«, zwinkerte sie.

      Gideon nickte wie ein unbeholfener Junge, der seinem ersten Schwarm gegenübersteht und vergisst, wie man mit Luft, Kehlkopf, Kiefer und Zunge ein Wort formt.

      Sie lugte zum Zettel. »Der wurde uns gestohlen, aber das hat Ihnen Peter schon gesagt.« Ihre Hand ruhte noch immer in Gideons steifen Fingern. Sie fühlte etwas und inspizierte seine Hand. »Potzblitz! Sie haben sich verbrannt!«

      Gideon machte eine Geste, um die Relevanz für nichtig zu erklären.

      »Ich habe da etwas für Sie.« Sie sprang auf und eilte fort. Im Rücken von Gideon nickte sie Plogojowitz zu, der daraufhin einen zufriedenen Ausdruck aufsetzte.

      Kaum fähig sich zu bewegen, verging die Zeit für Gideon wie im Fluge, bis sich Adelheid wieder zu ihm gesellte.

      »Geben Sie mal her!«, forderte sie seine Hände. Sie hatte eine handliche Dose dabei. Gewissenhaft schmierte sie die halbe Salbe auf die Brandblasen und tupfte mit dem Finger die Haufen vorsichtig platt. Gideon stierte sie an. Ihre Augen waren ungewöhnlich – tiefschwarz wie die Nacht, dazu noch dunkel geschminkt, was sie noch größer machte.

      »Das zieht schnell ein und hilft bei der Wundheilung«, versprach sie, die eingeschmierten Hände beobachtend.

      Gideons Pupillen huschten zur halbvollen Kirschlimonade, was Adelheid registrierte. Sie hob den Finger.

      »Bin gleich wieder da.«

      Die Salbe war noch nicht eingezogen, da setzte sich Adelheid schon wieder neben den Kommissar. Ein Strohhalm landete in der Flasche und sie stellte ein großes Glas mit einer bräunlichen, durchsichtigen Flüssigkeit auf den Tisch. Mit der Limonade samt Strohhalm fütterte sie ihn, damit er mit den eingeriebenen Handflächen keine Mühe hatte, sich zu verpflegen.

      »Wenn Sie mit dem Kindergetränk fertig sind, habe ich Ihnen einen Trink für Männer auf Kosten des Hauses mitgebracht.«

      Gideon genoss ihre Fürsorge. Die Wärme ihrer Hand, mit der sie die Flasche hielt, während er trank, strahlte bis zu seinen Wangen. Ergeben nuckelte er das Fläschchen leer.

      »Rauchen Sie?«

      Gideon schüttelte den Kopf.

      »Sehr gut!« Sie neigte sich zu ihm. »Ich mag diesen Zigarettendunst nicht. Er haftet überall und mein Rachen tut ständig weh.«

      Gideon nickte, um dem zuzustimmen. Die Nähe schenkte ihm eine gehörige Portion ihres unwiderstehlichen Kirschblütenduftes.

      Der Strohhalm wanderte von der Limonadenflasche in das harte Glas. Adelheid hielt ihm den Trink vors Gesicht.

      »Weiter?«

      Wollte sie ihn abfüllen? Er kostete und setzte ab. Das Zeug brannte in seiner Kehle, zog über die Nase ins Hirn und rieb an seinen viszeralen Innenwänden, als er es hinunterschluckte.

      Sie stellte das Glas ab, weil Gideon das Gesicht verzog.

      »Doch kein Mann, mh?«

      Ihr Lachen hörte sich für ihn wie der liebliche Gesang eines Engels an. Dieses prickelnde Gefühl, wenn er sie ansah oder roch oder hörte, hatte er noch nie zuvor erlebt. Selbst bei seiner verschwunden Frau fehlte diese Emotion seinerseits.

      Erwartungsvoll schaute sie ihm in die Augen. Er musste kurz wegschauen, um sich zu besinnen.

      »Danke«, brachte er heraus. Immerhin.

      Adelheid wehrte ab. »Ach, wofür denn?« Wieder dieses

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