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Mit Gold gepflastert .... Marc-Christian Riebe
Читать онлайн.Название Mit Gold gepflastert ...
Год выпуска 0
isbn 9783737572927
Автор произведения Marc-Christian Riebe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich verstand nicht wirklich. Für mich war das alles nur Schmutz, mit dem ich nichts zu tun haben wollte. Ich hatte schon während des Lesens begonnen, mich zu schämen, bei all den für mich schlimmen Wörtern, die in dem Artikel standen. Wir hatten innerhalb der Familie nie über Sex, schon gar nicht über käuflichen gesprochen, eigentlich wusste ich noch immer nicht, was Sache ist, und jetzt das!
Nachdem ich den letzten Satz gelesen hatte, kam ich mir vor, als würde ein bösartiges Wesen mir unaufhörlich in die Magengrube boxen. Erbarmungslos. Noch nie hatte ich mich so blossgestellt gefühlt, obwohl es ausschliesslich um meinen Vater ging. Doch wir waren eine Familie, gehörten unweigerlich zusammen. Meine Mitschüler würden mich fertigmachen, das war klar: «Riebe, Zuhälter-Sohn … Lude … Puff-Riebe …» Tränen der Wut stiegen mir in die Augen. Ich konnte das Grauen, das mich erwartete, förmlich spüren. Mein Bruder Gernot C., der von den Turbulenzen wach geworden und aufgestanden war, noch viel mehr. Er weigerte sich am Montag, in die Schule zu gehen. Ging auch am nächsten Tag nicht. Schloss sich acht Wochen lang in seinem Zimmer ein, und kam nur kurzzeitig heraus, um im Badezimmer zu verschwinden oder etwas zu essen.
Und ich? Ich spürte auf dem Schulweg jeden Schritt in meinem Magen, in meiner Brust. Das kotzte mich an. Die ersten Mitschüler, denen ich begegnete, wollte ich am liebsten ignorieren. Dann ging es auch schon mit der Häme los, ganz so, wie ich es befürchtet hatte. Plötzlich kam der Aussiedler-Status wieder hoch. Wir waren doch nur Zugereiste, Flüchtlinge, und von denen konnte man nichts anderes erwarten als «käuflichen Sex» und «unseriöse Geldgeschäfte». Das hatten die Eltern ihren Kindern übers Wochenende schon beigebracht. Sicher fanden sie die Klamotten, die ich von einem meiner Cousins auftrug, auch nicht gerade lässig, und erst recht nicht die Sachen, die Oma für mich und meine Geschwister nähte. An diesem Morgen kam ich mir wirklich vor, wie der letzte Penner, dazu mit einem Puffvermieter als Vater. Für mich ging an diesem Tag die Welt unter, so sehr schämte ich mich.
Vielleicht rächte sich jetzt, dass ich in der Schule aufsässig war und keinen Bock hatte. Die Lehrer nahmen mich, den «Porno-Riebe», nicht in Schutz. Zwei sprachen mich sogar süffisant darauf an, wo der Puff denn eigentlich sei. Das kränkte mich zusätzlich. Nein, es machte mich geradezu wütend. Doch in die Fresse hauen konnte ich denen ja nicht.
Am nächsten Tag stand in der ersten Stunde Religion auf dem Lehrplan, gefolgt von Latein, beides bei Frau Dr. R., mit der ich nun wirklich nicht konnte. Ich kaufte mir ein Fleischkäsebrötchen beim Metzger mit roter, eingelegter Paprika darin, ass erst einmal in Ruhe und spielte anschliessend Billard in meiner Lieblingskneipe. Während der ersten Pause schlich ich mich ins Klassenzimmer. Diesmal prahlte ich gegenüber meinen Klassenkameraden nicht, geschwänzt zu haben, statt über die Reden und Briefe Ciceros zu philosophieren. Meine Welt hatte sich verändert. Ich wusste nicht mehr, wer Freund oder Feind war. Für mich gab es nichts. In der ganzen beschissenen Welt gab es keinen Platz, wo ich mich akzeptiert fühlte. Es war die Hölle. Und wo steht überhaupt, dass dieser unselige Ort aus Feuer bestehen muss?
Mit Abstand betrachtet frage ich mich, ob mein Vater meinen Bruder und mich – die Kleinen bekamen noch nicht mit, was lief – nicht hätte zur Seite nehmen und sagen können: «Also passt mal auf Jungs. Das mit dem Zeitungsartikel ist nicht schön, aber schlimm ist das auch nicht. Solche Etablissements gibt es in jeder grösseren Stadt, in Zürich, Mailand, Paris, London. Ich gehe mit euch mal in so ein Bordell rein, damit ihr seht …» Und so weiter. Vielleicht wären wir den Anfeindungen gelassener begegnet. Tante Erdmute, die mit dem Journalisten auf der gleichen Uni gewesen war, redete mit ihm. Ach, was sage ich. Sie liess ganz schön Dampf ab. Doch was nutzte das? Der Artikel war geschrieben, veröffentlicht und von den meisten Konstanzer Bürgern gelesen worden.
Mein Vater ging cool mit der ganzen Sache um, sah die Anfeindungen pragmatisch und sich sowieso als Einzelkämpfer. Wer stand schon auf seiner Seite, und welchen Ruf gab es hier eigentlich zu ruinieren? Es kam nur ein lässiges Achselzucken von ihm. Fakt war: Er hatte das Haus Schneckenburgstrasse ersteigert und vermietet, betrieb das Etablissement also nicht selbst. Pech, dass die Thailänderinnen, die im Erdgeschoss in besagtem «Privatklub» arbeiteten, sich allzu offensichtlich aus den Fenstern lehnten, sozusagen die rote Laterne raus stellten. Den männlichen Autofahrern und Fussgängern gefiel das. Der Nachbarschaft, darunter zahlreiche Familien, weniger, zumal das Haus am Rande des Sperrbezirks lag. Es wurde Anzeige erstattet und dabei festgestellt, dass das Freudenhaus seitens des Betreibers behördlich nicht genehmigt war. So kam der Stein ins Rollen. Als dann die Mieten ausblieben, wurde es für meinen Vater finanziell eng. Na ja, der Rest stand in dem Zeitungsartikel.
Hätte der Journalist weiter recherchiert, was Gott sei Dank nicht passierte, hätte er festgestellt, dass Vater in der Emmishofer Strasse einen Sex-Shop betrieb. Der gehörte ihm bereits, als er noch in Meersburg Angestellter gewesen war. In dem Laden wurden Filme vorgeführt und Erotikartikel verkauft. Dabei hatte Vater nicht gesagt: Ich will unbedingt einen Sex-Shop haben! Doch der Mieter, der den Laden zunächst führte, geriet in finanzielle Bedrängnis. Die Geschäftsführung übertrug er seiner Freundin, einer Asiatin. Ab da gingen die Mietzahlungen schleppend und auch nicht in voller Höhe ein. Sie vermietete an einen Osteuropäer unter, was bedeutete, mein Vater sah überhaupt kein Geld mehr. Ihm stand das Wasser bis zum Hals. Er hatte das Haus ersteigert, saniert und musste für Schuldzinsen und Tilgung geradestehen. Er war auf die Mieteinnahmen angewiesen.
Als Mann der Tat dachte er sich: Da gehe ich doch mal schauen, wie der Laden so läuft. Er stellte sich etwas abseits und beobachtete den Geschäftsverkehr, betrieb eine Marktstudie, wenn man so will. Der Sex-Shop lief nach seinen Recherchen bombig! Somit war für ihn klar, dass er das Geschäft ab sofort selbst betreiben würde, anstatt ständig ausstehende Mieten anzumahnen. Er heuerte einen Zweimetermann an, der so gross war, dass er kaum durch die Eingangstür passte. Der schmiss den Kerl, der an der Kasse sass, kurzerhand raus, nahm ihm den Ladenschlüssel ab und beschlagnahmte die Tageseinnahmen als Aufwandsentschädigung für die nicht gezahlte Miete.
Hier passierte all das, was mir als Junge mit Sicherheit peinlich gewesen wäre. Heute allerdings entlockt es mir ein … sagen wir … anerkennendes Lächeln. Man mag über ein solches Verhalten denken, wie man will. Doch eines steht fest: Mein Vater hat sich nicht unterkriegen lassen.
Aber, die Streitigkeiten zwischen meinen Eltern nahmen dramatisch zu. Die Folge: Mein Vater und meine Mutter trennten sich, räumlich zumindest, auch wenn der eigentliche Trennungsprozess sehr dauern sollte.
Meinem Vater ging es zu jener Zeit gesundheitlich schlecht. Er erlitt zuerst einen Schlaganfall und später einen Herzinfarkt. Er war nur wenige Wochen im Krankenhaus und packte danach gleich wieder mit an. Trotzdem war geschäftlich so einiges auf der Strecke geblieben. Ich glaube, ihm fehlten die richtigen Mitarbeiter. Leute, die ihn wirklich entlasteten, anstatt ihm zusätzliche Probleme zu bereiten.
Er geriet in einen finanziellen Abwärtsstrudel, musste zwangsweise Immobilien verkaufen, hielt jedoch mit Sex-Shop und Bordell, Etablissements, die meine Mutter für absolut inakzeptabel hielt, die Familie über Wasser. Das, so glaube ich, hat sie psychisch nie verkraftet.
Meinen persönlichen «Abwärtstrend» konnte ich gerade noch aufhalten und schaffte die mittlere Reife, wenn auch mit Ach und Krach. Dann aber brach ich die elfte Klasse ab und bewarb mich bei der Bodensee-Schiffsbetriebe GmbH, die mich auch einstellte. Der Verdienst war super gut, insbesondere durch die Samstags- und Sonntagszulagen. Während ich voll dabei war, also frühmorgens die Toiletten putzte, Lautsprecher-ansagen machte, Fahrkarten kontrollierte und nach Einarbeitung die Strecke mitfuhr, arbeitete mein Freund Markus ausschliesslich nach der Schule und in den Ferien an Bord. Ich weiss nicht, ob er damals schon zielstrebig eine vielversprechende Karriere anpeilte, doch er wurde später leitender Banker bei einem renommierten deutschen Geldinstitut. Zudem sagte er mir mehrmals eindringlich, beschwor mich geradezu, dass ich mich auf eine Sache konzentrieren und hierin der Beste werden solle. Nur so würde ich im Leben erfolgreich sein.
Das tangierte mich damals noch nicht, denn ich fand meine Arbeit auf dem Schiff echt cool und den Verdienst für mich als Achtzehnjährigen sensationell. Okay, das Toilettenputzen