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in Samtetuis, packten sie in einen Rucksack und brachten das kostbare Gut mit dem Fahrrad nach Hause.

      Eines Tages entdeckte Leo während einer seiner Streifzüge durch die Stadt ein freies Ladengeschäft direkt am Konstanzer Bahnhof. Es war sechzig Quadratmeter gross und viel repräsentativer als das alte. Obwohl er über keinerlei finanzielle Rücklagen verfügte, entschied er, den Laden zu übernehmen und ausbauen zu lassen. Das Geld hierfür beschaffte er, indem er sich seine angesparte Rente auszahlen liess.

      Das neue Geschäft war schön, hell und geräumig. Leider fehlten auch hier die Schutzgitter, sodass mein Vater, damals vierzehn Jahre alt, in den Räumen übernachtete. Freiwillig, wie er mir gegenüber immer wieder versichert hat.

      Der Schmuckladen lief gut. Grossvater verkaufte viele preiswerte Sachen: Andenken, Silberlöffel mit Wappen und Ähnliches. Obwohl keine Miete gezahlt werden musste (die Deutsche Bundesbahn als Vermieter bekam zehn Prozent vom Umsatz), war Geld im Hause Riebe nach wie vor knapp. Leo arbeitete deshalb zusätzlich als Lehrer an verschiedenen privaten Handelsschulen, während seine Frau sich um den Verkauf kümmerte. Nach der Schule halfen die Kinder mit und später kamen zwei Lehrlinge hinzu.

      Zum Dienst fuhr Grossvater wegen seiner Behinderung mit einem Spezialrad. Einmal im Winter rutschte er aus. Oberschenkelhalsbruch. Für das Geschäfts- und Familienleben eine Katastrophe.

      Meinem Opa, kein Mann des Stillstands, fiel eines Tages ein stattliches Haus in der Bahnhofstrasse auf, das ihm gut gefiel. Er behielt es im Blick, und als sich die Möglichkeit bot, es anzumieten, griff er zu und liess das Erdgeschoss umbauen. So entstand ein grosses, repräsentatives Ladengeschäft mit rund zweihundert Quadratmetern. Ein enormer Fortschritt gegenüber dem vorherigen, da er jetzt sehr viel mehr Ware präsentieren konnte, was gesteigerten Umsatz und höheren Gewinn versprach.

      Und dann verstarb mein Grossvater Leo Josef Riebe mit einundsechzig Jahren an einem Herzinfarkt, möglicherweise auch Hirnschlag. Jedenfalls an einer plötzlichen, lebensbedrohlichen Erkrankung, Vielleicht hätte man ihm helfen können. Doch es hielt sich niemand in der Nähe auf, der einen Krankenwagen hätte rufen können. Und meine Grossmutter war dank des Mütter-Genesungswerks zur Kur. Eine Verstrickung unglücklicher Umstände.

      Die Trauer der Hinterbliebenen galt nicht nur einem Mann, der seine Familie über alles geliebt hatte. Sie galt auch einem frechen Kerl, der einst von der Schule geflogen war und es dennoch als Multitalent und Autodidakt zu beträchtlichen beruflichen Erfolgen gebracht hatte. Er war ein Genie, eine Person mit herausragenden Talenten auf vielen Gebieten gewesen, sei es als Gold- und Silberschmied, Lehrherr und Ausbilder, als Pädagoge, Juwelier, Fotograf, Sänger, Klavier-, Bratsche-, Cello- und Orgelspieler, als Dirigent, Organisator, Segler und Schwimmer, Hobbyastrologe, Skat- und Schachspieler, Laienrichter und Schöffe, Mitglied im Bodan-Badenia-Männerchor, Vorsitzender der Heimatvertriebenen Konstanz. Dazu ein begnadeter Redner, Familienmensch und stolzer Vater dreier Kinder. Er besass eine blitzschnelle Auffassungsgabe, viel Idealismus und eine Menge Ideen. Er war allseits bekannt und beliebt. Ein Kerl, von dem mein Vater stets mit Stolz erzählt, und den ich, hätte ich ihn kennengelernt, bestimmt von Herzen gemocht hätte. Eines haben mein Vater und ich jedoch gemeinsam: Respekt für einen Mann, der trotz Invalidität seine Talente genutzt und niemals aufgegeben hat!

      Meinem Vater, der eine Banklehre abgeschlossen hatte und in der Schweiz arbeitete, ging der Tod meines Grossvaters sehr nahe. Ich glaube, dass er sich von dem Moment an verantwortlich fühlte. Was würde mit dem Juweliergeschäft geschehen, von dem das Wohlergehen der Familie abhing? Seine Mutter bat ihn, zurückzukommen und den elterlichen Betrieb in Konstanz weiterzuführen. Sicher hatte mein Vater andere Pläne. Vielleicht war ein Nein auch nicht so einfach auszusprechen, wie es geschrieben steht. Und dann sein Pflichtbewusstsein im Andenken an den Vater. Also sagte er Ja, auch wenn das Geschäft hoch verschuldet war und von Gewinn erst einmal keine Rede sein würde.

      Er entwickelte sich zu einem arbeitsamen, fortschrittlich denkenden Geschäftsmann, neuen Verkaufsideen gegenüber aufgeschlossen. Sein Engagement endete abrupt, als seine Mutter ihn eines Tages zur Seite nahm und meinte, nun müssten sie daran denken, die beiden Geschwister auszuzahlen. Was hier zunächst logisch klingt, löste bei meinem Vater grosses Unverständnis aus. Er war, wie er mir später erzählte, unter der Bedingung aus der Schweiz zurückgekommen, das Geschäft einmal zu übernehmen! Hätte er seine Geschwister ausbezahlt, wäre seine bisherige Arbeitsleistung umsonst gewesen. Er hätte bei null beginnen müssen, was einem Neuanfang gleichgekommen wäre.

      Das frustrierte ihn, anders kann ich es nicht sagen. Acht Jahre lang hatte er alles für das Familienunternehmen gegeben, auch, damit seine beiden Geschwister nach dem Tod des Vaters weiter studieren konnten, und jetzt das! Die ganze Angelegenheit hinterliess bei meinem Vater einen schalen Beigeschmack. Er hielt noch ein weiteres Jahr durch. Danach beschloss er, eigene Wege zu gehen, auch weil seine Geschwister auf einer Auszahlung beharrten.

      Für meine Grossmutter war das eine unschöne Situation. Doch sie dachte nicht daran aufzugeben, und führte den Laden mit Hilfe einer Fachkraft weiter, die bereits bei ihr in Ausbildung gewesen war. Sie verlegte die Räumlichkeiten von der Bahnhofstrasse 6 in die Bodanstrasse 32. Und als es schliesslich zum Verkauf kam, übernahm sie die Verhandlungen in eigener Regie. Ob wirklich erfolgreich, bezweifelt mein Vater. Er meint, dass den eigentlichen Reibach der Nachfolger mittels «Totalausverkauf» machte. Er hätte verstanden, die stillen Reserven auszuschöpfen, die meine Grossmutter seiner Meinung nach verspielt hatte.

      Mein Vater war enttäuscht, wusste jedoch, dass er letztendlich nichts an der Situation ändern konnte. So beschloss er, im zweiten Bildungsweg zu studieren und seinen Abschluss als staatlich geprüfter Betriebswirt zu machen. Darüber hinaus war er mittlerweile verheiratet und Vater von zwei Kindern. Ich als Erstgeborener und mein jüngerer Bruder Gernot C. waren auf der Welt, drei weitere Geschwister sollten folgen.

      Ich war sechs Jahre alt, mein Vater hatte sein Studium abgeschlossen und arbeitete als stellvertretender Leiter der Stadtkasse Meersburg, da sah ich ihn eines Tages Wahlplakate von Dr. Horst Eickmeyer anschleppen. Dieser hatte sich als Oberbürgermeister für Konstanz beworben, und mein Vater unterstützte ihn, zumindest in meiner Erinnerung. Denn ich sehe ihn in Gedanken noch vor mir, wie er an Ständen aktiv Wahlkampf macht. Wenige Jahre später kündigte er seine Festanstellung, gründete City-Immobilien- und Wohnbau GmbH, gefolgt von weiteren Unternehmen. Mut zum Risiko lag in unserer Familie, der Wunsch, eigene Ideen zu verwirklichen, Vermögen zu schaffen und gutes Geld zu verdienen.

      Davon war ich allerdings noch weit entfernt. Ich hatte als Junge völlig andere Probleme. Zum Beispiel fand ich meinen kleineren Bruder Gernot C., der eineinhalb Jahre jünger war als ich, ziemlich anstrengend. Während unserer Vorschulzeit hängte er sich wie eine Klette an mich, wollte überallhin mit und mit meinen Freunden spielen. Der Beginn eines Konfliktes, dessen Auswirkungen noch heute zu spüren ist.

      Aber auch mit den Lehrern kam ich nicht klar, besonders während der Zeit auf dem Gymnasium. Ich denke hier an Frau Dr. R., bei der wir Latein- und Religionsunterricht hatten. Ethik gab es damals noch nicht als Unterrichtsfach, und ich musste mir anhören, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat, die Geschichte von Adam und Eva, dem Sündenfall, der Erbsünde und dergleichen biblischen Geschichten … Ja, ich dachte: Das ist doch völliger Quatsch. Wobei ich mir durchaus Gedanken machte. Diese Unausweichlichkeit der Sünde beschäftigte mich. Ich wollte darüber diskutieren. Wie war es möglich, dass ich als Mensch unentrinnbar von einer göttlichen Erlösung abhängig sein sollte? Und dann die Sache mit Jesus: Wie konnte ein vermeintlich liebender Gott-Vater seinen eigenen Sohn der Folter ausliefern. War das nicht absurd? Hätte Gott die Menschen nicht grundsätzlich so erschaffen können, dass es einer Sühne erst gar nicht bedurft hätte? Oder sollten wir alle einen Schuldkomplex bekommen?

      Fragen über Fragen, die unbeantwortet blieben. Dass ich Thesen infrage stellte und Kontra gab, fand meine Lehrerin respektlos. «Jetzt bist du mal endlich ruhig, du frecher Bub!» Solche Sätze musste ich mir anhören. Und wenn sie gar nicht mehr weiterwusste, schickte sie mich eine Viertelstunde lang vor die Tür.

      Im Musikunterricht und in Latein lief es ähnlich. Nicht, dass ich hier kritische Fragen gestellt hätte. Diese Stunden waren einfach nur sterbenslangweilig, und ziemlich oft bekam ich

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