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Beratungsraumes weit. Sie war sauer. Echt sauer. Erst ließ sie Voigt mit dem armen Herrn Biegel allein, obwohl er mit ihm einen Termin hatte, und sie musste den armen Kerl auch noch anlügen. Ungeniert flirtete Voigt auch noch mit der verheirateten Viola Maurer unter den Augen ihres Ehemanns. Das tat weh. Bisher hatte sie geglaubt, dass sie die Auserwählte neben Voigts Frau war. „Das Schwein!“, sagte sie laut und hielt sich im gleichen Moment die Hand vor den Mund. Ängstlich sah sie sich um. Gott sei Dank, niemand weiter war hier.

      Ein undefinierbarer süßlich-aromatischer Geruch stieg ihr in die Nase, als sie den Aschenbecher mit den filterlosen Zigarettenkippen entleerte. Normale Kippen riechen anders. Sie sah schon darüber hinweg, dass in diesem Gebäude Rauchverbot herrschte. Was haben die da nur gequalmt? In der kleinen Pentry-Küche sortierte sie das Geschirr in den Geschirrspüler. Sie wischte sich eine Träne von der Wange. Warum geriet sie nur immer wieder an so treulose Männer.

      Udos Handy vollführte, getrieben von der Vibration des stillen Alarms, einen Tanz auf der polierten Tischplatte. Udo schrak von der Couch hoch. Schlaftrunken griff er ein paar Mal daneben, bis er das Telefon endlich in der Hand hielt. Scharf sehen konnte er noch nicht.

      „Voss, Udo Voss!“, meldete er sich. Es dauerte eine Weile, bis er die Stimme erkannte. Der Chef hörte sich sehr aufgebracht an. Udo sah auf die Uhr. Er hatte den Termin verpasst. „Bitte entschuldige, Chef! Ich bin gleich unterwegs.“ Ungehalten brüllte der Chef ihn an, sodass auch ohne Freisprechfunktion ein Nichtbeteiligter jedes Wort verstehen hätte können. „OK, Bitte entschuldigen Sie, Chef!“

      Während Udo in aller Hast seine Wohnung verließ und zum Golf eilte, bohrte sich in nicht gekannter Intensität die Frage in seine Gehirnwindungen, warum er so in Ungnade beim Chef geraten war, dass er sogar das Sie verlangte. Dabei hatte er ein ausgesprochen gutes Gefühl über die Verrichtung seines Dienstes. Am ehesten ließ sich die Situation noch mit seiner Suspendierung vor gut zwei Jahren vergleichen. Damals war er unschuldig gewesen, aber niemand, fast niemand, schenkte ihm Glauben.

      Noch als Udo in seinen Golf einstieg, hatte er dieses eigenartige Gefühl der vom Schlaf verklebten Augen, das nur allmählich wich. Er wählte die etwas kurvenreichere aber schnellere Strecke über die Dörfer. Die glatte Straße verführte dazu, die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht allzu ernst zu nehmen. Hoffentlich hatte hier die Verkehrspolizei keine Geschwindigkeitskontrolle eingerichtet. Dennoch hatte er Respekt vor der Straße, was ein schwarz gekleideter Motorradfahrer mit seiner schwarzen schweren Maschine offensichtlich nicht hatte, dessen Rücken mit dem Schriftzug DarkDevils in deutscher Frakturschrift verziert war. Dieses Logo ließ ihn an seinen letzten Fall erinnern.

      Udo schob diesen unangenehmen Gedanken beiseite. Noch immer konnte er sich nicht vorstellen, was der Chef eigentlich von ihm wollte.

      Nur eines wusste er: Für den Chef war die Angelegenheit so wichtig, dass sie keinen Aufschub duldete. Udo trat trotz leichter Kurve ein wenig mehr auf das Gaspedal.

      Kurz darauf sah er die schwarze Maschine auf der Straße liegen und leitete eine Vollbremsung ein. Die Reifen quetschten auf der trockenen Straße. Das linke Vorderrad berührte schon das Motorrad, als er zum Stehen kam. Die Lüftung des Golfs zog den Gestank von verbranntem Gummi in das Wageninnere.

      Von nun an ging fast alles automatisch: Warnblinker einschalten, sich um den Verletzten kümmern, der rund acht Meter weiter an einem Strauch zwischen zwei Bäumen lag. Der Motorradfahrer war nicht ansprechbar, doch konnte er seinen Puls noch fühlen. Er war schwach. Dann Notarzt und Polizei verständigen. Aus einem Riss seiner ledernen Hose am Oberschenkel trat Blut aus. Zuviel Blut, als dass er auf den Notarzt warten konnte.

      Die Folie um seinen eingeschweißten Sanikasten setzte ihm zu. Er versuchte es wiederholt mit den Fingernägeln, dann mit den Zähnen. Wertvolle Zeit verstrich. Endlich, die Folie gab nach. Udo trat Schweiß auf die Stirn. Natürlich klebte die Öffnung die Einmalhandschuhe zusammen. Seine feuchten Finger konnten sie nicht öffnen. Er verzichtete darauf, nahm die Schere und schnitt die Hose des Opfers auf. Ein offener Bruch. Aber die Schlagader schien unverletzt.

      Abbinden, hämmerte es in ihm. Abbinden, mach schnell! Udo sah sich um. „Einen Knebel, ich brauche einen Knebel!“, rief er, doch niemand hörte ihn.

      In der Ferne hörte er schon ein Martinshorn. Udo schöpfte Hoffnung. Doch es wurde wieder leiser. Vorübergehend benutzte er die Schere als Knebel. Mit ihr hatte er nicht genügend Gewalt. Udo fiel der große Schraubendreher unter seinem Sitz ein. Er verhakte die Schere im Verband, was überraschend gut funktionierte.

      Der Schraubendreher. Das war ein guter Einfall. Der Puls war schwach aber stabil. Auch der Atem. Mit dem Werkzeug hatte er genug Kraft, das Bluten der Wunde einzudämmen. Immer wieder kontrollierte er die Vitalfunktionen.

      Die Sirene des Krankenwagens überdeckte alle anderen Geräusche. Plötzlich Ruhe. Autotüren klappten. Der Notarzt kniete sich neben den Verletzten. Udo gab kurz und präzise weiter, welche Maßnahmen er eingeleitet hatte.

      Der Notarzt nickte. „Gut!“

      Udo stand auf. Auch die Polizei war inzwischen eingetroffen. Fast eine halbe Stunde später konnte er seine Fahrt endlich fortsetzen.

      „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, ereiferte sich der Chef. „Erst ignorieren Sie so mir nichts, dir nichts den Termin, dann versprechen Sie mir hoch und heilig sofort zu kommen. Endlich, eine geschlagene Stunde später tauchen Sie hier auf. Verstehen Sie das unter sofort?“

      Udo wollte den Grund nennen. „D…“

      „Jetzt rede ich!“, schrie er Udo an. „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Was muss ich mir noch von einem geschassten Kriminalkommissar bieten lassen? Eine Eigenmächtigkeit nach der anderen. Hier bin ich derjenige, der ’was zu sagen hat, verstanden! Ich stehe dafür gerade, was hier passiert und was nicht passiert. Ich sage hier, was zu tun und zu lassen ist. Es ist mein Geld, das ich ausgeben muss, wenn jemand die Firma verklagt.“ Der Chef setzte sich an seinen Schreibtisch und griff mit zitternder Hand ein Schreiben.

      „Ich weiß nicht, wie oft ich Ihnen das noch sagen soll“, begann er etwas ruhiger. „Sie haben als Wachtmann nicht die gleichen Rechte, wie ein Polizist. Ich wünschte, es wäre anders.“ Dann schrie er: „Aber es ist nicht anders!“

      Das Blatt Papier verstärkte das Zittern seiner Hand. „Was ist das da eigentlich gewesen, bei der Fensterfirma? Hat Ihre Töle tatsächlich den einen Verdächtigen zu Boden gerissen?“

      Endlich kam Udo zu Wort: „Ja, ich habe verschlafen, ja ich bin zu spät gekommen. Aber zu spät gekommen bin ich vor allem deshalb, weil ich einem Unfallopfer helfen musste! Ja, und Hasso hat auch einen jungen Mann zu Boden gerissen. Außer, dass er sich vor Angst in die Hose gemacht hat, ist ihm nichts weiter passiert. Außerdem: Hasso ist ein ausgebildeter, wenn auch pensionierter, Polizeihund. Man versucht eben nicht, Solarpaneele vom Dach zu klauen. Selber schuld.“

      „Und genau das geht über Ihre Kompetenz, Herr Voss. Wenn Sie etwas bemerken, sprechen Sie die Leute an! Einfach nur ansprechen, klar?“ Der Chef schüttelte den Kopf. „Und Ihre Töle,“ er verzog verächtlich den Mund, „Entschuldigung Polizeihund, lassen Sie gefälligst im Auto, wenn er schon unbedingt mit muss!“

      Udo setzte auf eine ruhige Stimme. „Schon vergessen, warum ich jetzt humpeln muss, Chef? Du brauchst dich ja nicht zusammenschlagen lassen. Du sitzt hier fein in deinem Büro. Sag mal, stimmt's bei dir noch? Bei dem miesen Gehalt soll ich mir auch noch die Knochen blau hauen lassen?“

      „Ende der Diskussion! Zum allerletzten Mal: ohne Hund! Das ist eine Weisung! Und in Zukunft per Sie! Verstanden? Und jetzt raus!“

      Das war eindeutig. So zusammengefaltet hatte ihn seit seiner Studienzeit niemand mehr. Die Chance, hier noch etwas zu bewegen, war äußerst gering. Udo nickte und drehte sich wortlos zum Gehen um. Er war schon fast an der Tür, da legte der Chef noch einmal nach: „Eine Kleinigkeit noch und Sie sind gefeuert!“

      Das saß tief. Er ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. So ein Idiot! Hatte er nicht dazu beigetragen, dass die beiden endlich hinter Schloss und Riegel saßen und ihr Unwesen nicht mehr länger treiben

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