Скачать книгу

wenn ich das mal so ausdrücken darf, ein harmloser Wicht sein sollte und womöglich einfach in die Klappse gehört, so dürfte uns die genaue Kenntnis seiner Vorgehensweise und vor allem seiner Motivation weiterhelfen. Es ist also eine Kombination gefragt von routinierter kriminalistischer Arbeit und professionellem Querdenken. Sie kennen das sicher – man versetzt sich in eine Art künstlicher Dummheit, und schon kommt man auf Ideen, die in der Fachliteratur nicht mal ausgeschlossen werden, so abwegig sind sie. Der Vorgang des Sich-Reinigens von allem Wissen wird allerdings in diesen Texten durchaus ausführlich beschrieben, wie Sie sicher wissen.“

      Jan nickte. Auch das noch, dachte er, ein psychologisch versierter Kommissar. Auf so etwas war er nicht gefasst gewesen.

      „Also, Jan, hören Sie zu.“ Endlich meldete sich Karo zu Wort. Sie zog die Farb-Kopie eines Zeitungsberichtes hervor und legte das Blatt mittig auf den Tisch.

      „Das war noch nicht in Ihren Unterlagen. Fest steht, dass Sie ohne den Übereifer dieser Journalistin von den BN, den Berliner Nachrichten, Trixi Matschke mit Namen, die sonst wohl eher für Stars und Sternchen zuständig ist, noch in Ruhe Ihren Umzug hätten abwickeln können. Online war der Artikel übrigens schon früher zu lesen gewesen.“

      Jan zog das Blatt an sich. Der Bericht war von Mittwoch, von gestern. ‚Triebtäter am Teufelssee?’ hieß die Überschrift, darunter das Bild, das Karo ihm schon gezeigt hatte.

      „Wir haben natürlich“, mischte sich Stubenrauch wieder ein, „alle Archive, so weit sie digitalisiert sind, nach dem möglichen Täter durchsucht, der die nach jetzigem Stand der Untersuchungen schon tote Frau mutmaßlich aus ihrer Wohnung in den Wald gebracht und dort so drapiert hat. Wir hatten auch schon damit begonnen, ihr Umfeld zu untersuchen, also mit einem ehemaligen Arbeitskollegen in Eberswalde gesprochen und einigen hier in Berlin. Auch eine Bekannte der Frau haben wir vernommen, die einen Wohnungsschlüssel besaß, zur Tatzeit aber in Urlaub war und so weiter und so weiter.“ Er schnaufte vernehmlich. „Damit war die Untersuchung aber ehrlich gesagt abgeschlossen gewesen“, fuhr er fort, „da kein überragendes öffentliches Interesse bestanden hat und auch keine Kapazitäten frei waren, ganz gleich, ob etwas Neues für die Datenbank herausspringt oder nicht. Bis vorgestern, bis klar wurde, dass diese Frau Matschke von den BN diesen Blödsinn hier veröffentlichten würde.“ Er lehnte sich rüber zu Jan und schlug mit der flachen Hand zwei Mal auf die Kopie des Artikels. „Und im Netz war der Scheiß ja auch schon und wurde ziemlich oft gelesen, das hat mir der Chefredakteur, den ich gut kenne, bestätigt.“

      Er sah wieder auf die Uhr, so als stoppe er die Zeit, die er fürs Reden verwendete. Dann stand er auf und packte seinen Laptop und die Aktendeckel in eine schwarze Schultertasche aus Kunststoff, auf der unübersehbar in grünen Lettern, die sicher im Dunkeln leuchteten, ‚POLIZEI’ stand.

      „Nun gut“, sagte er, „legen Sie mal los, wir erwarten Ergebnisse. So eine von der Presse behauptete Triebtätergeschichte ist nie gut. Da kann man noch so oft sagen, dass von einem Sexualverbrechen nicht die Rede sein kann. Ach ja, die Einrichtung kommt morgen am Vormittag, alles neu, Drucker, Scanner, Whiteboard, Stifte, Magnete, Kühlschrank, Kaffeemaschine und so weiter. Alles außer einer Sekretärin, sonst aber haben wir weder Kosten noch Mühen gescheut. Wir wissen ja, wie wichtig der zwölfte Mann sein kann. Also ahoi.“

      Mit ernster Miene reichte er Karo die Hand, boxte Jan mit der linken Faust augenzwinkernd gegen den Oberarm und war verschwunden.

      „Puh“, sagte Jan nach einer Weile und lächelte Karo an, „das ist also so ein echter Berliner Polizeikommissar?"

      Karo kramte, zur Überraschung Jans, eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche und machte ihm ein Zeichen.

      „Ist es zu viel verlangt, pünktlich zu sein“, fragte sie trocken, als sie draußen standen und über die Stadt sahen, die irgendwie zu glühen schien.

      „Der Typ schmeißt Sie achtkant wieder raus, wenn Sie nicht aufpassen. Der weiß wie das geht, glauben Sie mir. Da fragt der weder mich noch den Polizeipräsidenten.“

      Kapitel 7

      „Was meinte Stubenrauch mit dem zwölften Mann?“, fragte Jan, als sie wieder am Tisch saßen. Karo verdrehte die Augen.

      „Ein blöder Witz, wie das Publikum beim Fußball. Wir sind nunmal das Team Forensik XII“, antwortete sie. „Umso wichtiger, dass wir Ergebnisse liefern. Also dann mal los. Kommen Sie!“

      Auch Karo fuhr einen Volvo, einen Kombi V 70, ungefähr fünfzehn Jahre alt, silberfarben, Benziner. Jan verkniff sich eine Bemerkung. Zum Glück besaß die Karre ein Schiebedach, wenigstens etwas.

      „Wir müssen noch kurz zum Tempelhofer Damm, zum LKA“, hatte Karo verkündet, nachdem sie ihre übergroße Handtasche nach hinten geschleudert hatte.

      „Die Fotos abholen, geht schneller.“

      Sie kurbelte das Schiebedach auf und gab dann ordentlich Stoff, fuhr aber anscheindend ziemlich sicher, wie Jan fand. Wenn er da an Marie dachte, die immer eher gefahren wurde, als dass sie selbst fuhr. Sie wirkte dabei immer irgendwie hilflos, und der Mann machte mit seinem Helferinstinkt beim Autofahren dann eher alles noch schlimmer. Was hatte er sich mit Marie gestritten!

      „Wir sehen uns dann aber erstmal die Fundstelle an und nicht die Fotos“, sagte Karo, „denn allein mit den Fotos kommt man nie weit, weil die meistens scheiße sind, ohne jede künstlerische Qualität.“

      Jan schielte leicht irritiert zu ihr hinüber, sagte aber nichts. War das etwa Ironie? Bei Dunkelgelb schossen sie über die Kreuzung Mehringdamm Gneisenaustraße, dann schaltete Karo einen Gang zurück in den zweiten und röhrte hochtourig eine Steigung hinauf. Wahrscheinlich macht ihr das Spaß, dachte Jan, der nicht wirklich wußte, wo sie waren. Er kannte Berlin eigentlich nicht, drei-, vier Mal war er hier auf einer Konferenz gewesen, das war auch schon alles. Als ihm die Maklerin die Wohnung schmackhaft machen wollte und sagte, sie läge im Bötzow-Viertel, hatte er dementsprechend überhaupt keine Ahnung gehabt, wo das ist und nur „aha“ gesagt.

      Sie hielten vor dem Betonklotz des Landeskriminalamtes, direkt am ehemaligen Flughafen Tempelhof, in zweiter Reihe. Karo sprang raus, wich einem Radfahrer auf dem Radweg elegant aus und verschwand im Gebäude. Was für ein Hintern, dachte Jan. Schon während der Fahrt musste er aufpassen, nicht in Karos Schoß zu starren, denn unter dem engen Hosenanzug konnte man den Schamhügel ziemlich gut erkennen. Weder in Freiburg noch in Mainz, Wiesbaden, Frankfurt, Darmstadt oder Offenbach hatte er die letzten zwei Jahre auch nur eine einzige wirklich attraktive Frau gesehen, abgesehen vielleicht von diesen Edelhuren in Frankfurt, aber das war natürlich etwas völlig anderes. Nach so einer Scheidung, das wusste er natürlich, dauerte es eben eine Weile, bis sich wieder etwas tat. Bei manchen Männern jedenfalls, bei den sensiblen. Auf der Konferenz damals in Wiesbaden hatte es dann aber gefunkt, ganz plötzlich, wenn auch leider nur einseitig. Karo Bartels, dachte er, auf den leeren Sitz neben sich blickend, Hauptkommissarin in Berlin, jung, schön, intelligent, nur dass sie nun so etwas war wie seine Chefin! So schnell veränderten sich die Dinge. Plötzlich wurde die Fahrertür aufgerissen. „Los geht’s, Jan“, rief Karo, „lösen wird den Fall! Und schön den Umschlag zulassen, bis wir vor Ort sind!“

      Sie nahmen die A 113 bis Adlershof. „Das ist die Dahme“, sagte Karo, als sie dann auf einer Brücke in Köpenick in einem Stau standen, da vorne rechts das Schloss, links das Rathaus, ansonsten überall Wasser und Berge, die Berge allerdings mit Anführungszeichen, das sind eher Großhügel. Kennen Sie Berlin eigentlich?“

      Jan hatte natürlich auch jetzt keine Ahnung, wo sie überhaupt sind. Köpenick, Osten, mehr wusste er nicht. Aber ein wenig Small-Talk war schon mal ein gutes Zeichen. Dann ging es weiter, ein Stück den Müggelheimer Damm hinunter und rechts in den Wald hinein, Richtung Müggelturm, dann schließlich mit Karacho einen kleinen steilen Anstieg hinauf bis zu einem Parkplatz.

      „Ich weiß nicht, ob es der Sache dient, einen touristischen Teil einzubauen, doch ein wenig Klettern schadet ja nie.“

      Sie grinste ihn an, während sie ihre Slipper gegen Wanderschuhe tauschte. Selbst Wandersocken hatte sie dabei. Wenn Jan gewusst hätte, dass der Parkplatz auf halber Höhe ist und noch ein steiler Anstieg zu Fuß zu bewältigen wäre,

Скачать книгу