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das hier gewünscht hätte?“

      „Hatte ich auch schon dran gedacht, auch das mit dem Boot ist ja nicht so abwegig, aber natürlich hat niemand nach einem Boot gesucht.“

      „Das sind ja tausend Fragen, wie soll man da jemals einen Täter finden!“

      „Das nennt sich Polizeiarbeit, Jan, was wir hier tun. Kleinkram, Indizien, Fragen, Antworten und am Ende Beweise. Gewöhnen Sie sich schon mal dran. Wenn es einen Täter gibt, finden wir ihn auch. Sehen wir uns noch mal die Fotos an. Beschreiben Sie mir, was sie sehen, so als läge die Leiche noch dort.“

      Jan zögerte. Beim BKA hatte er bei ein paar Fällen eine, seine Rolle gespielt, Stichworte geliefert, Fotos und Videos angesehen. An einem Tatort war er nie gewesen, und auch mit Verdächtigen oder Beschuldigten oder Zeugen hatte er nie Kontakt gehabt. Hier aber war das Ganze echter, realer. Hier hatte eine Leiche gelegen, ein anderer Mensch hat sie dorthin gelegt, sein Werk wahrscheinlich betrachtet, vielleicht auch fotografiert oder gefilmt. Und dann ist er irgendwann gegangen, zurück in sein normales Leben.

      „Gibt es vielleicht“, sagte er, „Fotos von der Leiche im Internet? Das hier“, er beschrieb mit der rechten Hand einen Bogen, „muss doch einen Sinn ergeben, über die Sache selbst hinaus. Alles andere wäre doch kaum denkbar. Warum dieser Aufwand? Man spielt doch nicht Theater vor leeren Rängen. Oder immer nur mit sich selbst vor dem Spiegel. Der Täter sucht Öffentlichkeit.“

      Jan musste an die gute Hilde denken, für die er als Therapeut die Öffentlichkeit gespielt hatte.

      „Naja“, sagte Karo, immerhin ist die Presse dran. Aber Sie haben Recht, ich denke auch, dass der Täter Fotos gemacht haben könnte. Aber ob wir die in einem Bilderrahmen an einer Wand oder in einer Schublade finden oder im Internet, ist noch nicht ausgemacht.“

      „Gut“, sagte Jan, „wir werden sehen. Jetzt mal zur Leiche.“ Er kam sich plötzlich ganz professionell vor. „Also! Eine Frau, Ende zwanzig, mittelgroß, rundes Gesicht, lange, fast schwarze und zu einem Zopf gebundene Haare, der links vom Kopf auf dem Laken liegt. Der Kopf ist nicht zur Seite geneigt, auch das fällt auf. Geschlossene Augen. Sie trägt ein hellblaues, sehr schlichtes Kleid, das fast bis zu den Knöcheln geht, die Füße sind nackt. Die Hände liegen unterhalb des Halses auf der Brust, die Handgelenke sind stark abgeknickt. Trotzdem sieht das nicht unnatürlich aus, wie überhaupt die ganze Figur etwas Gütiges ausstrahlt. Wenn man das so sagen darf. Was denken Sie?“

      „Das Laken ist links und rechts oberhalb des Kopfes zusammengerafft, erwiderte Karo, „liegt sonst aber gleichmäßig auf. Das ist alles sehr ordentlich gemacht.“

      Beide standen jetzt nebeneinander, sahen aber nicht auf eines der Fotos, sondern dorthin, wo die Leiche gelegen hatte.

      „Sollten das vielleicht Flügel sein! Eine religiöse Metapher? Ist das hier ein Ritual gewesen?“, fragte Jan nach einer Weile.

      „Es sind keine Substanzen irgendwelcher Art gefunden worden, keine Drogen, auch keine Kerzenreste, Streichhölzer oder sonst etwas in der Richtung. Aber vielleicht gibt es ähnliche Bilder im Internet, die so eine Zeremonie zeigen, vielleicht sogar ein Video. Wir haben da einen Spezialisten, den werde ich gleich mal anfordern. Aber religiöser Wahn? Glaube ich nicht, doch für so was sind Sie ja zuständig. Da drüben sind übrigens Fußstapfen, kommen Sie, hier ist der Mensch mit der Leiche auf den Schultern fast zwanzig Zentimeter eingesunken.“

      „Also doch Spuren! Warum sind da vier Fußstapfen nebeneinander.“

      „Das sind Referenzspuren, die Kollegen haben ausprobiert, wie tief man einsinken kann mit so einem Gewicht von etwa 60 Kilo auf den Schultern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das also eine Spur vom Täter, allerdings ohne großen Wert. So, und jetzt tragen Sie mich als Leiche mal bis zum Auto! Mal sehen, wie weit Sie als gesunder Mitteleuropäer kommen. Das ist auch ein Teil der praktischen Polizeiarbeit.“

      Kapitel 8

      Karo telefonierte mit einem gewissen Bruno wegen der Internetrecherche. Er sei der beste Mann aus dem Cyber-Crime-Team, erklärte sie, irgendwie zwar auch eine Art Nerd, aber ein netter. Dann gingen sie schweigend zum Parkplatz zurück, wie ganz normale Ausflügler. Auf dem Adlergestell ging es schließlich Richtung Mitte, immer eine Spur zu schnell.

      „Für Antworten“, sagte Karo, „ist es zu früh. Trotzdem, ich denke, der Täter ist ein Mann, und er hat wahrscheinlich alleine gehandelt. Waren Sie schon mal in Neukölln, da wo es so gefährlich sein soll? Nein? Nun, dann mal weiter im Sightseeing. Wir sehen uns die Wohnung von Jana Schäfer mal an. Schlüssel habe ich. Kienitzer Straße, der obere Teil zum ehemaligen Flughafen hin. Hab da mal um die Ecke gewohnt, also keine Angst, Herr Kollege, ich kenne alle Fluchtwege.“

      Jan sagte nichts. Schade, dass er Karo nicht hatte tragen dürfen. Er wusste selbst, dass das nur ein Scherz gewesen war. Andererseits gehörte es ja tatsächlich zur Methode der operativen Fallanalyse, den Hergang nachzustellen, lange bevor man sich überhaupt an ein Täterprofil heranwagte. Sein Handy klingelte. Die Umzugsfirma. Wie war das nun zu regeln? Karo bekommt, dachte Jan sofort, natürlich jetzt alles mit, und wenn er nun nicht einmal so ein kleines Problem lösen konnte, was sollte sie dann von ihm halten? Schließlich einigte man sich darauf, über den Verwalter den Schlüssel zu besorgen, dann mussten noch Kisten gepackt und ein Kleiderschrank zerlegt werden. Alles gegen Aufpreis. Er stimmte einfach allem zu. „Entschuldigung“, sagte Jan überflüssigerweise, während Karo eine riesige Allee entlangschoss. „Treptower Park“, sagte sie, „ist ein kleiner Umweg, aber ich mag Alleen und große Bäume.“

      Von der Hermannstraße bogen sie rechts in die Kienitzer Straße ab. „Folgendes noch ganz kurz, Jan“, begann Karo, nachdem sie eingeparkt hatte. „Wir kennen uns noch nicht. Sie haben etwas aufgegeben in Freiburg, und ich bin dabei, eine große, berufliche Chance zu nutzen, die ich Stubenrauch verdanke. Er hat mir den Fall warmgehalten, auf seine Art. Für mich, damit ich wieder reinkomme in die Arbeit. Es wäre schön, wenn wir den Täter finden, selbst wenn er noch so harmlos ist. Das wäre für uns beide gleichermaßen gut.“

      Jan nickte und sah sie an.

      „Wer Leichen durch die Gegend fährt, kann so harmlos ja auch nicht sein“, sagte er. „Mal sehen, was in der Wohnung zu finden ist.“

      Jan glaubte, eine andere Welt zu betreten, kaum standen sie im Treppenhaus. Ach was, eine andere Welt. Eine andere Zeit! Die rundgelaufenen Holztreppen, die dunkelbraun gestrichenen Wohnungstüren, vier auf jeder Etage, dazu dieser saure Geruch und das trübe Licht. Die Wohnung Jana Schäfers lag im zweiten Obergeschoss links. Karo ratschte mit dem Schlüssel durch die polizeiliche Versiegelung und schloss auf. Ein dunkler Flur, die Türen zu den angrenzenden Räumen waren geschlossen. Ein Geruch nach Weichspüler, nach muffeliger Enge drang ihnen entgegen.

      „Also hier ist es passiert“, fragte Jan leise.

      Karo tastete nach dem Lichtschalter.

      „Mutmaßlich schon“, sagte sie. „Allerdings war nur der Hausmeister hier drin und zwei Polizeibeamte, nachdem einem Mieter aufgefallen war, dass die Wohnungstür nur angelehnt war. Zwei Tage später wurde die Leiche am Teufelssee gefunden und recht zügig als die Jana Schäfers ermittelt, worauf die Wohnung dann versiegelt wurde. Der Bericht der Polizeibeamten gibt keine Besonderheiten zur Wohnung an.“

      Jan war seltsam zumute. Er spürte so ein Kitzeln im Beckenboden, als hätte er Angst. Oder Lust. Ich könnte heute auch ganz gut mit einer zahlungskräftigen Patientin in Freiburg sitzen und mir irgendeinen Unsinn über Zwangshandlungen anhören, dachte er. Reiß dich zusammen, Jan! Karo öffnete die Küchentür, helles Licht drang in den Flur. Ein länglicher Raum, rechts eine Art Einbauküche, ziemlich neu offensichtlich, vor dem Fenster ein Tisch mit zwei Stühlen, Spüle, Waschmaschine, hinten links ein Besenschrank, Heizkörper unter dem Fenster.

      „Nicht grad ein fröhlicher Raum“, sagte Karo, und öffnete dann die niedrige Tür zum Klo. Ein Schlauch, kaum einen Meter breit, Duschkabine am Ende, Kloschüssel auf halbem Weg, ein kleines Waschbecken, ein Becher mit Zahnpasta, die Zahnbürste hatte man zur Bestimmung der DNA mitgenommen. Durch das winzige Fenster oben unter der Decke drang ein wenig Licht herein. Karo öffnete die Tür zum Wohnraum, der etwa 20 Quadratmeter

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