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jetzt richtet er mir so ein Unheil an! Der Herr hat Schaftstiefel mit Randsohlen bestellt, er aber näht Schuhe ohne Sohlen und hat das ganze Leder verdorben. Wie werde ich mich nun mit dem Herrn auseinandersetzen? Eine solche Ware finde ich ja nirgends.«

      Und er spricht zu Michael: »Aber lieber Freund, was hast du denn da gemacht? du bringst mich ja um! Der Herr hat doch Stiefel bestellt, und was hast du genäht?«

      Kaum hat er angefangen, Michael zu schelten, da klopft es an die Tür. Sie sehen zum Fenster hinaus: ein Reiter ist da, bindet gerade sein Pferd an. Sie öffnen. Derselbe Bursche tritt herein, der mit dem Herrn da war.

      Guten Tag.«

      »Guten Tag. Was gibt's?«

      »Die Herrin schickt mich her wegen der Stiefel.«

      »Was ist's mit den Stiefeln?«

      »Was es ist? Der Herr braucht keine Stiefel mehr, er wünscht euch ein langes Leben.«

      »Was sagst du?«

      »Er ist von euch gar nicht lebend nach Hause gekommen. Ist im Schlitten gestorben. Als wir zu Hause vorfuhren und ihm aus dem Schlitten helfen wollten, da lag er schon wie ein Sack; tot lag er da und war bereits erstarrt. Wir konnten ihn nur mit Mühe aus dem Schlitten heben. Daher schickt mich die Herrin her. Sage dem Schuster, so befahl sie mir, es ist eben ein Herr bei euch gewesen, hat Stiefel bestellt und Leder dagelassen. Sage, die Stiefel sind nicht mehr nötig, aber Leichenschuhe sollen schnell aus dem Leder genäht werden. Warte, bis sie fertig sind, und bring sie gleich mit. So bin ich denn hergeritten.«

      Michael nahm vom Tisch die Lederreste, rollte sie zusammen, nahm auch die fertigen Leichenschuhe, schlug einen an den andern, wischte sie mit der Schürze ab und reichte sie dem Burschen. Der Bursche nahm die Schuhe.

      »Lebt wohl, Meister.«

      »Guten Tag.«

       VIII.

      Es verging noch ein Jahr und auch ein zweites. Jetzt lebt Michael schon das sechste Jahr bei Semjon. Er lebt nach alter Art, geht nicht aus, spricht kein unnützes Wort und hat die ganze Zeit nur zweimal gelächelt: das erste Mal damals, als die Frau ihm das Nachtmahl reichte, das zweite Mal, als der Herr die Stiefel bestellte. Semjon kann sich nicht genug freuen über seinen Gesellen. Er fragt ihn auch nicht weiter, woher er sei. Er fürchtet nur das Eine, daß Michael am Ende von ihm fortgehen werde.

      Eines Tages sitzen sie daheim. Die Hausfrau stellt die eisernen Töpfe in den Ofen, die Kinder laufen auf der Wandbank herum und schauen zum Fenster hinaus. Semjon hämmert an dem einen Fenster, Michael sitzt an dem andern und befestigt gerade einen Absatz.

      Der Knabe lief über die Bank zu Michael hin, stützte sich auf seine Schulter und sah zum Fenster hinaus.

      »Onkel Michael, sieh' mal, die Kaufmannsfrau mit den Mädels da, kommt die nicht zu uns? Eines der Mädchen hinkt.«

      Kaum hatte der Knabe das gesagt, als Michael die Arbeit hinwarf, sich zum Fenster wandte und auf die Straße blickte.

      Semjon wunderte sich. Sonst schaut Michael doch niemals auf die Straße hinaus. Jetzt aber hat er das Gesicht an die Scheiben gedrückt und starrt auf etwas hin. Auch Semjon blickt hinaus und sieht, es kommt in der Tat eine Frau auf sein Haus zu, ist nett angezogen und führt an jeder Hand ein kleines Mädchen, in Pelzchen und gewirkte Tücher gehüllt. Die Mädchen gleichen sich wie ein Ei dem andern; man kann sie kaum unterscheiden. Das eine aber hinkt auf dem linken Fuß.

      Die Frau kam die Treppe herauf in den Flur, tastete nach der Tür, drückte auf die Klinke und öffnete. Die beiden Mädchen ließ sie vorangehen und betrat dann selbst die Stube.

      »Guten Tag, Meister und Meisterin.«

      »Bitte einzutreten! Was steht zu Diensten?«

      Die Frau setzte sich an den Tisch. Die Mädchen schmiegten sich an ihre Knie, sie fürchteten die fremden Leute.

      »Den Mädchen da möchte ich zum Frühling Lederstiefelchen bestellen.«

      »Warum nicht, das kann geschehen. Wir haben zwar noch nie so kleine Stiefelchen genäht, aber es geht schon. Es können Randschuhe sein, es können auch umgewendete und auf Leinwand gearbeitete sein. Der Michael ist geschickt in allem.«

      Dabei sah Semjon sich nach Michael um und sieht, Michael hat die Arbeit fallen lassen, sitzt da und wendet den Blick nicht von den Mädchen.

      Und Semjon wundert sich über Michael. Es ist wahr, die Mädchen sind hübsch, dunkeläugig, rotwangig, rundlich, sie haben auch schöne Pelzchen und Tücherchen an, aber dennoch kann Semjon nicht begreifen, warum Michael sie so unausgesetzt anblickt. Es ist fast, als kenne er sie.

      Semjon wundert sich und fängt an, mit der Frau zu verhandeln, um einig zu werden. Dann richtet er das Maß her. Die Frau hebt das lahme Kind auf den Schoß und spricht:

      »Nimm hier von dieser Kleinen das Maß, für das lahme Füßchen mach' ein Stiefelchen, fürs gerade drei, denn sie haben ganz gleiche Füßchen. Die eine genau wie die andere. Sind ja Zwillinge.«

      Semjon nimmt das Maß und spricht, indem er auf die Lahme deutet:

      »Wie ist denn das mit ihr so gekommen? Ist doch so ein hübsches Mädel! Hat sie das von Geburt?«

      »Nein, die Mutter hat sie gequetscht.«

      Nun mischt sich auch Matrjona ein, sie hätte gerne gewußt, wer die Frau ist und wessen Kinder das sind, und fragt: »Bist du denn nicht die Mutter?«

      »Ich bin weder ihre Mutter noch ihre Verwandte, Frau Meisterin. Sind ganz fremde – angenommene Kinder.«

      »Fremde Kinder – und hast sie doch so lieb?«

      »Wie soll ich sie nicht lieb haben, ich habe sie beide an meiner Brust genährt. Ich hatte auch ein eigenes Kindchen, das hat Gott zu sich genommen. Ich habe es nicht so lieb gehabt als ich diese liebe.«

      »Ja wessen Kinder sind's denn?«

       IX.

      Nun wurde die Frau gesprächig und begann zu erzählen:

      »Vor sechs Jahren etwa,« sagte sie, »da wurden diese Kinder in einer Woche Waisen. Den Vater beerdigten wir am Dienstag, die Mutter starb am Freitag darauf. Drei Tage nach dem Tode des Vaters wurden diese Kleinen geboren und die Mutter lebte nach der Geburt kaum einen Tag. Mein Mann und ich, wir lebten damals als Bauern. Es waren unsere Nachbarn, wir wohnten Hof an Hof. Der Vater der Kinder arbeitete im Walde; da fiel eines Tages ein Baum auf ihn, quer über seinen Körper, so daß das ganze Innere herausquoll. Man hatte ihn kaum nach Hause geführt, da hauchte er seine Seele aus. Sein Weib aber gebar in derselben Woche Zwillinge, eben diese Mädchen. Sie war arm und verlassen, stand ganz allein da, hatte weder eine alte Frau, noch irgend ein Mädel bei sich. Allein war sie in der schweren Stunde, allein ist sie auch gestorben. Am andern Morgen ging ich hin, um mich nach der Nachbarin umzuschauen; ich komme in die Stube, sie aber, die Arme, ist schon tot und kalt. Im Todeskampf war sie auf das Mädchen gesunken, hatte es gequetscht und das Füßchen verrenkt. Die Leute liefen zusammen, die Tote wurde gewaschen, angezogen, in den Sarg gelegt, begraben. Alles besorgten die guten Menschen. Nun waren die Mädelchen allein auf der Welt. Wohin mit ihnen? Und von allen den Frauen war ich die einzige, die ein Kind an der Brust hatte. Meinen erstgeborenen Knaben nährte ich seit acht Wochen. So nahm ich sie denn einstweilen zu mir. Die Bauern kamen zusammen und überlegten, wo man sie lassen sollte. Da sagten sie zu mir: ›Du, Maria, behalte doch vorläufig die Mädchen bei dir. Inzwischen werden wir Rat finden.‹ Ich gab zuerst dem gesunden Kinde die Brust, das lahme aber wollte ich gar nicht nähren, ich glaubte, es würde ja doch nicht am Leben bleiben; dann aber dachte ich, warum soll das Engelseelchen verlöschen? Und es tat mir auch das kranke Kind leid. Ich fing an, es zu nähren, und so hatte ich mein eigenes und diese zwei, also drei an der Brust und zog sie alle groß. Ich war jung, kräftig und hatte reichlich Nahrung. So gab mir denn der liebe Gott so viel Milch, daß ich mehr als nötig hatte. Es kam vor, daß ich zwei Kinder stillte, während das dritte wartete; hatte eines von den zweien genug, so kam das dritte an

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