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      LUNATA

Erzählungen und Fragmente

      Erzählungen und Fragmente

      © 1913 Lew Tolstoi

      Aus dem Russischen von Hanny Brentano

      Illustrationen A. Brentano

      Umschlagbild Pieter Claesz

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Wovon die Menschen leben

       Lösche den Funken, ehe er zur Flamme wird

       Gott sieht die Wahrheit, aber offenbart sie nicht gleich

       Die Kerze

       Die drei Fragen

       Die beiden Greise

       Wo Liebe ist, da ist auch Gott

       Die Bärenjagd

       Der Feind ist zäh, aber Gott ist stark

       Kinderweisheit und Männertorheit

       Die beiden Brüder und das Gold

       Iljaß

       Wie das Teufelchen das Brotränftl verdient hat

       Das eigroße Korn

       Wieviel Erde braucht der Mensch?

       Der große Bär

       Die drei Greise

       Bei den Hungernden

      Wovon die Menschen leben

      Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tode. (I. Joh. 3, 14)

      Wer die Güter dieser Welt hat und, wenn er seinen Bruder Not leiden sieht, sein Herz vor ihm verschließt, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm? (17)

      Meine Kindlein, laßt uns nicht mit Worten noch mit der Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. (18)

      Geliebte! laßt uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. (I. Joh. 4, 7)

      Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. (8)

      Gott hat niemand jemals geschaut. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollkommen. (12)

      Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. (16)

      Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und haßt seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder, den er sieht, nicht liebt, wie vermag der Gott zu lieben,

      den er nicht sieht? (20)

       I.

      Es lebte ein Schuster mit seiner Frau und seinen Kindern bei einem Bauern zur Miete. Er besaß weder ein eigenes Haus noch ein Stück Land und ernährte sich und seine Familie mit der Arbeit seiner Hände. Das Brot war teuer, die Arbeit billig, und was er verdiente, das wurde aufgezehrt. Der Schuster und seine Frau hatten nur einen Pelz, und auch der war schon arg zerfetzt. Seit zwei Jahren schon hatte der Schuster die Absicht, Schaffelle zu einem neuen zu kaufen.

      Als es zum Herbst ging, hatte der Schuster ein kleines Sümmchen beisammen: ein Dreirubelschein lag im Koffer der Frau und fünf Rubel zwanzig Kopeken schuldeten ihm die Bauern im Dorf.

      Eines schönen Morgens machte der Schuster sich auf ins Dorf, um einen Pelz zu kaufen. Er zog eine wattierte, baumwollene Jacke seiner Frau über das Hemd und darüber einen langen Tuchrock, steckte den Dreirubelschein in die Tasche, brach sich einen Wanderstab ab und machte sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg. »Fünf Rubel bekomme ich von den Bauern,« dachte er, »meine drei lege ich dazu und kaufe mir Schaffelle zum Pelz.«

      Der Schuster kam ins Dorf und ging zu einem der Bauern – der war nicht zu Hause. Die Frau versprach, den Mann noch in derselben Woche mit dem Gelde hinzuschicken, gab aber kein Geld her. Der Schuster ging zu einem andern Bauern – der schwor hoch und heilig, daß er kein Geld habe, und gab ihm nur zwanzig Kopeken für das Flicken seiner Stiefel. Nun dachte der Schuster die Schaffelle auf Borg zu nehmen; der Gerber aber traute ihm nicht und gab nichts her.

      »Bring' mir das Geld,« sagte er, »dann kannst du dir auswählen, welche Felle du willst. Ich weiß, wie schwer man Schulden einkassiert.«

      So mußte der Schuster unverrichteter Sache wieder abziehen. Nur die zwanzig Kopeken für die Flickarbeit hatte er bekommen und von einem Bauern alte Filzstiefel mitgenommen, die er mit Leder benähen sollte.

      Aus Gram trank der Schuster für die ganzen zwanzig Kopeken Schnaps und machte sich ohne Pelz wieder auf den Heimweg. Am Morgen hatte er gefröstelt, jetzt nach dem Trinken erschien es ihm auch ohne Pelz warm genug. So geht er nun seines Weges; mit der einen Hand klopft er mit dem Stecken an die mit Eis bedeckten Steinchen, mit der andern schwenkt er die Filzstiefel hin und her, und dabei spricht er mit sich selber.

      »Auch ohne Pelz ist mir warm,« sagt er, »hab' ein Gläschen getrunken, das treibt das Blut durch die Adern. Ich brauch' keinen Pelz, ich geh' meiner Wege und vergesse meinen Kummer. Was bin ich doch für ein Mensch! Was fehlt mir denn? Ich werde auch ohne Pelz auskommen, mein Lebtag brauch' ich keinen Pelz. Nur eines: die Alte wird sich kränken. Und kränkend ist es auch: du arbeitest für ihn und er hält dich zum Narren. Wart' einmal: Bringst du mir kein Geld, so werd' ich's dir zeigen. Was soll denn das heißen? Zwanzig Kopeken gibt er mir, was fang' ich mit zwanzig Kopeken an? Das Einzige ist, man vertrinkt es; ich leide Not, sagt er; gut, du leidest Not, leide ich denn keine Not? Du hast ein Haus und Vieh und alles, ich aber hab' nur mich selbst; du hast dein eigenes Brot, ich muß es kaufen; ich mag es hernehmen, wo ich will, drei Rubel in der Woche brauche ich für Brot allein. Wenn ich nach Hause komme, ist das Brot schon alle, und ich kann wieder anderthalb Rubel hergeben, so gib mir auch das, was du mir schuldig bist!«

      So kommt der Schuster zu einer kleinen Kapelle an der Straßenbiegung und sieht gleich hinter der Kapelle etwas Weißes schimmern. Es dämmert schon, der Schuster sieht und sieht, kann aber nicht unterscheiden, was es ist. »Ein Stein«, denkt er, »hat hier nie gelegen, vielleicht ein Tier? Aber es sieht doch nicht aus wie ein Tier. Der Kopf sieht aus wie ein Menschenkopf, aber so weiß ist das Ganze, und warum auch sollte ein Mensch hier sein?«

      Er geht näher heran und sieht nun ganz deutlich – welch ein Wunder! – es ist wirklich ein

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