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muß getötet worden sein, ist ausgeplündert und liegen gelassen; wenn man in seine Nähe kommt, kann man in die Geschichte verwickelt werden.

      Und er ging vorüber. Als er um die Kapelle herum war, sah er den Menschen nicht mehr. Er ging weiter, blickte sich um, und schau, der Mensch ist nicht mehr an die Kapelle gelehnt, sondern bewegt sich, als wollte er etwas sehen. Der Schuster erschrak noch mehr. »Soll ich herangehen,« dachte er, »oder soll ich weiter? Wenn ich herangehe, kann es ein Unglück geben; wer weiß denn, was für ein Mensch das ist? Den hat nichts Gutes hergeführt. Wenn ich mich ihm nähere, springt er vielleicht auf und erwürgt mich, ohne daß ich mir helfen kann; erwürgt er mich aber nicht, schau, so werd' ich ihn vielleicht nicht mehr los. Was soll ich mit einem Nackten anfangen? Ich kann doch nicht meine letzten Kleider vom Leibe ziehen und ihm geben. Gott helfe mir weiter!«

      Und der Schuster beschleunigte seine Schritte. Schon war er weit weg von der Kapelle, als sein Gewissen erwachte und er mitten auf dem Wege stehen blieb. »Was tust du denn, Semjon?« sagte er zu sich selbst; »da stirbt ein Mensch im Elend, du aber bist feig und gehst vorüber. Du bist wohl plötzlich sehr reich geworden und fürchtest, daß man dir deinen Reichtum raube? Ei Semjon, das ist nicht hübsch von dir!«

       II.

      Semjon kehrte um und ging auf den Menschen zu. Er betrachtet ihn von allen Seiten und sieht, das ist ein junger, kräftiger Mann, am ganzen Körper keine Wunde, nur erfroren und erschreckt ist der Mensch. Er sitzt da, an die Mauer gelehnt, und blickt nicht auf, als wäre er zu schwach, um die Augen zu öffnen. Semjon trat dicht an ihn heran, und da plötzlich war es, als ob der Mensch zu sich käme; er wendet den Kopf, öffnet die Augen und blickt Semjon an – und durch diesen Blick gewann Semjon den Menschen lieb. Er warf die Filzstiefel auf den Boden, nahm seinen Gürtel ab, legte ihn auf die Filzstiefel und zog den langen Rock aus. »Da nimm,« sagte er, »laß das Reden, zieh' dich an, schnell! So!«

      Semjon faßte den Menschen unter die Arme und richtete ihn empor. Der Mensch erhob sich. Semjon sieht, es ist ein feiner, reiner Körper; die Hände und Füße sind zart und unversehrt, das Gesicht ist rührend und hold. Semjon warf ihm den Rock über die Schultern; der Jüngling aber fand nicht in die Ärmel hinein. Semjon half ihm die Hände hineinbringen, schlug den Rock zusammen und band ihm den Gürtel um.

      Dann nahm Semjon seine zerrissene Mütze vom Kopf und wollte sie dem Nackten aufsetzen, aber es fror ihn selbst am Kopfe. Da dachte er: »Ich hab' eine Glatze, er aber hat lange lockige Haare!« und er drückte sich die Mütze wieder aufs Haupt; »ich ziehe ihm lieber die Stiefel an!« Er setzte ihn nieder und zog ihm die Filzstiefel an die Füße.

      Nachdem der Schuster den Fremden so bekleidet hatte, sprach er:

      »Nun, Bruder, setz' dich in Bewegung, dann wird dir warm werden. Diese ganze Sache wird sich auch ohne uns aufklären. Kannst du gehen?«

      Der Mensch steht da, blickt Semjon freundlich an, kann aber kein Wort hervorbringen.

      »Warum sprichst du denn nicht? Wir können hier doch nicht überwintern. Wir müssen ein Unterkommen suchen. Da nimm meinen Stock und stütz' dich darauf, wenn du ermattet bist. Vorwärts, Bruder!«

      Und der Mensch ging. Und er ging leicht, ohne zurückzubleiben.

      So ziehen sie ihres Weges und Semjon fragt:

      »Also wo bist du wohl her?«

      »Ich bin nicht von hier.«

      »Die hiesigen Leute kenne ich; wie bist du also hierher geraten, grade zur Kapelle?«

      »Ich kann es nicht sagen.«

      »Wahrscheinlich haben dir die Leute etwas angetan?«

      »Niemand hat mir etwas angetan; Gott hat mich gestraft.«

      »Versteht sich, alles macht Gott; aber immerhin, du mußt doch irgendwo ein Unterkommen haben. Wohin führt dein Weg?«

      »Das ist mir einerlei.«

      Semjon wundert sich. Wie ein Vagabund sieht der Fremde nicht aus. Seine Rede ist sanft, aber er sagt nichts über sich. Und Semjon denkt, es kommt vielerlei vor in der Welt, und sagt zu dem Jüngling:

      »Also komm mit mir ins Haus, kannst dich wenigstens etwas erholen.«

      Semjon geht weiter; der Fremde hält Schritt mit ihm und geht neben ihm her. Inzwischen hat sich ein Wind erhoben, der bläst Semjon nun kalt unter das Hemd; sein Rausch verfliegt und es fröstelt ihn wieder. Laut atmend schreitet er daher, zieht die Weiberjacke fester um sich und denkt:

      »Da hab ich's nun, einen Pelz zu kaufen ging ich aus, und ohne Rock komme ich heim und bringe mir noch einen Nackten mit! Matrjona wird mich nicht loben.«

      Und bei dem Gedanken an seine Frau wird ihm unbehaglich zumute. Wenn er aber den Fremdling ansieht und sich erinnert, wie der ihn dort hinter der Kapelle angeblickt hat, dann hüpft sein Herz vor Freude.

       III.

      Semjons Frau hatte die Wohnung früh in Ordnung gebracht. Sie hatte Holz gehackt, Wasser herbeigeschleppt, die Kinder gefüttert und selbst ein wenig gegessen; nun dachte sie darüber nach, wann sie frischen Brotteig machen sollte, heute oder morgen? Es war noch ein großes Stück Brot übrig geblieben.

      »Wenn Semjon dort Mittag ißt,« dachte sie, »und zum Nachtmahl nicht mehr viel verzehrt, dann reicht das Brot bis morgen.«

      Sie drehte das Brot hin und her und kam zu dem Entschluss: »Ich mach' heute keinen Teig. Hab' ohnehin nicht mehr viel Mehl im Haus, bis Freitag komm' ich schon noch durch.«

      Matrjona legt das Brot fort und setzt sich an den Tisch, um das Hemd ihres Mannes zu flicken. Sie näht und denkt daran, wie Semjon die Schaffelle zum Pelz einkauft.

      »Wenn ihn der Gerber nur nicht betrügt! Er ist doch gar zu einfältig, mein Alter; er selbst betrügt niemand, aber ihn kann jedes kleine Kind an der Nase herumführen. Acht Rubel sind nicht wenig Geld. Da kann man schon einen guten Pelz haben. Wenn auch kein gegerbter, wird es doch ein Pelz sein. Wie haben wir uns vorigen Winter ohne Pelz quälen müssen! Konnten nicht an den Fluß gehen, nirgendwohin. Da ist er nun fortgegangen und hat alles angezogen; für mich ist nichts zurückgeblieben. Früh genug ist er fortgegangen, es wäre schon Zeit, daß er heimkehrt. Wenn er nur nicht irgendwo hängen geblieben ist, mein lieber Alter.«

      Kaum hatte Matrjona das gedacht, so knarrten die Stufen der Treppe, und jemand trat in den Flur. Matrjona steckte die Nadel in die Arbeit und ging hinaus. Da sieht sie, zwei Menschen sind da: Semjon und mit ihm ein Fremder, ohne Mütze und in Filzstiefeln.

      Matrjona spürte sofort den Branntweingeruch, der von ihrem Manne ausging. »Na also,« denkt sie, »es ist, wie ich fürchtete.« Und als sie sieht, daß er ohne Rock dasteht, nur in der Jacke, und daß er nichts mitgebracht hat und ein verlegenes Gesicht macht und schweigt, da will ihr das Herz stillstehen. »Vertrunken hat er das Geld,« denkt sie, »ist mit irgend einem Vagabunden in der Schenke gewesen und bringt ihn noch gar mit sich nach Haus.«

      Sie läßt die beiden in die Stube treten, geht selbst hinein und sieht nun: der Fremde ist ein junger, hagerer Mann und trägt den Rock ihres Mannes. Ein Hemd ist unter dem Rock nicht zu sehen; eine Mütze hat er nicht. Wie er eingetreten ist, so bleibt er stehen, rührt sich nicht und blickt nicht auf. »Das ist kein guter Mensch,« denkt Matrjona, »er fürchtet sich.«

      Sie machte ein finsteres Gesicht, ging zum Ofen und wartete, was die beiden tun würden. Semjon nahm die Mütze ab und setzte sich auf die Bank, als wäre gar nichts Besonderes geschehen.

      »Na, Matrjona,« sagte er, »richte uns was zum Nachtmahl.«

      Matrjona brummt etwas vor sich hin. Sie bleibt unbeweglich am Ofen stehen, blickt bald den einen, bald den andern an und schüttelt nur den Kopf. Semjon sieht, daß seine Alte verstimmt ist; nichts zu machen! Als wenn er gar nichts bemerke, nimmt er den Fremdling bei der Hand.

      »Setz' dich, Bruder,« sagt er, »wir werden nachtmahlen.«

      Der Fremdling setzt sich auf die Bank.

      »Oder

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