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Winterkönig. N. H. Warmbold
Читать онлайн.Название Winterkönig
Год выпуска 0
isbn 9783742783073
Автор произведения N. H. Warmbold
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Seine Majestät, der König, war aus dem Zimmer geeilt, bevor Mara auch nur aufstehen und etwas erwidern konnte.
(1. Tag Monat SSW)
Kapitel 8 – Ein Wiedersehen
Verwirrt schaute Gènaija ihn an, fast verwundert. Als nähme sie ihn erst jetzt richtig wahr. Doch sie schwieg gleich ihm, weinte lautlos.
Irgendwann hob Reik die Hand, wischte ihr sorgsam die Tränen vom Gesicht und nahm sie fest in seine Arme. Und das fühlte sich nicht nur gut, das fühlte sich richtig an, vertraut. Seine Irritation über diese allzu unvermittelte, überraschende Begegnung war wie weggeweht von dem Sturm, der draußen tobte.
Es hatte ihn getroffen, seinen Vater im vertrauten Gespräch mit Gènaija zu erleben, wie es ihm jedes Mal einen Stich versetzte, von ihren Treffen mit Jula zu hören. Sie sollten das klären, möglichst bald, doch jetzt …
Er spürte ihren Körper warm und lebendig unter seinen Händen, ganz nah, liebkoste mit den Fingern zärtlich ihren Nacken und drückte sein Gesicht in ihr wirres Haar; er liebte dessen Duft. Wollte nichts anderes, hätte die ganze Nacht so stehen können. „Du hast gar nichts gegessen, Gènaija.“
„Du ja auch nicht“, gab sie zurück.
Er brummte zustimmend. „Hunger?“
„Und wie!“
„Gut, geht mir genauso.“
Aber keiner rührte sich, keiner machte Anstalten, den anderen loszulassen.
„Gènaija?“
„Ja?“
„Mein Vater …“, begann Reik, wollte ihr zumindest den üblen Streit erklären. „Er will es nicht wahr haben. Nicht, dass es Krieg geben wird, das kann auch er nicht länger ignorieren, aber dass die Ostländer uns dermaßen überlegen sind. Sie haben dreimal, womöglich viermal mehr Männer unter Waffen als wir heute, sie … Und ich habe dich da mit reingezogen. Es tut mir Leid, Kleines.“
„Warum dir?“, murmelte sie, den Kopf noch immer an seine Brust gedrückt.
„Weil ich dafür verantwortlich bin, dass du hier bist.“
„Aber du hast zu mir gesagt …“, wandte sie ein.
„Loranas Worte, nicht meine. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was du tun könntest, was du ändern könntest.“
„Immerhin habe ich hier die Wahl, ich habe zumindest eine Chance. Die hatte ich auf Ogarcha nicht.“
„Eine Chance?“, wiederholte er heftig. „Kleines, ich rede vom Krieg, nicht von irgendeiner verschlossenen Tür oder zwei Frauen, denen du Befehle erteilst.“
„Das hat nichts damit zu tun, dass sie Frauen sind, bei Männern geht es genauso leicht“, betonte Gènaija.
„Das wollte ich damit auch nicht sagen.“
„Es war eine sehr schwere, sehr hohe Tür, aus Stein. Und ich kann noch mehr, ich … Ich könnte den ganzen Tempel zum Einsturz bringen. Vielleicht wäre ich hinterher zwei Tage krank, aber ich könnte es. Ich habe eben noch viel zu lernen!“
Reik hob sanft ihr Kinn und sah sie traurig lächelnd an. „So viel kannst du gar nicht lernen, Kleines. Und ich glaube auch nicht, dass du noch die Zeit dazu hast.“
„Aber …“, begehrte sie auf.
„Kein aber.“ Sein Gesicht war sehr nah an ihrem Gesicht, seine Lippen streiften ihre Schläfen, ihre Wangen, doch er küsste sie nicht, nicht wirklich. „Deine Haut ist so weich, so zart, und du riechst so gut.“
Gènaija lachte leise. „Ich habe eher das Gefühl, ich brauche ein Bad. Milla hat mich direkt aus dem Unterricht geholt, ich bin nicht einmal dazu gekommen, mir Stiefel anzuziehen, geschweige denn mich umzuziehen.“
„Das ist mir aufgefallen. Mach dir nichts draus, ich brauche auch ein Bad. Und ich bin wirklich ausgesprochen hungrig“, fügte Reik hinzu.
„Dann muss ich dich jetzt loslassen?“
„Ich fürchte, ja.“
Seufzend zog Gènaija ihre Hände zurück.
Sie setzten sich zurück an den Tisch und ließen sich das inzwischen kalt gewordene Essen schmecken, irgendeine Wildpastete.
„Reik?“, fing sie an.
Er blickte auf und sah sie aufmerksam an. „Schon satt?“
„Ja. Reik, wer ist Marok?“, fragte sie, „Der König der Ostländer?“
„Nein, sein Bruder. Marok, Urlis Marok, ist der Heerführer der ostländischen Armee“, erklärte er.
„Ich verstehe. Aber er könnte Mandura den Krieg erklären, als Heerführer?“
„Als Heerführer nicht, nur … Wie es aussieht, ist Marok derjenige, der in Kalimatan das Sagen hat, auch wenn sein älterer Bruder die Krone trägt.“
Nachdenklich musterte Gènaija die Reste auf ihrem Teller, wartete. Der Sturm fegte donnernd um die Mauern, die Holzscheite im Kamin knisterten und knackten. Gelegentlich zischte es, wenn durch den Schornstein Regentropfen auf die glühenden Holzscheite fielen.
Schließlich fuhr Reik fort. „Es heißt, vor langer Zeit sollen Mandura und Kalimatan Teil eines Landes gewesen sein, relativ eigenständige Teile eines einzigen, riesigen Reiches. Zwar beide mit eigener Sprache und eigenem König, aber regiert von einem Großkönig. Irgendwann und irgendwie kam es jedoch zum Streit zwischen Mandura und Kalimatan, und, nach langen, heftigen und oftmals gewaltsamen Auseinandersetzungen, zum Krieg und in der Folge zum Zerfall des Reiches. Seither brechen immer wieder Kriege zwischen uns und den Ostländern aus, und immer dreht sich alles um die Frage, wer rechtmäßiger Nachfolger des Großkönigs ist: der König von Mandura oder der von Kalimatan.“
Gènaija sah ihn fragend an. „Und?“
„Das willst du von mir wissen?“, Reik lachte. „Ich will ehrlich sein, Kleines: ich weiß es nicht, und ich halte die Frage auch für unerheblich, selbst wenn sie sich klären ließe. Das Ganze ist so lange her, ich bezweifle, ob überhaupt noch jemand Anspruch auf den Titel des Großkönigs hat. Und womöglich ist die Geschichte von jenem Imperium nicht mehr als eine Legende.“
„Existieren denn keine Aufzeichnungen, alte Urkunden oder so etwas?“
„Es soll einige sehr alte Schriften in der Alten Sprache, die als die gemeinsame Sprache jenes Reiches angesehen wird, geben, aber die Verfasser waren entweder Manduraner oder Kalimatan, Ostländer, wem soll man da glauben?“
Gènaija staunte. „Die Ostländer kennen die Alte Sprache?“
„Sie ist hier wie dort bekannt, aber nur in Schriftform, und sie wird nicht mehr verwendet, schon gar nicht gesprochen.“
„Es gibt im Tempel eine Menge Aufzeichnungen in der Alten Sprache, und nicht alle sind so alt“, erklärte sie ihm.
„Nicht?“ Er lächelte sie an, und Gènaija lächelte sanft zurück. „Nein.“
Sie verstummten, doch es war kein unangenehmes, kein peinliches Schweigen, jeder hing einfach nur seinen Gedanken nach.
Schließlich stand Reik auf und sah Gènaija auffordernd an. „Komm mit.“
„Wohin?“, wollte Gènaija wissen.
„Ich zeige dir, wo du schlafen wirst. Und wolltest du nicht auch noch baden“, erinnerte er sie.
„Ja, unbedingt.“ Rasch erhob Gènaija sich und folgte ihm durch einige Räume, einen endlos langen Gang, in dem ihre Schritte widerhallten. Schließlich stiegen sie eine breite, elegant geschwungene Treppe hinauf. Oben erwarteten