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verschwinden.

      »Zwei Neuigkeiten: Frau Hillebrandt war in der Pathologie. Ich habe sie begleitet. Sie war tapfer. Die Kosmetikerin in der Pathologie hatte ihn den Umständen entsprechend ordentlich hergerichtet. Sie hat ihren Mann identifiziert. Danach fragte sie nach der Beerdigung. Da noch kein Abschlussbericht vorliegt, konnte ich darüber keine Auskunft geben. Ich habe ihr versprochen, sie sofort anzurufen, sobald die Obduktion abgeschlossen ist. Heute Morgen habe ich nochmals in der Pathologie angerufen. Rother glaubt, am Montag ist sie fertig. Dann können wir den Leichnam freigeben. Die andere: Herr Dr. Brinkhoff war gestern Abend noch hier. Wir haben das Protokoll aufgesetzt und er hat unterschrieben. Bei der Gelegenheit habe ich ihn gleich nach dem Jägertreffen im Allgäu gefragt. Er hat anscheinend – er zitierte aus seinem Notizbuch - ›keinerlei Kenntnis von einer intensiveren Verbindung zwischen Hillebrandt und einer anderen Person‹, wie er versicherte. Ich halte die Aussage …, vorsichtig ausgedrückt, schlichtweg für eine Unwahrheit.« Er ergänzte: »Nicht wahr?«.

      Berendtsen blickte seinen Kollegen verblüfft an. Dann platzte er vor Lachen.

      »Das glaube ich sofort.« Berendtsen bot seine Tüte an. Vergebens. Er selbst wählte ein grünes. »Schreibst du alles in Stenografie auf, wie ich sehe?«

      »Immer schon. Ich habe in der Oberstufe ein Wahlpflichtfach belegt. Ich hatte viel Spaß daran und habe dementsprechend viel geübt. Es macht sich bemerkbar.«

      Berendtsen war erstaunt. Sie arbeiteten bereits ein volles Jahr zusammen, aber er hatte es nie bemerkt, wohl gewundert, mit welcher Geschwindigkeit Hallstein die Stichworte eingetragen hatte.

      »War die Spusi gestern noch in Sythen? Hat jemand etwas mitbekommen?«

      »Willi war selbst dabei. Ich habe aber noch keine Infos. Der PC ist jedenfalls mit einem Passwort geschützt. Das dauert noch. Da muss erst Schubert ran.«

      »Wer?«

      »Schubert, unser neuer EDV-Experte. Soll fähig sein.«

      »Schubert heißt er? Ein hoch aufgeschossener Blonder? Habe ich schon kurz bei der Spurensicherung getroffen. Er machte auf mich einen leicht ungepflegten Eindruck.«

      »Da könntest du recht haben, mein Freund. Dafür ist er aber ein top Mann. Er soll keinen Staat machen, er soll Probleme lösen. Das tut er.«

      Berendtsen erkundigte sich per Handy bei Willi, der aber nichts Neues zu berichten wusste. Er trank den Rest Kaffee mit einem großen Schluck aus und setzte eine Kaskade von Widrigkeiten in Bewegung. Er verschluckte sich, hustete heftig. Der Löffel rutschte von der Untertasse unter den Tisch. Erst musste er einen Stuhl verrücken, dann den Tisch, in die Ecke kriechen, um den Löffel zu erreichen, stieß sich auf dem Rückweg den Kopf, fluchte über die Situation und warf den Löffel ärgerlich auf die Untertasse, die einen Riss davontrug. Zu allem Unheil entdeckte Uschi einen Kaffeefleck auf seinem weißen Hemd. Mit etwas Mineralwasser hatte sie den Schaden umgehend behoben. Das beinahe schadenfrohe Lächeln in ihrem Gesicht fand er gar nicht lustig. Ein Blick auf die Uhr. Um diese Zeit war Brinkhoff noch in der Natur unterwegs. »Ich denke, im Moment können wir nichts unternehmen. Ich bin im Büro.« In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Hast du Lust, gegen zehn Uhr Kaiser Otto zu besuchen?«

      »Ich bin in einer Stunde bei dir im Büro.«

      Berendtsen rief Vera an. Frau Dr. Vera Zimmermann war die Kriminaldirektorin und Polizeichefin im Kreis Recklinghausen, mit der er seit der Schulzeit eng befreundet war. Er berichtete kurz über den Stand der Ermittlungen wie sie weiter vorzugehen gedachten. Dann kam er über seine Familie auf seine Tochter zu sprechen und auf die Schwierigkeiten des Jurastudiums. Sie konnte ebenfalls ein Lied davon singen. Ganz nebenbei erwähnte er die Hausaufgabe seiner Tochter und erzählte von ihrer Not. Vera zeigte großes Verständnis und erklärte aus dem Stehgreif kurz und übersichtlich, wie dieser Fall im Allgemeinen entschieden würde. »Das Problem bei unserem Studium ist, dass alle recht haben können, wenn sie nur dementsprechend argumentieren«, lachte sie. Ihr war es in den Anfangssemestern ebenso ergangen. Berendtsen dachte an Sophie. Sie war lieb und gescheit, sehr ehrgeizig, aber manchmal fehlte ihr Mut und Geduld und Entscheidungsfreudigkeit. Das hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die auch stets vorausschauend und planend agierte und weniger spontan war als er. Sein Blick fiel auf sein iPad. Er hatte zum aktuellen Fall in seine neue App noch nichts eingetragen. Wenn sie auch noch nicht betriebsbereit war – ob es jemals dazu kam ließ er dahingestellt -, so hatte er mehr Spaß daran, sie zu programmieren als mit ihr zu arbeiten. Er hatte in Hamburg begonnen, sich tief in die Sprache PHP einzuarbeiten. Es machte ihm Spaß. Er hatte eine Menge nachzutragen. Es ging um die Leiche, m/w/, wer, wann, wie und wo waren die wichtigen Felder zu Anfang des Protokolls. Zeugen? Er war gerade dabei, die Personalien von Dr. Otto Brinkhoff einzugeben, als Hallstein nach kurzem Klopfen in sein Büro eintrat und ihn daran erinnerte, dass sie sich um halb zehn auf den Weg machen wollten. Nach einem routinierten Griff in die Schublade, um die Reserve an Bärchen für unterwegs aufzustocken, schnappte er sich sein Jackett und schloss hinter Hallstein die Tür ab.

      Hallstein hielt ihm die Beifahrertür auf. Berendtsens Erstaunen kommentierte er mit »nur so«. Sie brauchten knapp eine Stunde bis in die Widukind Straße.

      Sie parkten vor dem Haus aus gebrannten Ziegeln in verschiedenen Rottönen. Eine niedrig geschnittene Hecke aus Lebensbäumen säumte eine kleine Mauer aus denselben Steinen mit aufgepflanzten kurzen Metallstäben in der Form kleiner Pfeile, quer verbunden durch zwei parallele Metallstäbe. Das Tor in der Mitte der Abgrenzung stand offen. Sie gingen die wenigen Schritte über die Terrazzoplatten durch den Vorgarten, stiegen die fünf Stufen hinauf und schellten an. Brinkhoff stand bereits hinter der Tür und öffnete prompt mit den Worten: »Ich habe ihn schon oft ermahnt, aber es nützt nichts. Er lässt das Tor penetrant offen. – Der Postbote«, ergänzte er auf die Blicke der Kommissare hin. Sein Handschlag war kräftig für sein Alter. »Freue mich über ihren Besuch. Nicht wahr. Treten Sie bitte ein.« Er führte sie durch einen langen Flur am Wohnzimmer vorbei direkt auf die Terrasse. Berendtsen konnte einen kurzen Blick in die Stube erhaschen: glatte Flächen, Kirschbaumholz, Sekretär nebst Anrichte, ein Flügel. Parkettboden. Biedermeier. Passte zu ihm, stellte er fest. Die Markise war nach dem morgendlichen Schauer bereits wieder ausgefahren und die Bezüge waren ordentlich auf den Gartenmöbeln festgezurrt. An der Wand lehnte ein Wischer. Anscheinend hatten sie den Hausherrn bei seiner Arbeit unterbrochen. Die Fliesen waren gewischt, aber noch stand eine kleine Pfütze auf dem schmiedeeisernen antiken weißen Tisch auf dem Rasen, ebenso auf den Sitzflächen der vier dazu passenden Stühle. Ein kurzer Blick auf seine Schuhe – feucht.

      »Darf ich Ihnen etwas anbieten, meine Herren Kommissare? Ein Glas Wasser dürfen Sie mir nicht abschlagen, nicht wahr.« Er servierte das Wasser aus einer Kristallkaraffe aus dem Wohnzimmerschrank in die dazu passenden Gläser. Er schien in Berendtsens Augen nicht häufig Besuch zu haben, sonst würde er nicht solchen Aufwand mit dem »Guten« betreiben. »Was führt Sie zu mir, meine Herren?« Er legte ein Buch an die Seite. »Schmeil-Fitschen. Das Standardwerk der Pflanzenbestimmung. Ganz neu erschienen. Muss von Zeit zu Zeit etwas repetieren, nicht wahr. Durch den ständigen Gebrauch des Smartphones wird man immer vergesslicher. Das merkt man schon an den Telefonnummern. Früher konnte ich wer weiß wie viele Rufnummern auswendig wählen. Heute drückt man auf das Telefonbuch … fertig.«

      »Ein schönes Anwesen haben Sie hier, Herr Dr. Brinkhoff. Alles wunderbar gepflegt. Die Gartenarbeit obliegt Ihnen, dem Mann der Naturkunde? Ich sehe sogar ein Gewächshaus.«

      »Mein Hobby, nicht wahr. Ich habe verschiedene Pflanzen, die sehr selten anzutreffen sind und viel Aufmerksamkeit erfordern. Mein ganzer Stolz ist ein kleines Biotop in diesem Glashaus, in dem mehrere Exemplare des Sonnentaus und des Fettkrautes wachsen. Sagen Ihnen die Pflanzen etwas?«

      »Es sind Karnivoren, fleischfressende Pflanzen, Drosera rotundifolia, weiß ich, aber den lateinischen Namen der anderen kenne ich nicht. Gesehen habe ich aber mal ein Fettkraut in den Alpen, am Ufer eines kleinen Biotops im Vinschgau.«

      »Richtig! Genau da findet man sie. Pinguicula alpina. Behalten Sie den Namen, Berendtsen, werde ihn bei Gelegenheit abfragen, nicht äh, nicht wahr.« Plötzlich war er zurückversetzt in sein Leben als Biologielehrer. Mit entsprechender Miene

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