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anzumerken.«

       »Das heißt, Anwalt Hobart will den Dingen ihren Lauf lassen, um seinen Familiennamen so unbeschädigt wie möglich zu halten.«

       »So könnte man es sehen.«

       Olivia schluckte ihre Empörung hinunter: »Damit gibt er indirekt dem Verdacht Raum, sein Neffe sei tatsächlich der Täter.«

       »Formal ist das richtig, er selbst will nicht glauben, dass dieser Neffe überhaupt in Gefahr ist.«

       »Lady Laureen, halten sie Ihren Mandanten für schuldig oder unschuldig?«

       »Ich neige entschieden zu der Annahme, dass er unschuldig ist.«

       »Warum lassen Sie sich dann von einem alten Mann aufhalten, einen Privatdetektiv zu beauftragen, hinter dieser glatten Oberfläche herumzustochern?«

       »Weil ich möchte, dass Sie mir helfen!« Laureens Haltung straffte sich erneut. »Bitte lassen Sie mich vorweg sagen, dass Sie natürlich einen ordentlichen Tagessatz und alle Unkosten ersetzt bekommen. Das ist selbstverständlich und vollkommen unabhängig vom Ergebnis. Ich bin mir bewusst, wie kostbar Zeit ist.«

       »Ich bin kein Detektiv!« Olivia unterbrach Laureen energisch. »Und ich will ganz bestimmt keiner werden. Vielleicht können Sie sich nicht vorstellen, wie froh ich war, wieder ruhig schlafen zu können nach den Problemen in Buckinghamshire. Meine journalistische Arbeit im Haus von Lady Gaynesford hat mich mit in den Mordfall verwickelt. Aber ich versichere Ihnen, Schreiben ist mir sehr viel lieber als Detektivspielen! Und ich kann es auch besser.«

       Laureen blieb unbeirrt: »Sie müssen mir helfen, weil Sie der einzige Mensch sind, der das kann. Die Polizei hat fast das halbe Dorf vernommen, ohne klüger zu werden. Ich habe die Zeugen vor Gericht befragt. Ergebnislos. Dabei beobachtete ich wieder diese seltsame Simplizität: Die Befragten waren meiner Überzeugung nach wirklich so ratlos, wie sie antworteten, ich stimme da mit der Einschätzung der ermittelnden Beamten überein. Aber irgendwo muss es eine Erklärung geben. Es kann nicht anders sein. Ein Mord kommt nicht über die Menschen wie Hagelschlag. Auch Totschlag nicht. Sie mit ihrem ausgeprägten Ohr für Sprache fangen vielleicht in einem Geplauder über einen völlig mordfremden Inhalt irgendeinen Gedanken, einen Halbsatz auf, mit dem wir doch noch etwas anfangen können. Das ist meine Hoffnung. Mögen Sie sich nicht das eine oder andere Thema für einen Zeitungsessay suchen und nach Norfolk aufbrechen?«

       »Haben Sie mit Anwalt Hobart schon über mich gesprochen?«

       »Nein. Ich kam zuerst zu Ihnen!«

       Dieser Bescheid erleichterte Olivia, ohne dass sie weiter darüber nachdachte. »Warum glauben Sie, Anwalt Hobart werde mich eher akzeptieren als einen Privatdetektiv?«

       Laureen zögerte kurz, während sie in Olivias offenes Gesicht blickte. »Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch, wenn ich zu der Taktik greifen möchte, Sie als Journalistin in Windermere Grove einzuführen. Wir sollten uns der Unterstützung von Mr Hobart versichern. Neben dem, was ich über ihn bereits gesagt habe, ist er ein kluger und angesehener Mann, dessen Meinung in jener überschaubaren kleinen Welt dort oben von großer Bedeutung ist. Die Leute werden viel bereitwilliger mit Ihnen reden, wenn sie sehen, dass Sie im Manor House empfangen werden. Ihm selbst erleichtern wir seine Gastfreundschaft, wenn er sich wenigstens anfangs nur über Norfolk unterhalten muss. Zu meiner moralischen Entlastung kann ich anführen, dass Mr Hobart auch ein einsamer alter Hagestolz ist. Wenn Sie sein Vertrauen gewinnen und ihn zum Sprechen über unser Problem bringen können, helfen Sie ihm, den Schock zu verarbeiten.«

       Olivia schaute Laureen belustigt an: »Und außerdem dient alles einer guten Sache… Ich sehe den Hasen laufen. Ob ich Lust habe, den Wettlauf mit ihm aufzunehmen, bezweifele ich aber doch sehr. Zumindest muss ich das Ganze überschlafen.«

       Laureen Gaynesford erhob sich: »Mehr darf ich heute von Ihnen auch nicht erwarten. Ich wünsche inständig, Miss Lawrence, dass Sie einen Weg wählen, der meinen Klienten und mich wieder hoffen lässt. Darf ich Sie morgen gegen Abend anrufen?«

       Olivia war einverstanden. Gemeinsam mit Leonard geleitete sie ihren Gast bis zur Gartenpforte; und gemeinsam sahen sie der aufrechten, schlanken Gestalt in dem gelben Kostüm nach, wie sie in der Dämmerung der herbstlichen Platanenallee davonging. »Ist sie wirklich oder bilde ich mir das alles nur ein?« wandte Olivia sich an Leonard. Als sie die Straße wieder hinunterschaute, war die Gestalt verschwunden. Noch einmal sah sie in Leonards Gesicht – er war ganz sicher wirklich. Sie hob sich auf die Zehenspitzen, drückte ihm einen festen Kuss auf den Mund und verschwand durchs Haus im Garten. Als erstes holte sie die Kiste mit den Äpfeln auf die Terrasse und anschließend die alten Spankörbe aus dem Lagerraum an der Gartenmauer. Behutsam legte sie einen Apfel nach dem anderen in die Körbe. Als sie damit fertig war, verteilte sie sie im Haus, wie sie es immer um diese Jahreszeit tat. Die leere Kiste trug sie zurück und verräumte sie zusammen mit der Säge und den noch im Gras bei dem alten Apfelbaum herumliegenden Geräten im Lagerraum. Ihr Großvater war Schreiner gewesen und ein paar übriggebliebene Bretter lehnten hier noch immer an der Wand. Sie ging ins Wohnzimmer zurück, schloss die Tür zum Garten und schnupperte, ob nicht schon das erste Aroma von den Früchten aufstieg.

       Leonard hatte indessen Tee gekocht und ein paar Crumpets geröstet, beides wartete vor dem Kamin. Olivia setzte sich, zog die Füße unter sich und wärmte die klamm gewordenen Finger an dem heißen Teebecher. »Leonard, was denkst du über Pierre Archibald Hobart-Varham?«

       »Ich denke, dass er unschuldig ist!«

       »Donnerwetter! Und was macht dich so sicher?«

       »Stell dir einen Mörder vor, der an der Furt auf sein Opfer wartet. Es kommt, er schlägt zu, legt die zu Boden gegangene Gestalt mit dem Gesicht ins Wasser und wartet, bis sie ganz sicher tot ist. Dann hockt er sich daneben und wartet auf einen Zeugen. Hältst du eine solche Geschichte für plausibel?«

       »Nein! Genau genommen ist sie albern. Und doch hat sie Pierre Hobart eine Mordanklage eingebracht. Aber das habe ich die ganze Zeit schon nicht verstanden.«

       »In meinen Augen ist seine schwerste Hypothek der eigene Onkel, der sich angesichts der unerwarteten Situation verhält wie ein Maikäfer, der auf den Rücken gestoßen wurde. Dieses Verhalten ist um so merkwürdiger, als er von Beruf Anwalt ist: Unerwartete Situationen sollten für ihn Routine sein. Durch den fehlenden Gegenwind machte er es der Polizei besonders leicht, sich auf ihrem raschen Ermittlungserfolg auszuruhen. Im Grunde ganz einfach.«

       »Es ist alles so schrecklich einfach, nicht wahr? Als wäre dieser Mord eine spontane Mutwilligkeit des Schicksals gewesen, das sich anschließend mit einem Flügelschlag wieder darüber erhob und spurlos verschwand.« Olivia stellte ihren Teebecher ab und sprang auf. Nachdem sie einige Male im Zimmer auf- und abgelaufen war, ging sie hinaus in den dunklen Garten. Eine Weile lang stand sie konzentriert mitten auf ihrem Rasen. Plötzlich löste sich die gespannte Körperhaltung in zwei aufeinander folgende Handstandüberschläge. Sie hielt inne, roch an einer späten Rose und kam gelassen zurück zum Kamin.

       »Leonard, das ›spurlos‹ ist der Beweis für die Unschuld von Pierre Hobart! Der Mord wurde vom Dorf aus gesehen hinter der Brücke verübt, dort gibt es aber nur die Spuren von Charlotte Hewitt. Pierre Hobart kam wie sie vom Dorf, seine Spuren beweisen es. Er musste also ebenfalls über die Brücke, wenn er sie dahinter erschlagen wollte. Aber er ging nicht über die Brücke, sondern direkt ins Wasser – verdammt noch mal, darauf hätte doch jemand kommen müssen!« Sie setzte sich. »Totschlag dürfen wir damit ausschließen, weil der Mörder so spurlos agierte, wie das nur bei perfekter Planung denkbar ist. Ein perfekter Mord aber muss einen Grund haben und das heißt, Charlotte Hewitt war für irgendjemanden so gefährlich, dass er sie tötete – da alle Zeugen ratlos waren, warum ausgerechnet ihr ein solches Unglück zugestoßen ist, wage ich zu schließen, dass sie ein umgänglicher, friedlicher Mensch gewesen ist. Die Gefährlichkeit eines solchen Menschen kann nur in seinem Wissen liegen. Sie wusste etwas, das nur sie allein wusste – und der Mörder…« Olivia seufzte leise: »Immerhin löst sich aus der irritierenden Simplizität der Anfang einer Geschichte…«

       Leonard runzelte die Stirn: »Diese Mrs Hewitt war verheiratet. Ist es nicht das Nächstliegende, mit dem Partner über seine Gedanken zu reden? Wenn sie etwas

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