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du mir überhaupt zu?“

      „Mmh.“ Langsam, den Blick auf die Briefumschläge gerichtet, kehrte Nela zurück zur Villa.

      „Ich habe Nela geküsst!“, forderte Till seinen Freund heraus, dabei lag ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen.

      „Mmh.“ Immer noch in Nelas Bann gefangen, realisierte Jarick erst verzögert Tills unverschämte Behauptung. „Wie bitte?“, entfuhr es dem Lysanen, sogleich sprang er unbeherrscht von seinem Stuhl auf, doch Till lachte herzhaft.

      „Endlich hörst du mir zu! Was ist los mit dir?“

      Tills Frage traf den Nagel auf den Kopf. Welcher verhexten Macht war er unterlegen, dass er die Kontrolle über sich verlor? Verdammt, er war ein Ase, ein Gott! Wieso verhielt er sich so... so menschlich?

      „Nichts!“, stieß er fahrig aus.

      „Nichts?! So wirkst du aber nicht, Jarick!“

      „Verdammt, Till, das geht dich nichts an!“, fuhr Jarick ihn verdrossen an, als Nela den Raum betrat.

      „Für dich“, streckte sie ihm einen Umschlag entgegen, dabei sah sie ihn fragend an. Die angespannte Stimmung war regelrecht greifbar.

      „Danke“, sagte er tonlos, während er den Brief entgegennahm. Tunlichst vermied er, sie direkt anzusehen, denn er wollte nicht, dass sie sein Verlangen bemerkte. Daher wanderte sein Blick über den gedruckten Absender des Briefes in seinen Händen. Wigald Rabe. Erst seit gestern verweilte Jarick wieder in Lüneburg, deshalb verwunderte es ihn, Post vom hiesigen Obermeister der Alvaren zu erhalten.

      Jarick schaute von Nela zu dem Brief in seiner Hand. Zögernd verließ seine Minamia den Raum. Vorerst zog er es vor, das Gespräch mit Nela über den Biss noch ein wenig hinauszuschieben, sich selbst eine Galgenfirst gebend. Eilends öffnete er den Umschlag.

      Fassungslos starrte Jarick auf die wenigen maschinell geschriebenen Zeilen. Langsam stieg Zorn in ihm auf, als er den Sinn realisierte. Ihm, Gervarus Balderson von Asgard, wurde befohlen, schon heute Abend das Twinning-Bündnis der Alvaren mit Tristan Paladin einzugehen. Bei Zuwiderhandlung erfolgte unverzüglich die Bestrafung für die Missachtung des Befehls: der Tod seines zukünftigen Schülers.

      Was bildeten sich diese Midgardbewohner eigentlich ein?

      Jarick holte tief Luft, um seine Wut und Empörung im Zaum zu halten. Es war schwer vorstellbar, dass Wigald Rabe dieses Schreiben aus eigenem Antrieb aufgesetzt hatte. Dringend musste Jarick sich mit den derzeitigen gesellschaftlichen Regeln und Machtverhältnissen in seiner einstigen Heimat beschäftigen, denn das Machtgefüge war doch sehr aus den Fugen geraten. Nicht nur die unwissende Gesellschaft veränderte sich in den letzten Jahrhunderten sehr, sondern auch die eingeweihte.

      „Ich muss umgehend mit Wigald Rabe sprechen“, ließ Jarick seinen Freund wissen, während er sich schon auf dem Weg nach draußen befand.

      „Weshalb?“, rannte Till ihm alarmiert nach.

      „Weil diese Midgardbewohner sich anmaßen, mir Befehle zu erteilen“, stieß Jarick verärgert aus.

      „Wie lautet der Befehl?“

      „Heute Abend soll ich das Bündnis mit Tristan eingehen.“ Jarick erreichte die Haustür.

      „Vielleicht ist es ratsam, wenn du Tristan mitnimmst. Immerhin betrifft es auch ihn“, schlug Till vor.

      Trotz dieser Anmaßung wollte Jarick den Alvaren sowie dem Großprior Ansgar Ferdinand seine Absicht demonstrieren, mit Tristan das Twinning-Bündnis einzugehen. Aber Jarick entschied zusammen mit Tristan, wann das Ritual stattfand. „Dann könnt ihr auch das Auto nehmen“, meinte Till belustigt, flüchtig schenkte Jarick ihm einen nicht ernst gemeinten bösen Blick.

      Sobald wie möglich musste er lernen, dieses beliebte Gefährt zu lenken. Seine Unkenntnis machte ihn abhängig von einer Person, die diese Kunst beherrschte. Jarick verabscheute diese Art von Abhängigkeit. Natürlich blieb ihm stets die Möglichkeit, auf die Bequemlichkeit eines Autos zu verzichten und den Weg zu Fuß zu beschreiten. Leider fiel es auf, wenn er sich hoch zu Ross in Lüneburg fortbewegte.

      Ungeduldig wartete Jarick mit seinem zukünftigen Schüler in dem kargen Arbeitszimmer des Obermeisters Wigald Rabe. Immer wieder musste er sich selbst an seine derzeitige Identität erinnern. Zurzeit war er Jarick Richter, ein niederer Jarl aus Asgard und nicht Forseti, der Gott des Rechts, den kein Gesetzeshüter warten ließ.

      „Wigald Rabe lässt sich unverschämt viel Zeit“, brummte Jarick verstimmt, dabei sich in dem spartanisch eingerichteten Raum umblickend.

      „Sicherlich hat er viel um die Ohren“, versuchte Tristan, ihn zu besänftigen. „Außerdem haben wir keinen Termin.“

      „Trotzdem...“, stieß Jarick verärgert aus, aber schluckte den Rest des Satzes herunter. Wenn er sich schon erdreistete, einen Termin für die Bündniszeromonie festzulegen, dann muss er gefälligst auch pünktlich zu einem kurzfristigen Treffen erscheinen.

      „Er kommt bestimmt bald“, versicherte der Walkür.

      „Woher nimmst du nur diese Geduld?“, seufzte Jarick, als er sich ungalant in seinen Stuhl setzte.

      „Wir warten noch nicht lange“, zuckte Tristan mit seinen Schultern.

      „Nicht lange?“, wiederholte Jarick heftig. Unbedingt musste er seine Rage zügeln, denn nur sachliche Argumente behoben dieses unnötige Problem. Zumindest hoffte er, eine gewalttätige Auseinandersetzung zu vermeiden.

      „Jarick, seit einer Viertelstunde sitzen wir in diesem Raum. Sonst warte ich stundenlang.“

      Du vielleicht, aber ich nicht, schoss es Jarick ungehalten durch den Kopf. Die Vorstellung, stundenlang nutzlos herumzusitzen, gefangen in seinem Gefühlschaos, erschien ihm unerträglich.

      „Entschuldigen Sie die lange Wartezeit“, kam Wigald Rabe in sein Büro. Zügig begab er sich zu seinem Schreibtischstuhl.

      Endlich, atmete der Lysane auf, während Tristan sich höflich von seinem Stuhl erhob. Jarick hingegen nicht. Das wäre ja noch schöner, wenn er, Forseti Gervarus Balderson von Asgard, diesem unverschämten Drauger eine göttliche Ehre zuteilkommen ließe. Abermals vergaß er seine Midgardidentität. Natürlich bemerkte Wigald Rabe Jaricks unhöfliches Verhalten, er überging jedoch diese Respektlosigkeit.

      „Neuerdings benötigen die Alvaren andauernd meinen Rat. Was kann ich für Sie tun?“, setzte sich der Obermeister.

      „Ihr Brief“, antwortete Jarick mit hochgezogenen Augenbrauen, obwohl der Alvare die Antwort kennen müsste. Höflicherweise verkniff der Lysane sich das Attribut anmaßend.

      „Mein Brief?“, erwiderte Wigald Rabe verständnislos.

      „Ja, in dem Sie mir befehlen, heute Nacht Tristan Paladin zu meinem Schüler zu erheben“, half Jarick ihm auf die Sprünge, woraufhin Wigald Rabe seine Stirn runzelte.

      „Darf ich den Brief sehen?“ Der Alvare streckte seine Hand aus. Ohne Zögern übergab Jarick ihm das Schreiben. Schweigend studierte Wigald die wenigen Zeilen.

      „Weder habe ich diesen Brief verfasst noch diesen dreisten Termin festgesetzt. Jemand hat sich meiner Identität bemächtigt“, empörte der Obermeister sich nach einer Weile verärgert.

      Während Jarick in seinen Gedanken mögliche Kandidaten in Erwägung zog, warf Tristan einen Namen in den Raum. „Ansgar Ferdinand?“

      „Ich denke nicht“, widersprach Wigald ihm. „Der Großprior der Elhazen möchte Ihren Tod, Herr Paladin. Es liegt ihm also fern, dass Sie das Bündnis mit Herrn Richter eingehen.“

      „Bei Zuwiderhandlung wird abermals mit meinem Tod gedroht.“

      „Ja, allerdings glaube ich, dass das nur ein Druckmittel ist, um dem Befehl nachzukommen“, überlegte der Obermeister.

      „Demnach scheidet Ansgar Ferdinand aus“, stimmte Jarick zu.

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