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dem Gedanken Jaricks Eltern zu treffen, wurde sie leicht wehmütig, denn Jarick würde niemals ihre Eltern kennen lernen.

      „Nanna würde sich gewiss freuen, wenn wir jetzt zu ihr gingen.“

      „Und dein Vater?“

      „Balder weilt zurzeit nicht in Asgard. Vor Jahren verbannte Odin, mein Großvater, ihn für seinen Ungehorsam. Der Zeitpunkt seiner Rückkehr ist ungewiss“, entfuhr es Jarick wütend über die harte Bestrafung, die Balder erfuhr.

      Für seine Eltern war die erzwungene Trennung unerträglich. Nanna litt sehr darunter, dass sie ihren geliebten Mann weder sprechen noch sehen durfte.

      „Er fehlt dir“, stellte Nela mitfühlend fest. „Warum begnadigt Odin ihn nicht nach dieser langen Zeit? Trotz allem ist Balder sein Sohn.“

      „Ja, deshalb verbannte Odin Balder und ließ ihn nicht hinrichten. Noch hat der Allvater ihm nicht verziehen. Vielleicht begnadigt er ihn nie“, vertraute er ihr seine Enttäuschung über das grausame Verhalten seines Großvaters an. „Niemals lässt Odin einen Zweifel über seine uneingeschränkte Macht aufkommen, daher sollte jeder es tunlichst vermeiden, den Zorn des Allvaters auf sich zu ziehen.“

      Nela schlang ihre Arme fester um seine Mitte. „Vermeide, dass dein Großvater zornig auf dich wird“, verlangte Nela eindringlich. Schweigend genossen sie die Nähe des anderen, während beide ihren Gedanken nachhingen.

      „Nela, geht es dir gut?“, sah er sie besorgt an.

      „Ja“, versicherte sie ihm.

      „Ich habe dich viel zu früh aus deinem erholsamen Schlaf gerissen.“

      „Ich bin nicht müde, nicht hungrig oder durstig.“ Bisher verlangte ihr Körper nichts, ausgenommen seine Nähe zu spüren.

      „Ich trank deinen Lebenssaft.“

      „Vermutlich macht es mir nichts aus.“

      „Vermutlich“, nuschelte Jarick in Gedanken versunken, „macht es der wahren Minamia eines Lysanen nichts aus.“

      „Hinter dem Wort Minamia versteckt sich mehr als nur ein Kosewort, oder?“

      „Ja“, gab Jarick zu. „Es bedeutet, dass du meine wahre Liebe, meine Seelengefährtin bist.“

      „Gibt es auch ein Wort für dich, für meinen Seelengefährten?“, wollte Nela wissen.

      „Minfridel.“

      „Mein Wikinger finde ich besser“, lächelte Nela ihn an.

      Belustigt schüttelte Jarick seinen Kopf. „Wie kommst du auf Wikinger?“

      „Du siehst aus wie ein Wikinger.“

      Zweifelnd sah Jarick an sich herunter. Dann schaute er zu Nela. „Ich bin kein Seekrieger.“

      „Also...“, suchte Nela angestrengt eine Erklärung. „... für mich sind alle Germanen Wikinger...“

      „Ich bin ein Ase und nordischer Friese“, stellte Jarick seine Zugehörigkeit richtig.

      „Die Nordmänner waren Wikinger!“, beharrte Nela.

      „Aber nicht, als ich geboren wurde“, konterte Jarick verschmitzt.

      „Wann genau war das?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

      „Am Midwinter vor 8829 Jahren auf Helgoland.“

      Erstaunt starrte Nela ihn an. „Du meinst Tage nicht Jahre.“

      „Wenn du es möchtest, sind es Tage. Seit wie vielen lebst du?“, fragte er sie neugierig.

      Schnell rechnete Nela nach. „8824 Tage.“

      „Dann sind wir ja fast gleich alt“, schmunzelte Jarick.

      „Wir streichen die Achten, und schon kennen wir unser biologisches Alter. Mein Geburtstag ist übrigens am Midsommer“, fügte Nela vergnügt hinzu.

      „Die Nornen überlassen nichts dem Zufall“, lachte Jarick laut auf.

      „Wohin uns wohl das Schicksal als Nächstes führt?“, sann Nela gedankenverloren.

      „Wir werden unserer Bestimmung folgen müssen“, seufzte Jarick, als er an seine und auch an Nelas Pflichten dachte.

      „Meine Bestimmung sieht vor, dass ich Großpriorin des Ordens Elhaz in Midgard werde. Ich frage mich, warum meine Eltern mich unwissend über die verborgenen Welten aufwachsen ließen und mein Vater mich nicht auf mein Geburtsrecht vorbereitet hat. Als eingeweihte Walküre hätte ich es einfacher.“

      „Gewiss, aber dann wären wir uns vielleicht nie begegnet, weil die Nornen unsere Pfade nicht verknüpft hätten“, befürchtete Jarick.

      „Mag sein, aber ich bin davon überzeugt, dass die Nornen unsere Liebe wollen, denn unsere Fäden sind seelenverwandt. Durch das Schicksal habe ich viel verloren, aber dich gewonnen. Ich muss bald nach Midgard zurück, nicht nur um meine Ausbildung als Großpriorin zu beginnen, sondern auch um A. F. die Stirn zu bieten. Der Mörder meiner Familie soll wissen, dass ich ihn finden und zur Rechenschaft ziehen werde.“

      „Die Alvaren werden den Mörder deiner Familie aufspüren“, war Jarick sich sicher. „Hoffentlich endet meine Auszeit nicht mit unserem Gang durch mein Schicksalstor. Meine Bestimmung ist das hohe Amt des Richtergottes Forseti in Asgard. Doch als Forseti kann ich nicht mit nach Midgard kommen. Deshalb möchte ich meine Auszeit fortsetzen, um mit dir zu gehen. Außerdem darf ich meine Verpflichtung gegenüber meinem zukünftigen Schüler Tristan nicht vergessen. Damit meine Auszeit bestehen bleibt, muss ich unbedingt mit Heimdall sprechen. Da er der Wächter der Schicksalsbrücke Asbru ist, kann er uns anschließend nach Lüneburg zurückschicken.“

      „Wie kommen wir unbemerkt zu Heimdall?“

      „Eigentlich wollte ich vermeiden, dass uns jemand im Palast bemerkt...“, begann Jarick, wurde aber aufgewühlt von Nela unterbrochen. „Wenn der Eindringling vorhin meine Tasche gesehen hat, dann ...“

      Beruhigend nahm Jarick ihre Hand. „Das war Oswin, mein Ambahta. Ich wollte nicht, dass er dich und mich sieht, aber jetzt... Oswin bringt uns in einer Kutsche zu Heimdall.“

      „Dein Ambahta?“

      „Mein Hauptdiener.“

      „Können wir ihm vertrauen?“, brach es besorgt aus Nela heraus, denn sie hatte seine Warnung hinsichtlich der Gefahren ihrer Liebe nicht vergessen.

      „Wir können Oswin uneingeschränkt vertrauen. Warte hier.“ Rasch stand er auf.

      Neugierig blickte Nela sich um, während sie auf seine Rückkehr wartete. Sie trat an das Regal mit den Spielzeugen. Vorsichtig berührte sie die Holzpferdefigur, die erstaunlich detailliert geschnitzt war. Daneben lagen Murmeln, gefertigt aus rotem Stein, den es nur auf Helgoland gab. Eine Zwille aus edlem Holz und Leder hing an einem Haken der Regalwand.

      „Ich hoffe, du magst Wildbret, Tunke und Brot“, kam Jarick schneller als erwartet zurück.

      Erfreut über das köstlich duftende Essen nahm sie ihm den Teller aus der Hand, und dann setzten sie sich auf das gemütliche Ledersofa. „Woher wusstest du, dass ich Hunger habe?“

      Jarick zuckte schelmisch grinsend mit den Schultern. „Du bist meine Minamia.“ Zärtlich gab er ihr einen Kuss. „Ich habe es aus der Küche stibitzt“, gestand er. Sogleich nahm er einen genüsslichen Biss von dem Bret.

      Nachdenklich beobachtete Nela ihren geliebten Lysanen beim Essen. Es störte sie keineswegs, ihr Mahl mit ihm zu teilen, allerdings ließ sie ein Gedanke nicht los. „Du sagtest, dass Lysane nichts essen. Du isst aber. Warum?“, fragte Nela ihn und sah ihn nach einer Antwort verlangend an. Diesmal würde er ihr nicht ausweichen, das wusste sie.

      „Ich besitze Fähigkeiten, für die andere Lysane mich mit Neid und Missgunst bestrafen, wenn nicht sogar töten würden. Nur sehr wenige kennen mein Geheimnis.“

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