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fortwährend waren sie da, halfen ihr das Grausame zu ertragen.

      „Begleitest du mich?“, hoffte Nela, den schmerzlichen Weg durch den Garten nicht alleine zu beschreiten. Zustimmend flatterte Winifred mit ihren Schwingen. Wo lag Jaricks Armschutz? Schließlich entdeckte sie ihn auf der Holzbank. Während sie sich den Armschutz überstreifte, stieg Winifred in die Luft. Ihren Blick auf den Kauz gerichtet, trat sie auf die verwilderte Rasenfläche hinter dem Laubhain.

      Der Klang aufeinander treffender Holzstäbe erfüllte den Garten, doch Nela achtete nur auf Winifred, der sie ihren geschützten Arm entgegenhielt. Mit wenigen Flügelschlägen schwebte Winifred über Nela.

      „Lass dich nie ablenken, Tristan! Immer muss deine Konzentration auf deinem Gegner liegen. Noch einmal“, forderte Jarick seinen zukünftigen Schüler auf, mit dem Stockkampf fortzufahren.

      Begeistert begrüßte Nela Winifred auf ihrem Arm. „Meine Freundin, da bist du ja. Schön, dass du mich begleitest.“ Kurz darauf wanderte ihr Blick zu Jarick, der sie und vor allem Winifred erstaunt anstarrte. Just traf Tristans Stab Jarick unvorbereitet am Bein, daraufhin fluchte er schmerzerfüllt.

      „Wie war das noch mit dem Ablenken?“, stichelte Tristan belustigt.

      „Pass auf, was du sagst“, ermahnte Jarick den vorwitzigen Walkür, doch dieser lachte nur amüsiert.

      „Ein Treffer ist noch kein Sieg“, fuhr Jarick erheitert fort, während er erneut seine Position einnahm. Um eine Kopflänge überragte Jarick den Elhazen bedrohlich, jedoch ließ Tristan sich davon nicht einschüchtern. Mit Freude erkannte Nela, dass sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden, ihrem Wächter und ihrem Wikinger, entwickelte.

      Seitdem sie Asgard verlassen hatten, beschäftigte Jarick zusehends etwas, doch bisher öffnete er sich seiner Minamia nicht. Nela gab ihm Zeit, sich aus eigenem Willen ihr anzuvertrauen.

      Nachdenklich schaute Nela zu den beiden Kämpfenden, die bei diesen sommerlichen Temperaturen nur naturfarbene Leinenhosen trugen. Fortwährend zierten Tristans athletischen Oberkörper heilende Schürfwunden vom Kampf auf Helgoland. Ein beginnender Sonnenbrand verfärbte seine helle Haut leicht rötlich. Seine straffen Armmuskeln spannten sich merklich, während er den Stab verteidigungsbereit in seinen langgliedrigen Händen festhielt. Im Vergleich zu seinem Meister wirkte Tristan wie ein junger Bursche, dessen kriegerische Stärke erst noch wachsen musste. Jaricks breite, sehnige Kriegerbrust hingegen besaß keine sichtbare Erinnerung an die Schussverletzungen. Das Kampftraining der Jahrhunderte verlieh Jaricks Körper natürlich geformte Muskeln, die seine unbändige Kraft nur erahnen ließen. Eine leichte Bräune zog sich über seine makellose, sehnige Haut, die sich unter Nelas Finger seidig weich angefühlt hatte. Seine Hände umfassten den Stab grob, Nela allerdings kannte die Zärtlichkeit, zu der seine rauen Hände fähig waren.

      Unverhohlen musterte Nela ihren Wikinger, beginnend bei seinem markanten Gesicht über seinen Waschbrettbauch zu seinem gut verhüllten Schritt. Just wandte Jarick ihr den Rücken zu und präsentierte ihr seinen ebenmäßigen, stählernen Jeans-Hintern.

      Lauernd umrundeten die Kämpfenden einander, stets darauf bedacht, den Angriff des anderen abzuwehren. Dabei drückten sie das Gras mit ihren nackten Füßen flach auf den Erdboden. Längst war die unnatürliche rote Färbung verschwunden, und die unzähligen Grashalme gaukelten eine grüne Decke vor, die sich schützend über das Vergangene legte. Doch die Erinnerung war schmerzhaft. Ihr Blick fiel zu der wildgewachsenen Hecke des Gartens, durch die die Mörder gekommen waren und Tristan mit ihr floh. Nun versperrte dahinter ein hoher, eiserner Zaun den Weg auf die Straße.

      Gleich, nachdem Tristan und Till zur Villa zurückgekehrt waren, widmeten sie sich dem Projekt, dieses Anwesen gegen Feinde zu sichern. Die Umzäunung des Grundstückes bot Schutz gegen Eindringlinge, aber rief auch in Nela das Gefühl des Eingesperrtseins wach.

      Die Stäbe krachten aufeinander, sofort erlangten die Kämpfenden Nelas Aufmerksamkeit. „Wann erlerne ich die Kampfkunst?“, stieß sie bewegt aus. Endlich musste sie lernen, sich selbst zu schützen. Augenblicklich hielten Jarick und Tristan in ihrer Bewegung inne, während Winifred zu ihrem Lieblingsplatz auf die Linde flog.

      „Das wirst du“, versprach Jarick. „Aber zunächst muss Tristan lernen, ein richtiger Wächter zu sein.“

      Als Nelas Augen auf Tristan ruhten, erschien er ihr wie eine schützende Mauer, die die furchtbaren Bilder hinter sich verbarg und die aufkeimende Furcht aufsog. Erleichtert atmete Nela durch.

      Tristan musste sich in seiner neuen Rolle als anerkannter Wächter und angehender Alvare zurechtfinden. Aber auch Nela musste ihre Bestimmung als zukünftige Großpriorin annehmen. Gerne hätte sie zunächst einfach nur erfahren, was es bedeutete, eine einfache Walküre zu sein. Doch das Schicksal entschied es anders. Nicht nur ihre Freunde halfen ihr bei der Orientierung in der neuen Welt, sondern auch die alten Bücher ihres Vaters.

      „Ist Amala noch da?“, wechselte Tristan das Thema.

      „Nein, sie betreut im Ordenshaus eine neue Schicksalsreisende“, antwortete Nela ihrem Wächter.

      Momentan ging Jarick voll und ganz in seiner Aufgabe des Meisters auf, aber für einen kurzen Augenblick vernachlässigte er sie, um sich in den Augen seiner Minamia zu verlieren. Die unsichtbaren Schnüre zogen Jarick magisch zu Nela. Nicht nur tiefe Zuneigung lag in seinem Blick, sondern auch Sorge.

      „Setzen wir unsere Übungsstunde fort?“, wollte Tristan eifrig wissen.

      „Ja“, kam es verzögert über Jaricks Lippen, während Winifred aufgebracht in die Luft stieg.

      Doch bevor es zum Übungskampf kam, ertönte ein schriller Alarm. Erschrocken blickte Nela sich um, suchte nach dem Störenfried, aber konnte niemanden entdecken. Verteidigungsbereit umkreiste der Kauz die Walküre.

      Als das Warnzeichen verstummt war, legte sich eine unheilvolle Stille über den geplagten Garten. Nelas Gedanken überschlugen sich. Wer löste den Alarm aus? Von wo kam der Eindringling, weshalb war er hier?

      „Zwei Eindringlinge gingen durchs eiserne Schmiedetor der Auffahrt“, stieß Jarick alarmiert aus, während er und Tristan sich kampfbereit mit ihren Waffen in Bewegung setzten. „Nela, du bleibst hier!“, forderte er sie unnachgiebig auf, als sie den beiden Kämpfern folgte.

      Hastig eilte Till ihnen entgegen. „Herr Diepolt und Herr Lorenz wünschen mit Nela zu sprechen.“

      „Ich empfange sie“, ging Nela erleichtert zum Haus, während sie sich fragte, welche neuen Informationen die Polizei herausgefunden hatte.

      Nachdem Nela durch die Terrassentür das Wohnzimmer betreten hatte, erläuterte Hauptkommissar Diepolt eilends den Grund seines Besuches. „Frau Vanadis, vor ein paar Nächten verschwand Armin Falk aus seiner Zelle.“

      Verdutzt schaute Nela zu dem Beamten, dessen zerknittertes Hemd erste gelbe Schweißflecke aufwies. Tief schwarze Augenränder erweckten den Eindruck, dass Herr Diepolt in den letzen Tagen sehr wenig Schlaf bekommen hatte. Gleiches traf auf seinen Kollegen zu. „Was meinen Sie mit verschwand?“

      „Es gibt keine sichtbaren Spuren für einen Ausbruch. Die Zellentür war verschlossen, das vergitterte Fenster noch in Takt, aber Herr Falk befand sich nicht mehr in seiner Zelle. Auch die Überwachungskameras zeichneten nichts Verdächtiges auf.“

      „Er kann sich aber nicht in Luft aufgelöst haben“, äußerte Nela ihren spontanen Gedanken.

      „Nein, gewiss half ihm ein Komplize. Wie dem auch sei, wir sind hier, um Sie zu warnen. Wir hätten es Ihnen schon früher mitgeteilt, aber wir konnten Sie leider nicht erreichen.“

      Nachdem Till, Tristan und Amala das Versteck auf Helgoland verlassen hatten, übergaben sie Max Tormayer, den Anführer der Birgergruppe, den Alvaren, weil er und seine Männer die Familie Vanadis ermordet hatten. Die Alvaren setzten sich mit der Polizei in Lüneburg in Verbindung. Noch in derselben Nacht wurde Armin Falk, der mutmaßliche Auftraggeber, verhaftet. Die Gesellschaft brauchte einen Täter für die Morde, also war es ganz einfach, die zweifelhaften Hinweise des Mordauftrages rasch zu handfesten

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