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einzusteigen. Ich schluckte. Mein Blick traf Ed, der jetzt stehengeblieben war und mich über den Rand seiner Sonnenbrille anstarrte. Du wirst jetzt nicht da einsteigen wollen, schien er mir zu sagen.

      Ich stieg nicht in jede Karre, die neben mir hielt. Aber der Name Black Yvi klang nach Rettung. Was auch immer ich dieser Gefängniswärterin bedeutete. Ich rutschte auf den Rücksitz. Mein Blick hing an Ed. Was würde er jetzt tun? Er blieb stehen und widmete sich dem Schaufenster eines Geschäftes. Sein Handy klebte an seinem Ohr. Rief er seinen Boss an, um zu beichten, dass ich ihm entkommen war? So leicht gab Ed nicht auf, das wusste ich.

      Der Mann im Anzug stieg wieder auf den Fahrersitz und fuhr los.

      „Du möchtest immer noch nicht nach Hause zurück, Haily?“ Ich sah erstaunt zu Black Yvi, die auf dem Beifahrersitz saß, und schüttelte den Kopf.

      Sie lächelte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du gleich in den Wagen steigst.“

      Ich verstand es selbst nicht. Ich wusste nur, es war die einzige Möglichkeit, Ed zu entkommen. Ich blickte aus dem Fenster zurück, aber der Fahrer wechselte die Richtung und ich konnte Ed nicht mehr sehen. Yvi sprach jetzt weiter.

      „Da ich nicht annehme, dass du einen Plan für dein Leben hast, hätte ich einen Vorschlag zu machen! Oder hast du inzwischen einen Plan?“ Ich schüttelte den Kopf. Mein Plan war keiner. „Dachte ich mir! – Höre mir gut zu. Ich habe nicht die Zeit, dir das mehrmals zu erklären.“ Ich nickte. „Gut! Das hier“, sie gab mir einen Umschlag, „sind neue Papiere für dich. Du heißt ab sofort Emma Brown! – Kannst du dir das merken, Emma?“

      Ich legte die Stirn in Falten. Ein neuer Name? Neue Papiere? Und wieso, zum Henker, solch einen Allerweltnamen wie Emma Brown?

      „Ist euch kein besserer Name eingefallen?“

      „Wow! Es spricht!“ Sie lachte. „Emma ist einer der häufigsten Vornamen in den Vereinigten Staaten. Ebenso Brown bei den Nachnamen. Also wird es schwer für die Mafia, dich zu finden, Prinzessin.“

      „Nennen Sie mich lieber Emma.“ Ich hasste es, wenn mich jemand Prinzessin nannte. Black Yvi grinste.

      „Meinst du, es gelingt dir, dich draußen einigermaßen zu benehmen?“

      Ich starrte sie an. „Was meinen Sie?“

      „Ich meine, wenn ich dich auf die Menschheit loslasse, kannst du dich normal verhalten?“

      „Natürlich!“ Warum sollte ich das nicht können? Die bisherigen neunzehn Jahre meines Lebens hatte ich nicht im Knast verbracht.

      „Gut! Ich erkläre dir jetzt kurz, wie es weitergeht. – Wir bringen dich in ein neues Zuhause, wo du eine Weile bleiben kannst. Als Emma Brown. Es ist so ähnlich wie im Zeugenschutz. Du hast keinen Kontakt zu deiner Vergangenheit, ist das klar? Keine Anrufe bei alten Freundinnen, keine Anrufe bei deiner Mutter oder gar bei Big Chain persönlich. Du brichst alle Brücken hinter dir ab. Du bekommst dafür eine Arbeitsstelle und ein neues Leben. Freie Kost und Logis inbegriffen. Hast du das verstanden?“

      Ich nickte. Sie schien eine Dramaqueen zu sein, so eindringlich, wie sie mich beschwor, keinen Kontakt zu alten Bekannten oder meiner Mutter aufzunehmen. Aber sie besaß einen Plan für mein Leben. Ich ging in den Zeugenschutz. Sicherheit vor Big Chain und Arbeit mit einem Dach über dem Kopf. Hoffentlich befand sich das Dach nicht in Alaska.

      „Gut! Es muss schnell gehen. Ich denke, dass niemand uns gefolgt ist und dein Abgang aus dem Gerichtsgebäude unbemerkt blieb!“

      Sie wussten nichts von Ed, dachte ich. Und ich fragte mich, ob ich sie darüber aufklären sollte, wie knapp ich ihm entgangen war?

      „Ich wünsche dir alles Gute, Kleine. – Und, dass mir keine Klagen kommen!“ Sie grinste breit, der Fahrer hielt kurz am Straßenrand, sie stieg aus und schloss die Tür. Ich war allein mit dem Mann im Anzug. Er sprach nicht und ich schwieg.

      Warum vertraute ich ihm? So, wie er gekleidet war, hätte er vom Kader Big Chains kommen können. Was, wenn Yvi mich gleich an die Mafia verkauft hatte? Der Umschlag in meiner Hand, den ich jetzt inspizierte, erinnerte mich daran, dass sie mir etwas Anderes versprach. Aber warum in aller Welt fühlte sie sich dazu verpflichtet, mir zu helfen? Ich war raus aus Maricopa und ging sie nichts mehr an.

      Immerhin kostete mich die Fahrt keine zehn Dollar. Nur mein Leben, vielleicht. Doch das war nur mir etwas wert. Oder nicht?

      „Warum tun Sie das?“, fragte ich nach einer Weile. Ich fragte mich allen Ernstes, womit ich das verdiente.

      Ein leichtes Grinsen schlich sich in sein Gesicht, das konnte ich im Rückspiegel erkennen. „Das wirst du mal verstehen, wenn du erwachsen bist.“

      Oh, verdammt! Ich war erwachsen, immerhin Neunzehn. Was dachte er sich nur?

      „Hör zu, Mister ‚Man in Black‘! Ich habe eine ernsthafte Frage gestellt und erwarte eine ernsthafte Antwort und nicht so einen arroganten Bullshit!“

      Er grinste jetzt breiter. „Jetzt verstehe ich, was Yvi meinte, als sie sagte, ich solle deine Klappe nur nicht aus den Augen lassen. – Na gut, Miss Ernsthaft. Ich habe in meinem Leben eine zweite Chance bekommen. Und ich glaube daran, dass jeder Mensch diese verdient hat. Also arbeite ich daran mit, Menschen wie dir eine zweite Chance zu ermöglichen. Ich bin mir nicht sicher, ob du das zum jetzigen Zeitpunkt zu würdigen weißt. Das ist mir allerdings egal. Hauptsache, ich liefere dich heil ab.“

      „Du versteckst mich vor der Mafia, Mister! Ist dir das bewusst?“

      „Ja, Emma, das weiß ich.“

      „Okay, unter uns gesagt, eigentlich heiße ich Haily, aber das weißt du sicher. Also, bis wir da sind, wo auch immer das sein wird, darfst du mich gerne Haily nennen, das mag ich nämlich lieber.“

      „Ich werde weiterhin Emma sagen. Dann kannst du dich schon mal daran gewöhnen. Und, dass du ‚eigentlich Haily heißt‘, behältst du in Zukunft gefälligst für dich. Sonst war mein Einsatz hier nämlich nur Zeitverschwendung und Bullshit, Süße, kapiert?“ Er rückte seine Sonnenbrille auf der Nase zurecht. „Ich hasse Zeitverschwendung!“, fügte er hinzu. Dann hüllte er sich wieder in Schweigen.

      Mir blieb nichts anderes übrig, als mich meinem Schicksal zu ergeben.

      Wie lange würden wir wohl unterwegs sein? Möglicherweise brachten sie mich nach Kanada. Weit weg von der Mafia in Las Vegas? Ich sprach meine Frage prompt aus.

      Er wiegte den Kopf leicht hin und her, bevor er antwortete. „Nicht so lang.“, sagte er dann.

      Oh! Mein! Gott! – Was für eine Antwort. Ich starrte ihn an.

      „Ich finde, Sie könnten mir langsam sagen, wo es hingeht, Mister Man in Black.“

      Er grinste wieder so, wie eben schon einmal.

      „Wenn ich es wüsste, könnte ich es dir ja sagen. Aber leider… Ich kenne nur den nächsten Treffpunkt, wo das Fahrzeug gewechselt wird.“ Er hob unschuldig die Hände in die Höhe.

      „Heißt das…“, er unterbrach mich.

      „Ja, das heißt genau das: Ich weiß nicht, wo du hingebracht wirst!“

      Ich schüttelte den Kopf. Was hatte ich mir dabei gedacht, als ich dieser Frau vertraute? Ich kannte sie kaum und wusste nichts von ihr. Ich kannte sie nur bei ihrer Arbeit. Andere Häftlinge fürchteten sie mit Respekt. Während die einen Wärterinnen ständig mit ihren Schlagstöcken wedelten, blieb der von Black Yvi am Gürtel. Sie brauchte ihn nicht. Ihre Anweisungen sprach sie immer im ruhigen Tonfall aus. Wenn sie etwas sagte, war es ein Gesetz, das jeder befolgte. Aber eins, auf das man sich verlassen konnte. Vielleicht war es das: sie war zuverlässig.

      „Mache es dir bequem!“ Er deutete auf die Decke. „Wenn du etwas schläfst, geht die Zeit schneller um!“

      Es reizte mich, ihm die Zunge herauszustrecken und zu sagen: Jawohl, Daddy! Was tat ich nur, dass er mich die ganze Zeit wie ein unmündiges kleines Kind behandelte. Trotzdem überlegte ich mir

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