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einem Mann in Gefängniskleidung. Mickey. Mein Freund. Er hatte mich von Vegas nach Phoenix gebracht. Und er hatte mir das alles eingebrockt. Wegen ihm war ich festgenommen und nach Maricopa gebracht worden. Er war nicht mein Freund. Nicht mehr! Ich erhob mich.

      „Ma’am! Wir brauchen diesen Raum jetzt für die nächste Verhandlung. Bitte verlassen Sie ihn!“

      Mickeys Blick begegnete mir.

      „Haily!“ Ich sah ihn an, spürte diese unglaubliche Wut auf ihn. „Big Chain wird dich suchen. Du musst untertauchen. Ich wollte das alles nicht. Das musst du mir glauben!“

      Ich sah ihn nur an, brachte kein Wort hervor. Ich hatte ihm vertraut. Er war der einzige Freund in meinem Leben gewesen. Jetzt wendete ich mich von ihm ab. Gab ihm keine Antwort. Mir war selbst klar, dass Big Chain mich suchen würde. Und im Moment war nichts leichter, als mich zu finden.

      Ich ging zur Damentoilette. Das heißt, ich versuchte es, wurde auf dem Weg dorthin in den Tumult aus Reportern und Schaulustigen gerissen, die den Prozess des Mafia-Girls gespannt verfolgt hatten. Fragen brachen über mich herein. „Miss Warden, sind Sie überrascht, weil das Verfahren gegen Sie eingestellt wurde?“

      „Sind Sie erleichtert, weil sich Ihre Unschuld herausgestellt hat?“

      „Was empfinden Sie für den Mann, dem Sie das alles zu verdanken haben?“

      Von allen Seiten bedrängten mich Menschen und hielten mir Mikrofone vor die Nase. Ich hob die Plastiktüte zum Schutz vor mein Gesicht, schwieg und drängte mich durch, bis ich die Toilette erreichte. Erleichtert lehnte ich mich von innen gegen die Tür.

      In einer der Kabinen zog ich die Gefängniskleidung aus und meine eigene wieder an. Die Jeans rutschte mir fast von den Hüften. Ich war total abgemagert. Das schlechte Essen und die harte Arbeit forderten ihr Tribut. Das T-Shirt schlotterte um meine Brust. Ich starrte mein Spiegelbild an. Hektisch kramte ich in meiner Handtasche nach der Haarbürste und mit wenigen Strichen versuchte ich meine Frisur zu retten. Meine roten Locken waren kraus und glanzlos, wie die letzten Monate, die ich erleben musste.

      Die Tür öffnete sich und ich sah das Gesicht der anderen Wärterin, Black Yvi, wie sie von uns Häftlingen genannt wurde. Unsere Blicke trafen sich kurz, dann betrat sie den Raum.

      Sie wusch sich die Hände und zog langsam ein Papiertuch nach dem anderen aus dem Spender. Meine Augen folgten ihrer Bewegung. Ich zählte vier. In Maricopa durften wir nur zwei nehmen. Nur einmal hatte ich drei Blätter genommen. Beim ersten Mal. Die Drohung der Wärterin, ich müsse allein alle Bäume zwischen Arizona und der Hudson Bay abholzen, wenn ich es noch einmal wagte, Papier zu verschwenden, war mir nachhaltig in Erinnerung geblieben.

      Black Yvi folgte meinem Blick und grinste breit.

      „Ist ‘n gutes Gefühl, tun und lassen zu können, was man will, oder?“

      Ich nickte. Bisher konnte ich das nicht wirklich auskosten.

      „Und? Geht’s jetzt nach Hause?“

      Ich schüttelte den Kopf.

      „Und wohin dann?“

      Ich zog die Schultern hoch. Irgendwohin, nur nicht nach Hause.

      „Na dann! Good Luck!“

      Sie nahm die Tüte mit der Gefängniskleidung an sich, grinste mich an und verließ den Raum. Eine seltsame Begegnung. Aber sie war nicht mehr zuständig. Ich war ja frei!

      Über eine Stunde hockte ich in dem Toilettenraum. Dann, hoffte ich, hatte sich die Ansammlung aus Reportern und Schaulustigen aufgelöst. So viel zum Thema Freiheit.

      In dieser Stunde überlegte ich, was ich mit meiner Freiheit anfangen sollte. Meine gesamte Barschaft bestand aus einer Zehn-Dollar-Note, die in meinem Portemonnaie hinter meinem Ausweis klemmte. Ich drehte und wendete den Schein, aber es blieb bei zehn Dollar.

      Ich musste weg aus Phoenix. Big Chain würde mich hier als erstes suchen. Das war klar.

      Endlich, als es auf dem Flur still geworden war, riskierte ich einen Blick hinaus. Schlich hinüber in den Gerichtssaal und verfolgte die Verurteilung Mickeys. Er bekam fünf Jahre ohne Bewährung für Drogenhandel. Er würde sie im Phoenix Country Court of Justice absitzen. Ich ging wieder hinaus. Auf dem Flur sah ich, wie sie ihn wegbrachten. Er versuchte, noch einmal mit mir Kontakt aufzunehmen. Aber ich blendete seine Existenz einfach aus. Ich konnte das.

      Ich wandte mich zur Tür und würde nicht nach Hause gehen. Was sollte ich in Las Vegas? Das war die gleiche Hölle wie Maricopa. Es war heiß und ich konnte meiner Mutter zusehen wie sie besoffen war oder ihrer Arbeit als Nutte nachging. Ich vergaß, sie nannte sich Unterhaltungskünstlerin, weil in Nevada Prostitution verboten war. Was dann hinter verschlossenen Türen geschah, war dem Staat egal. Privatangelegenheit, hatte Mickey mir erklärt. Ich schüttelte mich angewidert. Nein, ich wollte nicht zurückgehen. Big Chain würde sich freuen, wenn ich mich freiwillig in Vegas blicken ließ. Er nahm mir meine Unwissenheit über Mickeys Diebstahl nicht ab. Er würde mich aus der Wohnung meiner Mutter holen, foltern und dann umbringen lassen. Vielleicht nicht die schlechteste Idee. Er hatte geschworen, dass er uns finden würde. Big Chain, der Boss des Mafia-Clans in Las Vegas, war bekannt dafür, seine Versprechen einzuhalten. Da war Mickey fein raus. Und ich musste sehen, wie ich aus der Nummer herauskam. Verdammt.

      Ich trat aus dem Gerichtsgebäude, das Basecap aus meiner Tasche tief ins Gesicht gezogen. Meine Haare darunter versteckt. Meine Augen schützte ich mit der Sonnenbrille. Reporter bildeten eine Traube um eine andere Personengruppe am Fuß der Treppe. Ich schlich mich an der Seite vorbei, angestrengt in eine andere Richtung schauend, damit niemand mich wahrnahm.

      Zehn Dollar! Was sollte ich damit machen? Ein Busticket nach Osten besorgen und einfach fahren, soweit das Geld reichte? Vielleicht kam ich bis Indiana. Dort sollte mein Vater leben, den ich nicht kannte. Ich konnte mir einen Job suchen und dann vielleicht das Glück haben, eine Bleibe zu finden. Bis dahin könnte ich mich mit irgendwelchen Typen durchschlagen. Immerhin war ich gerade neunzehn Jahre alt und hübsch. Meine großen, smaragdgrünen Augen waren das Einzige, was meine Mutter je an mir lobte. „Damit kannst später von den Männern bekommen, was immer du willst“, hatte sie gesagt. Jetzt würde es sich zeigen müssen, ob sie Recht behielt. Aber Indiana war tausend Meilen von Phoenix entfernt. Soweit reichten die zehn Dollar niemals.

      Dann sah ich ihn! Ed! Er stand auf der anderen Straßenseite und grinste mich an. Ich war sicher, er war in Big Chains Auftrag hier, mich zu schnappen. Jeder in Vegas kannte Ed. Jeder wusste, dass er ein Handlanger der Mafia war. Ich kannte ihn sogar persönlich. Ich hatte Botengänge für ihn erledigt und er war immer sehr zufrieden mit mir gewesen. Hatte gut bezahlt. Das war jetzt anders.

      Und das war mein Problem. Ich wollte nicht zu Big Chain, dem kleinen Gangsterboss aus Las Vegas, weil ich ihm nicht sagen konnte, was er von mir hören wollte. Und wie sollte ich ihn davon überzeugen, dass ich die Wahrheit sagte?

      Ich sah mich um. Wie konnte ich Ed entkommen? Er stand dort drüben und schien sich sicher zu sein, dass ich es nicht schaffte. Ich konnte zu der Gruppe Menschen gehen, die am Fuß des Gerichtsgebäudes standen. Aber was sollte ich denen sagen?

      Meine Wahl beschränkte sich auf rechts oder links. Ich kannte mich in Phoenix nicht aus, wusste nicht, welcher Weg die bessere Fluchtmöglichkeit bot. Es gab kein Hotel in sichtbarer Nähe, in dem ich untertauchen und mich verstecken konnte. Da hätte ich ihn problemlos abhängen können. Es schien aussichtslos. Ich würde in einer Seitengasse von Phoenix mein Ende finden. Davon war ich überzeugt.

      Dennoch wandte ich mich nach links und ging schnellen Schrittes die Straße entlang. Meine Augen suchten die Häuserfluchten ab und immer wieder blickte ich zurück. Ed folgte mir, lässig grinsend, auf der anderen Straßenseite. Jetzt überquerte er sie. Ich begann zu laufen. Ich dankte dem Himmel, dass ich bei unserer Festnahme meines Nikes getragen hatte.

      „Hey Baby! Es ist sinnlos. Bleib doch gleich stehen!“, rief Ed mir zu. Ich lief schneller.

      Ich erreichte eine Kreuzung, versuchte, mich zu orientieren. Doch ohne groß zu überlegen, bog ich wieder nach links ab,

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