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       Kapitel 62

       Marilyns Brief

       Danke!

       Weitere Romane von der Autorin:

       Impressum neobooks

      Zehn Jahre zuvor:

       Haily

       Sommer der Entscheidung

      Das Kriegsbeil ist erst dann begraben,

      wenn man nicht mehr weiß, wo es liegt.

      (Indianisches Sprichwort)

      Roman

      Roberta C. Keil

      Der Mann sah das Mädchen an. Fasste vorsichtig ihr Kinn und hob ihren Kopf etwas an. Schüchtern erwiderte sie seinen Blick und ihre smaragdgrünen Augen leuchteten so unschuldig. Das steigerte seine Erregung. Unschuld.

      Sofort, als er sie entdeckte hatte, hielt er sie fest, als sie versuchte, aus dem Zimmer zu schlüpfen, ohne bemerkt zu werden. Er ahnte, welch ein Unschuldsengel ihm in die Hände fiel.

      Er sah Ruth an. „Du hast mir etwas sehr, sehr Schönes vorenthalten, Ruth. – Das war nicht nett!“ Seine Augen funkelten die Frau an, die sofort auf das Mädchen zuging.

      „Engelchen, lass uns ein Spiel spielen. Schau mal, das ist Henry! Er ist ein sehr, sehr netter Mann. Und er wird dafür sorgen, dass ich dir morgen eine Überraschung kaufen kann. Eine Überraschung, wie ich sie schon lange nicht mehr kaufen konnte! Du musst jetzt nur hübsch brav sein!“

      Nur mit Mühe konnte Ruth die Kleine davon überzeugen, sich ihrer Kleider zu entledigen. Die Augen des Mädchens blieben fest auf Henry gerichtet und er sah ihre Angst. Jede seiner Bewegungen beobachtete sie, um sich notfalls in Sicherheit bringen zu können. Henry lächelte.

      Ihre Haut war zart, wie weißes, edles Porzellan und die roten Locken gaben dem Gesicht einen gesunden Kontrast. Er streckte die Hand aus, folgte, als sie zurückwich.

      „Engelchen!“ Die Stimme von Ruth klang weich und sanft. „Tue, was Henry möchte. Bitte! Du wirst eine große Belohnung bekommen.“

      Sie stand mit dem Rücken an der Wand. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dadurch leuchteten sie noch mehr. Henry sah es und wischte ihr zart mit der Hand durch das Gesicht.

      „Ich werde dir nicht wehtun, Engelchen! Bestimmt nicht. Und nun knie nieder. Schau mal was ich Schönes habe!“ Er öffnete seine Hose.

      Als Henry sie dann gehen ließ und sich ihrer Mutter zuwandte, floh das Mädchen in das andere Zimmer. Sie hörte das kehlige Lachen der Mutter. Wieder das Stöhnen des Mannes, fasste den Papierkorb und übergab sich.

      Später, als er gegangen war, kam Ruth zu ihrer Tochter ins Zimmer. Das Mädchen saß auf ihrem Bett, hielt den Papierkorb vor sich, starrte auf das Erbrochene.

      Ruth streichelte ihr über den Kopf, schob die roten Locken hinter ihr Ohr.

      „Das hast du gut gemacht, Engelchen! Und das“, sie nahm den Mülleimer und stellte ihn weg, „geht vorüber! – Schau mal, was Henry dafür bezahlt hat!“ Sie hielt eine Hundertdollarnote in der Hand.

      Ihre Tochter starrte auf den Geldschein, dann hob sie den Blick zu ihrer Mutter empor. Kälte schlug Ruth aus den grünen Augen entgegen.

      „Wenn er wiederkommt, bringe ich dich um, Ruth!“

      Die Frau zuckte zusammen. Ihre Tochter nannte sie nie beim Vornamen. Sie lachte verlegen. „Er war nur auf der Durchreise. Aber es hat uns eine Menge zusätzliches Geld eingebracht. Fast das Doppelte!“ Sie wedelte wieder mit der Dollarnote.

      „Wenn so etwas noch einmal passiert, Ruth, dann bringe ich dich um!“

      Das Mädchen erhob sich und zog Jeans und T-Shirt an, schlüpfte in den Kapuzenpullover und zog die Beany über den Kopf. Stopfte ihre Haare darunter. Dann verließ sie die Wohnung.

      Ruth blieb auf dem Bett ihrer Tochter zurück, in der Hand den Papierkorb. Sie seufzte. Die Kleine war einfach zu frech. Sie wurde mit ihr nicht mehr fertig.

      Erst nach drei Tagen kehrte das Mädchen in die Wohnung der Mutter zurück. Die laute Musik der 70er Jahre und die Geräusche, die aus dem Schlafzimmer zu ihr drangen, machten deutlich, Ruth arbeitete gerade.

      Leise schloss sie ihre Zimmertür hinter sich. Niemand sollte sie bemerken. Dann drehte sie den Schlüssel um. Jetzt fühlte sie sich sicher. Sie öffnete das Fenster weit und winkte dem kleinen Jungen von gegenüber, Ben, so glaubte sie, hieß er. Er stand an seinem Zimmerfenster. Vielleicht würde Mike sein Motorrad ausführen, dann würde sie für einen Moment die Geräusche aus dem Schlafzimmer nicht hören können.

      Als sie sich auf ihr Bett legte und die Beine anzog, knisterte in ihrer Hosentasche die Zehndollarnote. Ed, ein Handlanger der Mafia hatte ihr heute einen kleinen Auftrag gegeben. Jetzt konnte sie ihr eigenes Geld verdienen. Er sagte, sie habe ihre Sache gut gemacht. Dabei musste sie nur ein kleines Päckchen in ein Bürohaus bringen, und einen Umschlag zurück zu Ed. Ihr Magen knurrte. Aber sie würde nicht in die Küche gehen. Nicht jetzt. Sie nahm ein Buch zur Hand, das ihre Lehrerin ihr gegeben hatte. Es dauerte nicht lange und die Gegenwart war ausgeblendet.

      Kapitel 1

      Der Richter sprach die Worte aus, die ich hören wollte. Ich konnte es kaum fassen.

      „Miss Haily Indiana Warden, die Anklage gegen Sie wird fallen gelassen! Sie sind frei und dürfen gehen, wohin Sie wollen.“

      Ich sprang auf, jubelte, umarmte die Wärterin, die mich bewachte. Sie schob mich weg und im gleichen Moment wurde mir klar, dass sie nicht meine Freundin war.

      „Ist ja gut! Reg dich ab, Häftl…, sorry, Miss Warden! Unterstehe dich, mir je wieder unter die Augen zu kommen. Hier!“

      Sie gab mir eine Plastiktüte. Durch ihre Reaktion in meiner Freude gebremst, kapierte ich, das war mein Eigentum. Den Inhalt der Tasche hatte ich bei der Einlieferung in Maricopa Tent City bei mir getragen. Jetzt, nach vier Monaten Untersuchungshaft, bekam ich es zurück.

      Sie verließ den verglasten Raum, in dem ich mich aus Sicherheitsgründen während der Verhandlungstage aufhalten musste. Und ich blieb zurück. Ich war frei.

      Nun, ich war frei und ließ mich auf den Stuhl zurückfallen, auf dem ich vorhin noch gebannt gesessen und die Worte von den Lippen des Richters abgelesen hatte. Und nun?

      Frei! Aber was sollte ich jetzt tun? Wo sollte ich hin? Ich musste nicht zurück in diese Hölle. Maricopa Tent City, das härteste Gefängnis der United States war die Hölle. Nicht nur wegen der brandheißen Temperaturen, die draußen in der Wüste vor Phoenix im Sommer herrschten, sondern wegen allem, was hinter dem mit Strom gesicherten Zaun passierte. Gewalt, körperliche und seelische, Vergewaltigung und harte Arbeit in dem Schlachthof in der Nähe des Gefängnisses. Es war ein zweifelhaftes Glück, im Winter in diesem Gefängnis eingesperrt gewesen zu sein. So war ich von der sengenden Hitze verschont geblieben, aber in den Zelten, in denen wir Häftlinge untergebracht waren, gab es keinen Schutz gegen die Kälte. Der Frost war in diesem Winter ausgefallen, aber Regen bei Temperaturen um fünf Grad war es nicht gerade angenehm. Und von der Gewalt war ich nicht verschont geblieben. Doch dorthin musste ich nicht zurück.

      Ich durfte gehen, wohin ich wollte. Darüber sollte ich mich freuen. Wahnsinnig freuen. Doch stattdessen fühlte ich diese Leere in mir, die mir die Tränen in die Augen trieb.

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