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sie auf, und der klägliche Rest krampfhafter Zurückhaltung brach einfach ein. „Er ist tot! Ô babaca! Aber ich lebe noch und ich habe nur ein Leben, so wie du! Und darum würde ich schleunigst aufhören zu fressen und zu saufen, weil sonst Malu auch bald in meine Lage kommt und fremde Männer in ihr Haus einlädt! Ah, vergiss es!!“ Kochend vor Wut drehte sie sich um und rannte ins Haus.

      Immer wieder hatte er gestichelt, provoziert, und dass sie meistens darauf einging, schien zu den Beiden zu gehören, was auch den Gleichmut der anderen erklärte, wenn sie sich in die Haare gerieten; aber die Heftigkeit, mit der sie jetzt aufeinander losgefahren waren, hatte uns alle überrumpelt. Verärgert, sich über unhöfliche Besoffene auslassend, nahm Sé das Glas aus Fábios Hand und Malu versetzte ihm einen harten Schlag auf den Bauch. „Geschieht dir recht.“ „Ja. Ja, ich bin ein Arschloch, und ich fresse und saufe zu viel. Geschieht mir recht, jawohl! Tut mir leid, Robert, ich wollte dich nicht beleidigen.“ Ich war nicht beleidigt, seine Eifersucht schmeichelte mir und ich freute mich insgeheim, dass sie wegfuhren, auch wenn Viktoria neue Gäste erwartete, freute mich auf die Stunden, die ich mit ihr allein sein würde.

      Halb begraben unter Fábios überschwänglichen Entschuldigungen sass sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch, den Kopf in die Hand gestützt; „Saufkopf.“ „Was immer du willst, Vicky, du hast recht, und es tut mir wirklich aufrichtig leid.“ Unwillig schüttelte sie seinen Arm ab, „ich hasse dich.“ „Für immer?“ „Bis zum nächsten Sündenzahltag.“ „Für nicht sehr lange in dem Fall“, und sie lachten, versöhnten sich, verabredeten sich für dieselbe Zeit im nächsten Jahr, nahmen Abschied; ich schlug vor den Tag in Maresias zu verbringen und sofort war sie einverstanden, war sehr beschäftigt alles einzupacken und schweigend beluden wir das Auto. Sie zweifelte, ich spürte es. Es war ihr nicht gleichgültig, was ich dachte, wie ich dachte, auch mochte sie mich mehr, als den alten, halbvergessenen Bekannten, als den sie mich behandelte; und sie wich mir aus, gab sich lange nur mit ihren Kindern ab, spielte in Wasser und Sand und als sie sich dann zu mir setzte, sprachen wir über Belangloses, sie meinte, dass es heute regnen würde, dann fing sie einfach zu erzählen an.

      „Ich war dreizehn als mein Vater starb. Es war an einem Samstag, das letzte Wochenende der Winterferien, und ich war bei meiner Grossmutter. Sie hatten mich strafversetzt, weil meine Nonna bei uns war; er war doch so krank und ich so unausstehlich zu meiner Nonna.“ Sie hielt inne, liess die Augen suchend über den Strand gleiten, liess sie liegen auf ihren Kindern, dann schaute sie hinaus aufs Meer. „Am Montag bin ich zur Schule gegangen. Wir wohnten in einem Dorf, alle wussten schon, was geschehen war, liessen mich in Ruhe; alle, bis auf eine, und ich hätte sie erwürgen können, hätte schreien wollen und toben.“ Nervös hatte sie mit den Füssen tiefe Furchen in den Sand gegraben, sprang jetzt auf, „verstehst du, Robin? Was kann man denn tun?“, rannte, stürzte sich kopfüber ins Meer, schwamm, tauchte, schwamm weiter hinaus, liess sich zurücktragen; „man kann nur auch sterben, um der Qual ein Ende zu bereiten oder man lebt. Also lebe ich, so gut es geht.“

      Ich schaute auf diese eigenartige Frau, deren Wesen mich berührte, mein Herz mit Wehmut erfüllte und in meinem Geist erschien das Gesicht meines Freundes, starr und bitter, ohne Hoffnung auf einen Weg zu etwas Glück. Ich hob die Hand, wischte einen Tropfen aus ihrem Gesicht, „warum hast du dir hier ein Haus gekauft?“, und ihre Augen schweiften über den weissen Sand, über die schäumende Brandung hinaus zum Horizont, „weil man hier einen Blick auf das Paradies tun kann, und weil ich nicht genug Geld für ein Haus in der Schweiz habe. Komm, gehen wir, es wird gleich regnen.“ „Regnen, Viktoria?“ Sie lachte, zeigte auf die dicht bewaldeten Hügel hinter uns und ich sah, wie dicke, weisse Wolken wie Zuckerwatte über ihre Kämme quollen.

      Mit der Ankunft von Ana und Luiz, ihren beiden kleinen Mädchen, das jüngere erst wenige Monate alt, und der von Alzira, einer gemeinsamen Freundin, änderten sich Rhythmus und Stimmung im Haus. Viktoria zog sich zurück in den Schutz der beiden Frauen, umgab sich mit Kindern, und ich schloss mich Luizinho an, wie sie ihn nannte: kleiner Luiz. Er war der Jüngste, ein dänischstämmiger, sportlicher und sehr direkter Brasilianer. Am ersten Tag schon, ich hatte mir Samis Body-Board ausgeliehen und wir waren unterwegs zum Strand, wollte er wissen, ob ich ein Verhältnis mit Viktoria habe, grinsend entschuldigte er sich sogleich wir gingen surfen. Schön erschien sie mir, doch, erregend in ihrer Lebendigkeit, ich fühlte mich zu ihr hingezogen, aber sie war nicht bereit und so hielt ich mich zurück, begnügte mich damit ihr zuzusehen, am Strand, wie sie schwamm und rannte, in der Sonne lag, wie sie ihre Kinder umsorgte, Anas Baby wiegte, ungemein gutes Essen für uns kochte, und ich sass da, am Abend, wenn wir alleine waren, ohne Kinder, hörte ihren Gesprächen zu und immer wieder dachte ich an James, tauchte ungerufen sein Gesicht vor mir auf.

      Als wir dann alle einige Tage nach Jahresbeginn in die Stadt zurückgekehrt waren, hatte ich gehofft, Viktoria vor ihrem Flug noch einmal zu sehen. Schwarz vor Menschen war die Abflughalle, eilig schob und drängte ich mich zu ihrem Schalter vor ‚Check-in abgeschlossen‘, rannte fast zur Passkontrolle, fragte mich etwas ausser Atem, was mich wohl trieb, wie ein aufgeschreckter Käfer in dieser Flughafenhalle hin und her zu rennen, inmitten all der Leute, auf der Suche nach einer Frau mit zwei kleinen Kindern, verschob die Antwort auf später, ging meinem Leben nach, checkte ein, bereitete mich auf die Ankunft zu Hause vor, auf all die Dinge, die ich zu tun haben würde; und wieder dachte ich an James, dachte, dass er mich jetzt endlich wissen lassen musste, ob er mitkommt in die Berge, dachte, was für ein egoistischer Mensch er doch war, weil er mit seinem Zögern verhinderte, dass wir Freunde der Jungen einladen konnten und er es wusste; und als dann die Turbinen aufdröhnten, die Maschine sich in Bewegung setzte, schaute ich hinaus auf die Lichter des Flughafens, die aussahen wie alle Lichter auf allen Flughäfen, liess meine Gedanken zu Viktoria wandern, dachte, dass ich sie in der Schweiz besuchen werde, wissen wollte wie sie lebte im Alltag, fernab von Meer und Sandstrand, von der Hitze des brasilianischen Sommers, der die Menschen weich werden lässt und sinnlich, dachte daran, sie nach Albion einzuladen.

      Tage nach meiner Rückkehr zehrte ich noch von der Wärme, die ich aufgenommen hatte, aber als ich dann zwei Wochen später in Zürich eintraf, lag die Welt unter einer kalten Nebeldecke begraben und ich verlor etwas den Mut, hatte jedoch Gründe in Zürich zu sein, vorrangige Gründe, Dinge, die zu erledigen ich hierhergekommen war; und dann rief ich sie an, war Minuten später unterwegs in eines der Dörfer am See. Das Taxi hielt vor einem kleinen, etwas windschiefen Haus, in dessen Garten die kläglichen Reste eines überdimensional dicken Schneemannes standen. Unwillkürlich dachte ich an Sami und Max, ertappte mich bei einem einfältigen Grinsen, Viktoria öffnete die Tür, hiess mich willkommen in der Eiszeit und ich fragte nach den Kindern. Max schlief, Sami war noch in der Schule, wollte später Schlittschuhlaufen gehen.

      „Kannst du Schlittschuhlaufen?“ Ich hatte das Häuschen besichtigen wollen, wir standen im Untergeschoss, in Samis Bastelraum; er wollte Schreiner werden, einen Kobold bekommen, was ich nicht ganz verstand, beunruhigt wohl durch die Aussicht Schlittschuhlaufen zu müssen; „wo arbeitest du?“ „Ganz oben.“ Wir stiegen die Treppen hoch, vorbei an den Zimmern der Kinder, hinauf bis fast unters Dach, traten in einen grossen, in Schlaf- und Arbeitsplatz unterteilten Raum. Nur sehr schwer fiel es mir, kühle Technik mit dieser Frau in Verbindung zu bringen, neugierig näherte ich mich den hochgerüsteten Maschinen. entdeckte, halb von Büchern und Ordnern verdeckt, das Foto eines schwarzhaarigen Mannes, der mit Sami und Max in einer Hängematte lag.

      „Dein Mann? Warst du glücklich?“ „Und du? Die letzten sechzehn Jahre?“ Als stünde mir die Antwort auf der Stirn geschrieben, musterte sie mich, lächelte, „ich war es, immer wieder. Lange waren wir Komplizen, und irgendwann sind wir dann zu Konkurrenten geworden.“ „Warum Konkurrenten?“ „Ich weiss nicht. Vielleicht weil ich immer gearbeitet habe, immer Angst davor hatte, mein Leben in die Hände eines Mannes zu geben, hoffend, dass er nett ist und meine Rechnungen bezahlt; ich muss das noch schnell abschliessen.“ Sie setzte sich vor den Computer, setzte eine Brille auf und in aller Ruhe konnte ich sie betrachten. So ganz anders sah sie aus, eingepackt in lange Hosen, warme Pullover; erwachsen, auch wenn ich mich immer so jung fühlte in ihrer Gegenwart, „und dann?“

      „Was?“ „Wie ging es weiter?“ „Grosse Krise.“ „Wer war schuld?“ „Schuld? Es braucht zwei zum Tango tanzen.

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