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die Sonne aufgehen. „Wir sind da“, sagte der Vogel, „da vorne liegt das Schneeland“, und vom höchsten Gipfel herab erklang eine Stimme. Sie rief nach dem Jungen, den sie vor langer Zeit verloren hatte, bat, ihr gebrochenes Herz zu heilen, und der König hörte die Stimme. „Vogel“, sagte er, „hilf mir! Trage mich auf den Gipfel, ich bitte dich darum.“

      Der Vogel flog auf, kreiste über dem König, packte ihn fest mit seinen starken Klauen, trug ihn höher und immer höher, liess ihn dann sachte in den Schnee auf dem Gipfel fallen und dort fand er die Frau, die die andere Hälfte seines Herzens trug und sie fand den Mann, der einmal Teil von ihr gewesen. So froh waren sie, umarmten sich, schworen, sich niemals mehr zu trennen; aber die Götter sahen es und wurden fuchsteufelswild.

      Sie riefen das Feuer unter den Gipfeln, beschworen es zu kochen und die Erde erbebte, krachend zerbarst der Berg, Feuer strömte aus ihm heraus und furchtlos stiess der Vogel vom Himmel, packte die umschlungenen Gestalten, hob sie hoch und trug sie weit fort in ein verstecktes grünes Tal, in dem die Nebel wohnten. Sie waren Freunde des Königs und stiegen schützend hoch, wann immer die bösen Augen der Götter suchend über das Tal schweiften. Und dort leben sie heute noch, der König und die Frau, getrennt und doch vereint, und sie bekamen viele Kinder.

      Begegnung

      Er:

      Ich reise nicht um die Weihnachtszeit, verziehe mich regelmässig aufs Land in den Wochen kollektiver Hysterie; doch die Hartnäckigkeit eines einflussreichen Geschäftsmannes, die wilden Gerüchte, die über ihn kursierten, vielleicht auch das Reissen in meinen Knochen, liessen mich seinem Drängen nachgeben, ich flog nach São Paulo, fand mich wieder umgeben von devoten Kellnern, jungen, hübschen und bildhübschen Mädchen, alten Männern; an der Weihnachtsparty einer Modellagentur und umgeben von seinen Leibwächtern sprach Motta über St. Moritz.

      Ich mag den Ort nicht besonders, beobachtete interessiert den jungen Mann an Mottas Seite, Sohn und Erbe, der es kaum erwarten konnte, sich in das glitzernde Getümmel zu stürzen. Wie ein junger Hund auf seinen Ball wartete er vergebens auf eine Lücke in Mottas Rede, der ihn streng an seiner Seite hielt, aus Furcht wahrscheinlich, dass ihm die schönsten Mädchen abhanden kommen könnten. Gelangweilt plötzlich liess ich meine Augen schweifen, erblickte eine Frau in der schillernden Menge, die eben erst gekommen schien. Zögernd stand sie an der Tür, schaute sich um und ich wartete, wollte sehen wie sie sich in Bewegung setzte; „und es wäre mir eine grosse Ehre, Sir, Sie im Februar in St. Moritz begrüssen zu dürfen.“ „Februar ist unmöglich, Mr. Motta, ganz unmöglich.“

      Ein kurzer, höflicher Blick und sie war fort, verschluckt von der Menge, bedauerlicherweise, sie hatte mir gefallen; und dann hörte ich ganz in meiner Nähe Ausrufe, laute Fragen, sah diskret nach der Antwort und keine drei Schritte von mir entfernt wurde sie vom Gastgeber begeistert begrüsst. „Viktoria Tavares, sieh einmal an, Vitória!“ Motta erhob die Stimme und augenblicklich liess Carlos, so glaube ich wenigstens war sein Name, ihre Schultern los, trat zurück, Motta ging auf sie zu, nahm sie am Arm und widerwillig, als würde sie abgeführt, liess sie sich mitziehen.

      „Viktoria, darf ich vorstellen?“ Er tat es, mit Glanz und Gloria, und sie schien nicht im mindesten interessiert wer ich war, woher ich kam, vage in meine Richtung nickend schob sie sich behutsam rückwärts, als müsse sie rennen, wäre auf Vorsprung aus, und Motta nahm erneut ihren Arm. „Ich habe gehört, was mit Henrique passiert ist, Viktoria, es tut mir aufrichtig leid. Brauchst du etwas? Kann ich dir helfen?“ „Nein. Hallo Rô.“ Sie machte sich los, tat einen Schritt in Richtung des jungen Mannes, wechselte ein paar Worte, machte Anstalten sich umzudrehen, wegzugehen; „dein Witwenstand steht dir gut, Viktoria, du siehst toll aus. Lunch, morgen um eins. Abgemacht?“ „Morgen um eins bin ich am Strand.“ „Komm, sei nicht kompliziert, mein Chauffeur fährt dich später, plus Zweitausend für deine Anwesenheit.“ Verblüfft musterte ich die Frau, von oben bis unten sozusagen, „zweitausend was, Fernando?“, und verwundert sah ich sie lächeln. „Tut mir leid, nicht für eine Million was immer. Frohe Weihnachten.“ Sie drehte sich um, bahnte sich stur einen Weg durch die Menge und ich bin ihr einfach nachgegangen.

      „Verzeihen Sie, Mrs. Tavares, ich möchte nicht ungehörig sein, aber könnten Sie mich mitnehmen? Ich wohne im Sheraton. Falls das auf Ihrem Weg liegt, natürlich.“ Sie blieb stehen, schien diesmal etwas genauer wissen zu wollen, wer ich war, wo meine Unverschämtheit herkam, dann zuckte sie die Achseln, ging weiter, öffnete mit einem Stoss die Tür und wir traten ins Freie. „War das ein Ja oder ein Nein?“ Sie beachtete mich nicht, rief einen der herumlungernden Jungen herbei, gab ihm einen Zettel in die Hand, ein paar Münzen; „wenn Sie mitkommen wollen, es liegt auf meinem Weg“, und schweigend warteten wir, bis uns der Junge den Wagen brachte.

      „Halten Sie niemals, wenn die Ampeln auf Rot stehen?“ „Nur an den grossen Kreuzungen“, angestrengt betrachtete sie die Strassenschluchten, schien nach Orientierung zu suchen, „und Sie wohnen hier in der Nähe?“ „Ah ja, diese ist es; meine Schwiegermutter, ich wohne in Zürich.“ Entschlossen bog sie ab, und wieder war ich verblüfft. Auch wenn sie nicht aussah wie eine Brasilianerin hatte sie doch wie eine gesprochen, während des Geplänkels mit Motta hatte ich nicht den leisesten Akzent bemerkt; „sind Sie jetzt eine Brasilianerin, die in der Schweiz lebt oder eine Zürcherin, die in São Paulo gelebt hat?“ „Eine Zürcherin. Unsere Polizei hatte viel Verständnis für meine Angewohnheit, im Dunkeln nicht an Ampeln zu halten. Die haben überall Blitzgeräte, und ich musste es ihnen erklären. Macht der Gewohnheit und so. Die Bussen hätten mich ruiniert. Sind Sie ein Freund von Fernando Motta?“

      „Ein möglicher Geschäftspartner.“ „Aha; beeindruckend wie er mit Geld um sich wirft, finden Sie nicht? Vielleicht hätte ich feilschen sollen. Was meinen Sie? Vielleicht hätte er erhöht. So, wir sind da.“ Sie hielt vor dem Hotel, ein Page öffnete meine Tür, doch ich wollte nicht aussteigen, sie einfach so gehen lassen; „danke fürs Mitnehmen. Darf ich mich mit einem Nachttrunk revanchieren?“ Das Wort schien ihr zu gefallen, als schmecke sie es auf der Zunge wiederholte sie es, musterte mich dabei von oben bis unten, zuckte die Schultern und stellte den Motor ab. „Auf einen Nachttrunk.“ Wir stiegen aus, sie nahm den Parkschein in Empfang und ich führte sie in die Bar.

      „Wie lange bleiben Sie noch hier?“ „Ich fliege am Weihnachtstag.“ „Am Weihnachtstag? Wie traurig an diesem Tag im Flieger zu sitzen.“ „Finden Sie?“ „Ja, ausser man hat keine Kinder und ob Motta erhöht hätte, haben Sie mir auch noch nicht gesagt.“ „Auf eine Million?“ „Wohl kaum, nicht wahr?“ Ich hatte das Gespräch also verstanden, hatte mich eben verraten, augenblicklich ging sie auf Distanz, lehnte sich zurück und ihr Gesicht verschwamm im Schatten; „Sie sprechen Portugiesisch.“ „Das, was die Portugiesen so nennen, ja, hier zweifle ich gelegentlich. Woher kennen Sie Motta?“ „Was meinen Sie? Sie scheinen ein guter Beobachter zu sein. Auf was schliessen Sie nach diesem netten Zusammentreffen?“ Spielerisch fast warf sie mir den Ball zurück, stachelte nebenbei meine Eitelkeit etwas an, ich halte mich tatsächlich für einen guten Beobachter, beugte sich vor und ihre Augen tauchten auf, musterten mich voll neugieriger Erwartung.

      „Ein grober Scherz, Mrs. Tavares, unter Bekannten.“ „Ja, genau, das war es. Ich muss gehen. Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen.“ Vertrieben hatte ich sie mit meiner unverbindlichen Antwort, so unverbindlich wie möglich eben, hatte er sie mir doch vorgeführt, um zu beleidigen, nicht um sie mir anzubieten. Sie war keine Professionelle, ich hegte nicht die geringsten Zweifel, und sie gefiel mir, ich wollte nicht, dass sie ging, nahm die Hand, die sie mir entgegenstreckte. „Ich höre immer wieder wie herrlich die Küste hier sein soll. Was meinen Sie? Lohnt es sich für ein paar Tage an den Strand zu fahren?“ „Sie können bleiben oder gehen? Sie müssen nicht zurück?“ Leicht nur hatte ich ihre Hand festgehalten und sie entzog sie mir, setzte sich, bat den vorbeiziehenden Kellner um eine verschlossene Flasche Wasser, und ich war seltsam angerührt von der kindlichen Verwunderung über mein Vermögen zu tun und zu lassen, was ich wollte und auch etwas verwirrt von der Leichtigkeit, mit der sie die Sprache wechselte.

      „Also, was würden Sie mir empfehlen?“ „Maresias.“ „Maresias? Gut, das kann ich behalten. Und warum Maresias?“ Kurz nur, als

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