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Maresia. Katharina Conti
Читать онлайн.Название Maresia
Год выпуска 0
isbn 9783847667780
Автор произведения Katharina Conti
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Tisch wurde gedeckt, Viktoria verschwand im Haus, Sé, wie sie ihn nannte, erschien mit den restlichen Caipirinhas, Fábio brachte knusprige Würstchen vom Grill und bekleidet jetzt mit Shorts und T-Shirt, in jeder Hand ein Bastkörbchen, bis an den Rand gefüllt mit seltsam wurzelartig geformten Brötchen, trat Viktoria an den Tisch. „Du hast sie für mich gemacht, Vicky, allerliebste Vicky!“ „Die sind für dich“, Malu erschien mit zwei weiteren Körbchen, „und die sind für uns alle.“ Viktoria setzte Max zurecht, füllte tiefroten Saft in die Gläser der Kinder, „und was ist das?“ „Randen mit Karotten und Orangen. Sehr gesund. Möchten Sie versuchen?“ „Später.“ Ich hob mein Glas, lächelte ihr zu, „erstaunlich“, und mit einem zufriedenen Lachen schnitt sie ein Stück Wassermelone für Max, forderte mich auf zuzugreifen und ich ass die schmackhaftesten Brötchen, die ich je gekostet hatte.
„Kennen Sie Tante Vicky schon lange?“ „Ich bin nicht deine Tante, Bruno, und ich werde mich nie daran gewöhnen, jedermanns Tante zu sein in diesem Land. Macht irgendwie alt, finden Sie nicht?“ Also doch nicht Schwägerin, erneut musste ich sie anlächeln und unbefangen erzählte sie die Geschichte unseres Zusammentreffens. „Du hast ihn mitgenommen, tia? Einen Fremden? Bist du verrückt geworden?!“ „Jû, er ist ein Gentleman. Er ist zwar ein Freund von Fernando Motta, aber zuerst ist er Gentleman, richtig?“
Ich protestierte, ich war kein Freund von Fernando Motta, hatte es ihr schon einmal gesagt, und immer noch ungläubig schüttelte das Mädchen den Kopf. „Du bist verrückt, Vicky.“ „Ganz recht, mein Kind, völlig verdreht. Zweitausend für die Teilnahme an einem Mittagessen, und sie lehnt ab!“ Viktoria stand auf, ging zu Fábio, knuffte ihn gegen die Schulter, „es war zu wenig, viel zu wenig. Bist du soweit? Können wir essen?“, ging hinein, kam mit brasilianischen Bohnen, Bananen und Reis zurück und er tranchierte das Fleisch.
Einstimmig war beschlossen worden, den nächsten Tag in Maresias zu verbringen und ich hatte eben mein Frühstück beendet, als sie ankamen, mich aufluden; wir fuhren bis zum anderen Ende der Bucht, errichteten dort unser Lager und erneut bewunderte ich das leuchtende Grün des Hügels, der sie abschloss, roch das Salz in der Luft, spürte die Hitze auf der Haut; weit draussen, verhüllt von leichtem Dunst, erkannte ich die Umrisse einer klippenartig geformten Insel und wie Pinselstriche hingen ein paar Wolken am Himmel, verschmolzen mit dem glitzernden Schaum der Brandung. Mit allen Sinnen gleichzeitig nahm ich die Schönheit dieses Ortes wahr, schaute auf die Frau neben mir, die in einem Strandstuhl sass und ihre Kinder beobachtete. Ich konnte nicht bleiben, hatte bereits alles versucht, mein Zimmer für ein paar weitere Tage zu behalten, aber das Hotel war ausgebucht, die Zimmer bezahlt, sehr wenig Hoffnung hatte man mir gelassen, anderswo etwas zu finden und übermorgen würde ich wohl abreisen müssen.
„Ich habe mich noch gar nicht bedankt für Ihre Empfehlung.“ Kurz nur streifte mich ein Lächeln, „bald kommt São Paulo, bleibt bis Neu Jahr. Landeinwärts werden Sie den Ort nicht wieder erkennen.“ Erneut das Lächeln, „erstaunlich, dass Sie noch ein Zimmer bekommen haben.“ Eben nicht, und ich sagte es ihr. „Kommen Sie zu uns, wenn Sie bleiben wollen. Die Kinder können bei mir schlafen.“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, sprang sie hoch, rannte über den Sand und fischte Max aus dem Wasser. Irritiert schüttelte sich der Dreikäsehoch, trat wütend nach den Wellen, trotzig wagte er sich wieder hinein, wurde erneut umgeworfen; ich sah orangefarbene Schwimmflügel, kleine Arme und Beine durchs Wasser wirbeln, unsanft setzte ihn die Welle auf den Sand und er brüllte. Viktoria, die ruhig zugesehen hatte wie er den Ozean herausforderte, stellte ihn jetzt tröstend auf die Beine, wischte ihm das Wasser aus den Augen und ich fragte mich, ob es so einfach sein konnte. Sie war gerne hier, konnte verstehen, dass man noch etwas bleiben wollte, und die Kinder würden in ihrem Zimmer schlafen.
„Er verliert immer mehr die Angst vor den Wellen. War Zeit, dass ihn eine wieder mal so richtig schüttelt.“ Sie hatte sich in ihren Stuhl fallen lassen, ihre Strandwache wieder aufgenommen, „wo ist Sami?“ „Er ist im Wasser, dort drüben, mit Sé; Viktoria, ich möchte Ihnen keine Ungelegenheiten bereiten.“ Glucksend lachte sie auf, „in den Ferien? Ich würde keinen Moment zögern und Ihnen bedauernd mitteilen, dass die Rezeption einen Fehler gemacht hat, wir ab sofort komplett ausgebucht sind.“ Ein kleiner, blauer Gummiball prallte gegen ihre Schulter und plumpste in den Sand. Sie hob ihn auf, drehte sich zu Bruno, der mit zwei Holzrackets in den Händen dastand und sie angrinste. „Ich habe geübt, tia Vicky.“
„Hoffentlich“; und ich schaute zu, wie sie den Ball schlug, rannte und lachte, dann hatte sie genug, warf das Racket in den Sand, tauchte ein und schwamm Richtung Brandung. Hoch türmte sich eine Welle über ihrem Kopf, mit kräftigen Zügen schwamm sie weiter, erwischte den Kamm der nächsten Welle und liess sich mittragen. Lange blieb sie im Wasser, spielte mit den Kindern, schwamm, tauchte in dem weissen Schaum, und dann stieg sie aus dem Meer, angespült von einer Welle, kam mit festen Schritten auf mich zu, wiegend in dem Sand, und ihr Lächeln traf mich wie eine Breitseite. „Die Seele waschen nennt man das.“ Ich nahm an. Am selben Tag noch zog ich um, wurde Gast in ihrem Haus, genoss den formlosen Umgang der Brasilianer, die lärmende Lebendigkeit der Kinder, verbrachte viel Zeit, mir ein Bild von Viktoria zu machen, sie festzulegen und einzuordnen.
Zwei weitere Tage blieben die beiden Familien und auch am Vorabend ihrer Abreise sassen wir auf der Veranda, tranken Caipirinhas, Sé erzählte von seiner abenteuerlichen Flucht aus Moçambique, dann kam das Gespräch auf die Regierung, die Krise und Viktoria gähnte. Immer die gleiche Geschichte, nur die Währung, die sich ändert, die Namen der Abzocker; allgemeines Stimmengewirr hob an und mehr oder minder sachlich versicherte man uns Ausländern, es sei noch nie so schlimm gewesen, erzählte Geschichten von skandalösen Machenschaften in Brasília, den unvorstellbarsten Gewalttätigkeiten auf den Strassen von Rio und São Paulo, und Viktoria zog die Beine an, zog sich zurück in ihren Stuhl als fürchte sie, der Schrecken könne bis an diesen friedlichen Ort vordringen.
„Das war schon immer so.“ „Ah, das Wort der Expertin, die seit fast zehn Jahren nicht mehr hier lebt.“ „Ja, ja, bla,bla, und warum es hätte denn besser werden sollen? Wegen dem nächsten, der verspricht, dass der Riese aus seinem Koma erwacht, der Traum von Grösse endlich wahr wird? Fábio, die Militärs sind abgezogen und“, „du würdest natürlich zum bewaffneten Widerstand aufrufen, sie alle erschiessen. Auch Ché ist vor langer Zeit zu Staub geworden, meu bem.“ „Erschiessen lassen, sicher, die gehören an die Wand gestellt. Stell dir vor, die gehen sonst alle in Pension und du musst bezahlen.“ Ich verstand nur teilweise, warum sie alle lachten, gefangen wie ich war vom schnellen Wechsel der Gefühle auf Viktorias Gesicht; sprühend vor mutwilligem Spott forderte sie Fábio für die zweite Runde und als er seine mächtigen Arme auf den Tisch stützte, bemerkte ich den bösartig glitzernden Blick des Angetrunkenen.
„Wie kommt es, dass du Schweizerin bist, Vic? Da stimmt doch etwas nicht.“ Überrascht drehte sie den Kopf zu mir, hob lachend die Hände, „also gut, ich gebe es zu, ich bin ein Mischlingskind. Mein Vater war Italiener, ja, und darum werde ich bei der nächsten Abstimmung gegen die EU stimmen. Ich hab ja einen europäischen Pass.“ Das allerdings war sehr schweizerisch, aber ich kam nicht mehr dazu, es ihr zu sagen. „Ha governo, sou contra, das ist dein Motto, nicht wahr? So hast du immer was zu meckern, und Henrique hat das auch zu spüren bekommen. Bist du eigentlich froh, dass er tot ist?“ Wie vor einem Schlag zuckte sie zurück und Fábio legte seine schwere Hand auf ihren Arm. „Es hat dir eine Scheidung erspart; und du benimmst dich wirklich nicht wie eine trauernde Witwe, die erst vor kurzem ihren geliebten Mann verloren hat. Sitzt hier, hast Spass, lädst fremde Männer in dein Haus und“, „lass los!“ Mit aller Kraft riss sie sich los und sprang auf.
„Was fällt dir ein, meine Gastfreundschaft zu kritisieren? Hm?! Und wer hat schon keine Probleme nach sechzehn Jahren Ehe? Du vielleicht?!“ Unaufhörlich knetete sie ihre Hände, als wolle sie verhindern, dass sie ihm an die Gurgel fahren, und Fábio wurde es sichtlich unbehaglich. „Ich war euer Trauzeuge, ich fühle mich