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Nun ging ich hinunter, um das Frühstück einzu- einzunehmen. Im Büro ließ ich nach dem Menahouse-Hotel in Gizeh um

       das Zimmer telephonieren, welches ich zu bekommen trachte, sooft ich draußen bin. Es führt aus demselben eine gut

       verschließbare Türe direkt ins Freie, so daß man zu jeder Tages- und auch anderer Zeit nach den Pyramiden gehen kann,

       ohne von den anderen Gästen beachtet zu werden oder den Schließer belästigen zu müssen. Es wurde mir zugesagt.

       Im Speisesaale angekommen, sah ich, daß die Chinesen schon gefrühstückt haben mußten. Sie waren nicht da, aber

       das gebrauchte Geschirr stand noch auf ihrem Tische. An dem zu meiner andern Hand saß Mr. Waller ganz allein. Er

       hatte die leere Tasse vor sich, sah höchst gelangweilt aus und schien auf seine Tochter zu warten. Als der Kellner mich

       bediente und dabei an ihm vorüberging, fragte er ihn nach Monsieur Fu und Monsieur Tsi.

       »Stehen eben im Begriff, abzufahren,« lautete die Antwort.

       »Was? Sie reisen ab?«

       »Nein. Sie bleiben noch für längere Zeit hier, um die Umgebung Kairos ebenso genau wie die Stadt selbst kennen zu

       lernen. Heut wollen sie nach Gizeh. Sie schlafen in Menahouse und gehen morgen nach den Pyramiden von Sakkara.«

       Das interessierte nicht nur den Missionar, sondern auch mich. Ich hatte also Gelegenheit, sie heut und morgen an den

       angegebenen Orten zu sehen, und nahm mir vor, einer etwaigen Gelegenheit, mit ihnen dort zu verkehren, nicht aus dem

       Wege zu gehen.

       Nach einiger Zeit kam Mary, und ihr Vater ließ servieren. Ich erfuhr, ohne die Absicht zu hegen, sie zu belauschen, daß

       die Miß von einem Ausgange zurückkehrte. Sie hatte einige kleine Einkäufe gemacht. Als die Gegenstände betrachtet

       worden waren, teilte ihr der Vater mit, daß die Chinesen nach den Pyramiden seien, und fragte sie, ob sie nicht Lust

       habe, heut auch hinauszufahren. Sie schien nicht sehr dafür gestimmt zu sein, vermutlich aus Rücksicht auf Fu und Tsi, auf

       welche es ihr Vater wahrscheinlich wieder abgesehen hatte; aber sie war gewöhnt, sich seinen Wünschen zu fügen, und

       so beschlossen sie, seinen Gedanken auszuführen und gleich nach Tisch und trotz der dann großen Hitze hinauszufahren.

       Die üble Laune Mr. Wallers schien durch diese Fügsamkeit der Tochter gehoben worden zu sein. Er begann,

       gesprächiger zu werden, und nun, wo ich meine Aufmerksamkeit nicht zu teilen brauchte, wie gestern, fiel mir an ihm ein

       eigentümliches, nervöses, ich möchte fast sagen ängstliches Springen von einer Idee auf eine andere, ihr völlig fremde,

       auf. Es war, als ob sich seine Psyche auf der Flucht vor einer anderen, aber auch in ihm lebenden, befinde. Das war ein

       ruheloses Haschen und Jagen von einem Gegenstande zum andern. Er erwähnte seine verstorbene Frau, die er sehr lieb

       gehabt zu haben schien, auffällig oft und unterließ es natürlich nicht, auch von seiner zukünftigen Missionstätigkeit zu

       sprechen. Als ihn das mit unfehlbarer Sicherheit auf die einzustürzenden Säulen und Tempel brachte, fiel ihm die Tochter

       in die Rede. Sie griff in die Tasche, zog ein zusammengefaltetes Papier heraus und sagte:

       »Ich habe dir etwas mitzuteilen, was hierauf Bezug hat, lieber Vater. Du sagst, daß Alles, was an eine andere

       Verehrung als unseres christlichen Gottes erinnere, fallen müsse, und magst vielleicht recht haben. Mir ist, wie du weißt,

       dieser Gedanke als zu streng erschienen, denn ich halte diesen Dienst für das ganz natürliche und noch unbewußte Lallen

       der Menschheit in ihrem frühesten Kindesalter. Nun habe ich hier einige Zeilen, die sich in ganz eigener Art und Weise

       mit dieser unserer Streitfrage beschäftigen.«

       »Wer hat sie geschrieben?«

       »Das weiß ich nicht.«

       »Also wohl gedruckt? Ein Blatt aus einem Buche?«

       »Nein. Es ist geschrieben; eine vierzeilige Strophe, welche ich für den Anfang eines Gedichtes halte.«

       »Du mußt doch wissen, von wem du sie hast!«

       »Vom Winde!« lachte sie mit ihrer lieben, tiefen Stimme, indem sie das Blatt hoch emporhob und die Bewegungen

       nachahmte, mit denen ihr das Papier zugeflogen war. »Als ich vorhin fortging, brachte er es mir zugetrieben und legte es

       mir fast gerad vor die Füße hin. Ich hob es auf, da es so rein und sauber war, und las die Zeilen, welche darauf stehen.

       Denke dir meine Verwunderung, als ich sah, daß sie sich gerad mit deinem Hauptthema beschäftigen. Willst du sie

       hören?«

       Er nickte und sie las:

       »Tragt Euer Evangelium hinaus,

       Doch ohne Kampf sei es der Welt beschieden,

       Und seht Ihr irgendwo ein Gotteshaus,

       So stehe es für Euch im Völkerfrieden!«

       Sie hatte langsam und so gelesen, daß man hörte, ihr Herz stimme diesen Worten bei. Dann blickte sie ihren Vater

       fragend an. Wenn ich der Ansicht gewesen war, daß er aufbrausen werde, so hatte ich mich geirrt. Er saß still, ganz still

       da und sagte zunächst kein Wort. Dann legte er die Hände auf der Kante des Tisches zusammen und forderte sie in

       beinahe bittendem Tone auf:

       »Lies noch einmal, Mary!«

       Sie folgte seiner Aufforderung:

       »Tragt Euer Evangelium hinaus,

       Doch ohne Kampf sei es der Welt beschieden,

       Und seht Ihr irgendwo ein Gotteshaus,

       So stehe es für Euch im Völkerfrieden!«

       Und wieder wurde es still. Mary sah, daß diese ihr vom Winde zugewehten Zeilen auf ihren Vater eine Wirkung

       ausübten, die sie wohl nicht erwartet hatte, und hütete sich, diese Wirkung zu unterbrechen. Und er saß mit gefalteten

       Händen da, ohne sich zu bewegen. Seine Augen sahen geradeaus, wie in eine weite, nur ihm bekannte Ferne. Im Saale

       ging und kam man hin und her; Tassen und Teller klirrten, Messer und Löffel klapperten; es wurde viel und laut

       gesprochen, doch das Alles schien ihn nicht zu stören. Er beachtete nicht, daß das Frühstück noch fast unberührt vor ihm

       stand, denn er hatte bisher weit mehr gesprochen als gegessen oder getrunken. Er hörte es auch gar nicht, daß der

       Kellner, an ihm vorüberstreichend, ihn nach etwaigen Wünschen fragte. Er schien, mit einem bezeichnenden Worte

       gesagt, geistig vollständig abwesend zu sein.

       War ich überrascht gewesen, das verloren gegangene Blatt in Marys Hand zu sehen, so war ich es nun fast noch mehr

       über den Eindruck, den es gerad auf den Mann machte, welcher die eigentliche Ursache war, daß ich es beschrieben

       hatte. Es war ganz selbstverständlich, daß ich schweigen, am allerwenigsten aber es zurückverlangen würde. Ich hatte ja

       nun seinen Inhalt wieder, den ich mir nicht einmal zu notieren brauchte, denn das zweimalige Vorlesen war mehr als

       hinreichend, ihn mir so einzuprägen, daß ich ihn nicht wieder vergessen konnte.

       Da endlich regte sich der Amerikaner wieder. Er sah sich im Saale um, als müsse er sich besinnen, wo er sei; dann

      

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