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tornando, a volo

      dal bosco alla campagna,

      dalla valle mi porta alla montagna.

      Seco perpetuamente

      vo pellegrina, e tutto l’altro ignoro.

      Vo dove ogni altra cosa,

      Dove naturalmente

      Va la foglia di rosa,

      E la foglia d’alloro.

      Es handelt sich um die Nachdichtung – als poeta doctus hat Leopardi den Titel Imitazione sicher bewusst gewählt – einer „Fabel“ des heute fast völlig vergessenen Lyrikers, Dramatikers und (vor allem) Politikers Antoine-Vincent Arnault (1766–1834):

      La Feuille

      De la tige détachée,

      pauvre feuille desséchée,

      où vas-tu ? – Je n’en sais rien.

      L’orage a brisé le chêne

      qui seul était mon soutien.

      De son inconstante haleine,

      le zéphir ou l’aquilon

      depuis ce jour me promène

      de la forêt à la plaine,

      de la montagne au vallon ;

      je vais où le vent me mène

      sans me plaindre ou m’effrayer ;

      je vais où va toute chose,

      où va la feuille de rose

      et la feuille de laurier.

      Leopardi soll diesen Text im Jahre 1818 in einer Zeitschrift gelesen und angeblich nichts über den Verfasser gewusst haben. So geriet er gar nicht erst in Versuchung, die für zeitgenössische französische Leser unmittelbar zu entschlüsselnden biographischen Anspielungen auch in seiner Nachdichtung erkennbar zu machen: Bei der geborstenen Eiche handelt es sich um Napoleon, nach dessen Sturz sich der Dichter für einige Zeit ins Exil begeben musste.

      Ein gewissenhafter Vergleich der beiden Texte ist im Rahmen eines kurzen Aufsatzes nicht möglich; einige generische Hinweise müssen genügen: Einer metrisch relativ strengen Vorlage mit einem ziemlich komplizierten Reimschema, bei dem die Alternanzen zwischen männlichem und weiblichem Reim viel zur Wirkung beitragen, steht eine um zwei Verse verkürzte ‚freie‘ Strophe gegenüber, in die sich endecasillabi (Verse 4, 7, 9) ähnlich wie unregelmäßig auftretende Reime gewissermaßen ‚beiläufig einschleichen‘. Der Wechsel von der martialischen Eiche zu der mit weniger Konnotationen behafteten Buche trägt mit dazu bei, der imitatio einen im Vergleich zur Vorlage nüchterneren und intimeren Charakter zu verleihen.

      Das muss zur Charakterisierung genügen. Wichtiger sind in dem Zusammenhang, um den es hier geht, die äußeren Umstände. In der Literatur zu Leopardi wird der Titel imitazione öfter mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Warum hat er nicht einfach von ‚Übersetzung‘ gesprochen? Das scheint darauf hinzudeuten, dass zumindest den späteren Kritikern der rhetorisch-poetische Fachausdruck nicht mehr geläufig war. Hätte Leopardi sein Gedicht unter dem Titel traduzione in die Ausgabe seiner Canti aufnehmen können? Wohl kaum. Es musste schon im Titel darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen Text handelt, der als eigenständiges Werk des Verfassers gelten darf. Noch heute gibt es in der Rechtsprechung eine klar ausgeprägte Tendenz, nur ‚freie‘ Übersetzungen als schutzwürdiges geistiges Eigentum anzuerkennen (vgl. Körkel 2016). In einer Ausgabe ausgewählter Werke von Leopardi in deutscher Übersetzung findet sich auch die Imitazione unter dem Titel Nachahmung (Leopardi 1978: unpaginiert = 262–263). Die französische Vorlage wurde immerhin mit abgedruckt. Hätte die „Übersetzung einer Übersetzung“ dort Platz finden können?

      3.2 Wolfram von Eschenbach und die drei Blutstropfen im Schnee

      Bei den Nachdichtungen französischer romans courtois durch deutsche Autoren im Mittelalter hat man davon auszugehen, dass ein großer Teil des Publikums, das dem mündlichen Vortrag der Versromane lauschte, die französischen Vorlagen kannte. Stieß der deutsche Dichter auf einen Passus, der in der französischen Vorlage besonders gut gelungen schien, begnügte er sich oft mit einer knappen Zusammenfassung. Sein ganzer Ehrgeiz galt den Passagen, die in der Vorlage nur wenig ausgearbeitet waren. Hier konnte er den kundigen Zuhörern zeigen, wozu er selbst im Stande war. Huby spricht in diesem Zusammenhang von einer règle de compétition (vgl. Huby 1968: 205; Werdermann 1998: 99). Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Form der aemulatio hat Wolfram von Eschenbach mit seiner Ausarbeitung der Episode von den drei Blutstropfen im Schnee geliefert.

      Bei Chrétien handelt es sich um einen schlichten, nur von knappen Kommentaren durchsetzten Bericht, der vor allem dadurch authentisch wirkt, dass er den Eindruck erweckt, man müsse so etwas selbst erlebt haben, dergleichen könne man sich nicht ausdenken: Eines Morgens fand sich der umherirrende Perceval auf einer Wiese am Rand eines Waldes wieder. Es lag Schnee, denn er befand sich in einem kalten Landstrich (Que froide estoit molt la contrée; V. 4097). Er sieht eine Schar von Wildgänsen, vom Schnee geblendet, die von einem Falken verfolgt wurden. Dieser stürzte sich auf eine der Gänse, die sich ein wenig von den anderen entfernt hatte und schlug sie zu Boden, ließ jedoch gleich wieder von ihr ab. Sie war am Hals verletzt und verlor drei Tropfen Blut, die in den Schnee fielen (la gente fu navree el col/Si saigna III goutes de sang/Qui espandirent sor lo blanc,/Si senbla naturel color; V. 4120–4123). Die Gans war jedoch nicht ernsthaft verletzt und konnte weiterfliegen. Erst jetzt tritt der allwissende Erzähler in Erscheinung, der weiß, was in seinem Helden vorgeht. Perceval betrachtet auf seine Lanze gestützt die Blutstropfen im Schnee und wird durch das Farbenspiel an seine ferne Geliebte erinnert (V. 4141–4144).

      Bei Wolfram wird aus dieser Episode ein um etwa zwanzig Verse vermehrtes raffiniertes Gemisch aus Bericht und Kommentaren des Erzählers. Schon der Schnee wird nicht knapp auf das rauhe Klima der Gegend zurückgeführt, sondern als ungewöhnliches Ereignis dargestellt. Dabei bringt der Autor die bei Chrétien nie in Frage gestellte Authentizitätsfiktion ins Wanken, indem er sich selbst als Erzähler ins Spiel bringt (ez enwas iedoch niht snêwes zît, istz als ichz vernomen hân; 281, 14f.), und er lässt seine Hörer/Leser auch nicht darüber im Zweifel, dass es sich hier nicht um einen nüchternen Bericht, sondern um eine ziemlich absonderliche Geschichte handelt (diz mǣre ist hie vast undersniten/ez pariert sich [„mischt sich“] mit snêwes siten; 281, 21f.). Und auch mit der schlichten Erwähnung eines Falken gibt sich Wolfram nicht zufrieden. Bei ihm gehört der Falke zu König Artus’ und seinen Rittern, die sich in der Nähe aufhielten (was Parzival nicht weiß) und war abends nicht heimgekehrt, weil er zu viel zu fressen bekommen hatte (von überkrüphe daz geschah; 281, 29). Hier wendet sich ein in der Falknerei bewanderter Erzähler augenzwinkernd an ein fachkundiges Publikum. Die wenigen Verse, mit denen Chrétien schildert, wie die roten Farbflecke im weißen Schnee für Perceval das Bild seiner Geliebten evozieren, wird schließlich bei Wolfram zu einer längeren ‚polyphonen‘ Meditation ausgestaltet, bei der die Stimme des Erzählers mit der seines Protagonisten verschmilzt.

      Wolfram folgt an dieser Stelle, sicherlich ohne es zu wissen, einer Aufforderung, die Horaz in seiner sog. ars poetica (Epistula ad Pisones) an die Dichter gerichtet hat. Es handelt sich dabei nicht, wie bis heute immer wieder irrtümlich behauptet wird, um ein Plädoyer für die ‚freie Übersetzung‘, sondern um eine Ermunterung zur aemulatio:

      Publica materies privati iuris erit, si

      Non circa vilem patulumque moraberis orbem

      Nec verbum verbo curabis fidus

      Interpres nec desilies imitator in artum,

      unde pedem proferre pudor vetet aut operis lex …

      (Horaz 1967: 238)

      In freier Paraphrase unter Berücksichtigung des hier nicht wiedergegebenen

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