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Wochenende widerfuhren, zum großen Teil im Druck ganz unmöglich wiederzugeben sind, weil sie mit einer (farbigen!) Dame von übler Reputation in Zusammenhang stehen. Somit kann ich nur all denjenigen, welche auf Pornographie kapriziert sind, von diesbezüglicher Suche abraten; sie wäre vergeblich. Ich wünsche diesen Punkt völlig klargestellt zu sehen, bevor ich des weiteren zu berichten fortfahre. (Gover 1965: 7)

      Vielleicht übertreibt Wollschläger den umständlich-hochtrabenden Ton des jungen Mannes, wodurch der deutsche Text über ein Drittel länger und erheblich elaborierter wird als das Original, aber das akustische Profil ist insgesamt gut nachgeahmt bzw. im Deutschen neu geschaffen. Die größere sprachliche Herausforderung ist der Jargon der 14jährigen schwarzen Prostituierten, die in Aussprache, im deftigen Wortschatz, in der reduzierten Grammatik eine extreme Gegenstimme zu dem ehrpusseligen jungen Mann darstellt. Es war vor allem wohl die deftige Mündlichkeit dieser Figur, die das Buch zu einem Kultbuch machte.4 Ihr Erzählbeginn im 2. Kapitel lautet folgendermaßen:

      Here goes me, I’m in the big chair. In come this trick by hiss-eff. College Joe. I kin tell them anywhere. She-it! This one walk like he ain got no toes. Jittery? Kee-ryess is he jittery.

      Jackie an Carmie upstairs wiff two tricks jes come in a minit fore this one. On’y hiyellas leff is Flow an Francine, so I spect this mothah gonna go up wiff Flow. (Gover 2005: 36)

      Für den Slang der schwarzen Prostituierten bietet sich im Deutschen kein vorhandener Jargon an. Also kreiert Wollschläger eine defiziente Sprechweise, die es im Deutschen gar nicht gibt, die er aber in allen zehn Kapiteln konsequent beibehält, so dass das rhetorische Gegeneinander der Stimmen und Milieus für den deutschen Leser zum kohärenten Hörerlebnis werden kann.

      Da bin ich also, sitz in dem großn Sessel, und rein komm dieser Kunde ganz von alleine. Is n Kollitsch-Heini. Die erkenn ich auf Anstich.

      So n Scheiß! Der wakkel da lang wie ohne Zehen. Bibberich? Kührijeminee, is der bibberich!

      Jackie un Carmie sind obn mit swei annern Kundn, wo grad ne Minute vor dem da gekomm. Sin jetz bloß noch swei da von den Halbbluts, Flow un Francine, un denk mir, der Sack da geht wohl mit Flow rauf. (Gover 1965: 23)

      Auch hier könnte man sicher das eine oder andere kritisieren, z. B. dass Wollschläger die Sprachbrocken kohärenter5 und rhythmisch flacher macht, oder dass er die doppelte Verneinung („ain got no toes“) wegkorrigiert (warum nicht: „wie mit ohne Zehen“?). Aber die angedeuteten Aussprachemängel oder ‑schlampereien („swei“, „annern“), die dilettantischen Schreibungen („Kollitsch“, „Kührijeminee“), die abweichende („komm“, „wakkel“, „gekomm“, „Halbbluts“) oder auch umgangssprachliche Grammatik („Kundn, wo“), das Vulgärdeutsch („Sack“), die gut erfundenen Redewendungen („auf Anstich“), die dialektnahe Lexik („bibberich“) folgen insgesamt dem Konzept, die Slang-Mündlichkeit der Figur lebendig nachzuahmen. Der Übersetzer hat die zwei Kontrast-Stimmen aus dem Deutschen heraus neu kreiert, was bei dem ‚akademischen‘ Sprecher sicher einfacher war als bei der Neu-Erfindung der Stimme vom unteren Rand der Gesellschaft.

      Entscheidend für die Kreativität des Literaturübersetzers ist also offensichtlich nicht die Häufigkeit von einzelnen ‚kreativen‘ Einfällen, sondern das Verstehen und kohärente Neuerfinden der schriftlichen Stimmen, was bei jedem literarischen Text eine neue und individuelle Herausforderung darstellt. Die Kreativität beim Literaturübersetzen ist prinzipiell nichts Punktuelles, sondern etwas Konzeptuelles. Sie setzt voraus, dass man die ästhetische Struktur und Qualität der Vorlage durchschaut und sprachliche Mittel findet, diese in der Übersetzung möglichst zu erhalten. Dabei dient die schriftliche Stimme – von Herder über Schlegel bis heute – als kohärentes tertium comparationis.

      5 Zusammenfassung und weiterführende Gedanken

      5.1 Eine kontinuierliche Tradition des Literaturübersetzens von Cicero über Bruni, Herder und Schlegel bis in die Gegenwart besteht in der rhetorischen Tradition, den literarischen Text als synthetische Einheit aus elocutio und darin suggerierter actio/pronuntiatio zu lesen. Dieser psychophysische Textbegriff (Kohlmayer 1997), der in Novalis’ „schriftlicher Stimme“ (Novalis 1976: 64) am prägnantesten formuliert wurde, ist in der jungen Übersetzungswissenschaft des 20. Jahrhunderts durch den Zerebralismus der vorherrschenden Theorien (Strukturalismus, Funktionalismus, Kognitivismus) verlorengegangen, gehört aber nach wie vor zum impliziten Wissen der Schriftsteller und guten Literaturübersetzer (vgl. Kohlmayer 2002). Eine realitätsnahe Theorie des Literaturübersetzens sollte für die Arbeitsweise der guten Literaturübersetzer empfänglich und relevant sein und kann vermutlich nur aus der Zusammenarbeit von Forschenden und Literatur-Übersetzenden entstehen (Buschmann 2015: 181f.).

      5.2 Die in der jungen Übersetzungswissenschaft derzeit propagierte und registrierte Kreativität hat mit der mimetischen Kreativität des Literaturübersetzens wenig gemeinsam, da jene nur als punktuelles Textproblem identifiziert wird, während beim Literaturübersetzen die kreative Aufgabe in der ästhetischen Neugestaltung der gesamten elocutio samt actio/pronuntiatio besteht. Die translatorische Mimesis ist ein permanenter Zwang zur Kreativität; sie ist die Kunst der „geistigen Mimik“ (Novalis 1976: 115), und zwar eine gelehrte Kunst, da sehr viel sprachliches, ästhetisches und kulturelles Wissen dazu gehört (vgl. Kohlmayer/Pöckl 2004a).

      5.3 Die „Angemessenheit“ oder „Akzeptabilität“ des kreativen Einfalls, die bei punktuellen Untersuchungen von Kreativität neben der „Neuheit“ als zweitwichtigstes Merkmal der Kreativität gilt (Kußmaul 2007: 17; Bayer-Hohenwarter 2012: 12),1 richtet sich bei der Übersetzung eines literarischen Textes nach der mimetischen Nähe zum Original. Wenn eine Übersetzerin eines literarischen Werkes sich auf ihre Verantwortung gegenüber irgendeiner Autorität außerhalb des Textes stützt (Religion, Ideologie, Politik, Publikum, Usus usw.), um ‚kritische‘ Passagen stillschweigend zu unterschlagen oder abzuschwächen, so führt diese Manipulation, wenn sie entdeckt wird, früher oder später unweigerlich zur Kritik durch die weltliterarische Öffentlichkeit, die unter dem Qualitätstitel ‚Übersetzung‘ immer die möglichst ehrliche Übermittlung der Originalstimme, nicht aber Bevormundung oder selbstständige Autorschaft erwartet.2 Die literarische Übersetzungskritik ist eine Aufgabe weniger der Übersetzungswissenschaft als der Literaturübersetzer selbst oder der mehrsprachigen Schriftsteller. Der gelehrten Kunst des Literaturübersetzens kann nur eine gelehrte Kunstkritik gerecht werden (vgl. Luhmann 1995: 462ff.).

      5.4 Literaturübersetzer brauchen erhebliche sprachliche und literarische Kenntnisse. Dennoch lernt man das mimetische oder kreative Übersetzen, musische Begabung vorausgesetzt, (bisher) am sichersten durch das Vorbild guter Literaturübersetzer. Das macht die Selbstaussagen von Literaturübersetzern und das Studium ihrer Arbeitsweise so wertvoll. Die Ausbildung literarischer Übersetzer sollte gelehrten Könnern anvertraut werden, von denen natürlich auch die ‚normale‘ Übersetzerausbildung punktuell profitieren könnte, da Stil im Sinne der Rhetorik auch in nicht-literarischen Texten eine wichtige Rolle spielen kann.

      5.5 Die Frage nach der Art, wie ein Text laut gelesen werden sollte („die schriftliche Stimme“), führt in den Kern der Frage, wie ein literarischer Text übersetzt werden sollte. Sprach- und kulturspezifische Hinweise auf die dem Text eingeschriebene Performanz ergeben sich einmal aus den Satzzeichen, die als rhetorische Markierungen zu verstehen sind, und aus den unterschiedlichen akustisch-semantischen Signalen, angefangen von den Grad- und Abtönungspartikeln bis zu den feinsten lexikalischen Nuancierungen (vgl. Kohlmayer 2004b). Es geht beim Lesen um Spuren-Lesen. Bei literarischen Texten gilt: Sag mir, wie du liest, und ich sage dir, wie du verstehst und übersetzt. Literatur ist der Versuch, mit allen Mitteln der Schriftlichkeit interessante menschliche Stimmen hörbar zu machen, auch über Jahrhunderte hinweg. Jedes literarische Buch ist ein „mündliches Buch“ (Novalis 1957: 340) und sollte in der Übersetzung ein Hör-Buch bleiben. Die individuelle akustische Form soll in der anderen Sprache „vivifiziert“ werden (Vgl. Fußnote 28).

      5.6 Um die schriftliche Stimme aus einem Text herauszuhören, braucht der Leser

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