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eines inneren Kontaktverlustes, der sich automatisch ergibt, wenn uns die Alltagsrealität bestimmt. Dabei können wir durchaus auf der Oberfläche unseres Lebens nach gängigen Maßstäben erfolgreich und »glücklich« sein. Trotzdem kann sich innerlich eine gähnende Leere breitmachen und sich zunehmend eine große Unzufriedenheit einstellen. Wenn uns eine solche Sinnkrise erfasst und längere Zeit in uns wirkt, wird dadurch viel Lebensenergie abgezogen und wir fühlen uns immer mehr beengt und erschöpft. Vielleicht versuchen wir zunächst, der Erschöpfung mit einem Urlaub oder mit einer Reise zu begegnen, oder wir suchen die Leere mit einem neuen Hobby zu füllen. Wenn das nichts hilft, kommt irgendwann der Moment, in dem wir unser ganzes Leben infrage stellen und nicht selten dabei bestehende Strukturen umwerfen und äußerlich völlig neue Weichen stellen.

      Doch meist hilft auch diese Radikalkur nur kurzzeitig. Natürlich bewirkt eine Lebensveränderung wie eine neue Beziehung oder eine Berufsumstellung zunächst ein Aufbrechen der inneren Routine und damit wieder mehr Frische und unmittelbaren Kontakt. Aber die Wurzel der Problematik, aus der die Selbstentfremdung und die Sinnkrise entstanden sind, ist damit weder erkannt noch gelöst, sondern nur aufgeschoben.

      Die eigentliche Ursache für unsere Sinnkrise liegt in einem zunehmenden Kontaktverlust, der sich aus unserem Verhaftetsein mit dem Reich der Gedanken ergibt. Solange wir nicht lernen, Gefühle wie Leere, Langeweile, Unzufriedenheit und Sinnlosigkeit als Symptome einer zu starken Dominanz der Alltagsrealität zu deuten und gleichzeitig das Wissen und die Fähigkeit haben, bewusst andere Realitätsebenen aufzusuchen, sind wir dieser Dynamik weiter ausgeliefert.

      Gleichgültigkeit

      Doch nicht nur eine schleichende Sinnkrise ist die Folge des inneren Kontaktverlustes und der damit einhergehenden Selbstentfremdung. Auch unsere natürliche Fähigkeit zu Empathie und Mitgefühl werden eingeschränkt. Je stärker wir in eine funktionale Welt eintauchen, desto weniger sind wir in Kontakt mit unseren Gefühlen und unserem Herzen. Wir spüren uns selbst nicht mehr richtig und genauso stumpfen wir auch gegen die Belange von anderen ab.

      Die Folge ist eine innere Neutralität, in der wir bestens funktionieren und Ziele verfolgen können, bei der aber gleichzeitig unser Lebensgefühl abflacht und uns Situationen und Menschen nicht mehr tief berühren. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich diese scheinbare Neutralität als eine innere Gleichgültigkeit, die uns nach außen hin abschottet. Alles, was nicht unseren unmittelbaren Interessen dient, wird dabei aussortiert und geht uns folglich nichts mehr an.

      Nur so lässt es sich erklären, wie es möglich ist, dass die Menschheit wider besseres Wissen weiterhin in unverantwortlicher Weise die Natur ausbeutet und damit viele Arten und sogar langfristig sich selbst bedroht. Oder wie lässt es sich sonst verstehen, dass unsere Gesellschaft oft so herzlos und gleichgültig mit der Not von Flüchtenden umgeht? Wie wenig sind wir doch bereit, unseren Reichtum zu teilen? Mit einem offenen Herzen, das interessiert am Schicksal anderer ist und empathisch mitschwingt, ist es nicht möglich, kühl und scheinbar sachlich kurzfristige Ziele und Eigeninteressen zu verfolgen, ohne dabei nach links und nach rechts zu schauen.

      Wieder müssen wir uns vergegenwärtigen, dass diese Dynamik kein persönliches Problem Einzelner, sondern ein kollektives Geschehen ist. Der Kontaktverlust und die Funktionalität, die mit der Alltagsrealität einhergehen, entfremden uns grundsätzlich von einer fühlenden Aufmerksamkeit. Je stärker und je länger wir vom Funktionieren vereinnahmt sind, desto deutlicher machen sich Gefühle von Abflachung, Neutralität, Gleichgültigkeit, Desinteresse und innerer Verhärtung breit.

      Natürlich hat der einzelne Mensch die Möglichkeit, aus dieser Dynamik auszusteigen und das Herz wieder über das Denken und Funktionieren zu stellen. Dies benötigt aber meist eine große Bewusstheit. Im Gegensatz dazu schleicht sich die kollektive Dynamik einer zunehmenden Identifizierung mit der Alltagsrealität und der damit einhergehenden Gleichgültigkeit von selbst immer wieder ein und legt fast unmerklich einen unsichtbaren Schleier der Fühllosigkeit und der Neutralität über unser Leben.

      Kontrolle und Selbstüberschätzung

      Eine weitere Schwierigkeit, die sich automatisch aus der Alltagsrealität ergibt, ist eine Ausrichtung auf Kontrolle. Wie bereits benannt, ist die Grundmotivation der Konsensusrealität auf Funktionalität ausgerichtet. Aus diesem Grund erschafft sie eine objekthafte Wirklichkeit, die wir oberflächlich immer besser handhaben können. Das erzeugt aber gleichzeitig das Gefühl, dass wir die Dinge im Griff haben. Wir verfallen immer mehr der Illusion von Kontrolle und erheben dabei unsere Ideen und Vorstellungen über das tatsächliche lebendige Geschehen.

      So wird irgendwann das Hilfskonstrukt einer Gedankenrealität, mit der wir ursprünglich die Gegebenheiten abbilden wollten, damit wir uns darin organisieren und zurechtfinden können, zu einem Diktat, dem der Lebensverlauf folgen soll. Das entspricht einer völligen Umkehrung der Verhältnisse. Das Denken und unsere Vorstellungen dienen uns dabei nicht mehr als Werkzeuge, um uns dem Leben anzunähern, sondern erheben sich zu einer herrischen Gottheit, die das Leben unterwerfen will. Das kann nicht gut gehen.

      Bei dieser Haltung einer chronischen Selbstüberschätzung muss es nicht verwundern, dass sich daraus viele Schwierigkeiten ergeben und uns die Lebensumstände oft als feindlich erscheinen. Wir erfahren Enttäuschungen und Schicksalsschläge, und viele Pläne im Kleinen wie im Großen werden im Laufe unseres Lebens durchkreuzt. Aber anstatt unser gewohntes Festhalten an Kontrolle aufzugeben oder die Überzeugung, dass wir wüssten, wo es langgehen muss, zu überdenken, klammern wir uns an unsere Vorstellungen und fühlen uns als Opfer.

      Bei genauer Betrachtung machen uns nicht die Umstände oder andere Menschen zum Opfer, sondern unsere Überzeugung, dass unsere Pläne und Vorstellungen richtig sind. Solange wir unserer Ideenwelt mehr Glauben schenken als dem tatsächlichen Leben, erzeugen wir unbewusst einen Leidenskreislauf, da wir uns über die Schöpfung erheben und dabei scheitern müssen. Selbst wenn wir unsere Konzepte und unsere Funktionalität immer mehr optimieren, werden wir über kurz oder lang an die Grenzen der Machbarkeit stoßen, denn das Leben ist ein schöpferisches und damit nicht lineares, also komplexes Geschehen, das sich nicht berechnen oder kontrollieren lässt.

      Erst wenn wir das anerkennen und uns damit wieder in die Schöpfung einordnen und demütig werden, wenn das Denken vom Olymp der Götter herabsteigt und zum einfachen Werkzeug wird, das uns dient, werden wir uns wieder auf eine natürliche Weise einfügen und sind nicht mehr in ständiger Kampfbereitschaft. Dadurch können wir dem Lebensfluss wieder folgen und es entsteht eine Grundhaltung, die von Vertrauen geprägt ist.

      Wir werden überrascht sein, wie viele unserer gefühlten Schwierigkeiten durch eine Veränderung unserer Lebenshaltung von Kampf in Richtung Vertrauen von selbst verschwinden, denn den meisten sogenannten Problemen liegen Vorstellungen und Überzeugungen zugrunde, an denen wir krampfhaft festhalten. Wir verhalten uns dabei wie jemand, der sich in einem reißenden Fluss an einem Ast, der ins Wasser ragt, anklammert. Die ganze Kraft der Strömung zieht und zerrt an uns und erscheint uns als feindlich und höchst bedrohlich. Doch kaum lassen wir los, fügen wir uns wieder in den Strom des Lebens ein und fühlen uns dadurch getragen. Das Einzige, was wir dabei opfern, sind ein paar lieb gewonnene Vorstellungen.

      Ein kurzer Ausflug ins Gehirn

      Bei all den Schwierigkeiten, die sich aus einer Identifizierung mit der Alltagsrealität ergeben, dürfen wir nicht vergessen, welch ungeheure Leistung das Erschaffen einer gemeinsamen Wirklichkeit ist und welches Wunderwerk dem zugrunde liegt. Das menschliche Gehirn, das den Verstand und damit die Bewusstseinsebene der Alltagsrealität erst möglich macht, ist so ungeheuer komplex und gleichzeitig kreativ, dass es alle Maßstäbe sprengt und wir nur staunen können, über welches Potenzial ein einziges menschliches Gehirn verfügt. Dabei sind zwei Dinge besonders erwähnenswert: seine Fähigkeit der Verknüpfung und der Neustrukturierung.

      Die Komplexität, zu der ein Gehirn fähig ist, ergibt sich aus seinem Potenzial, mit dem sich die Gehirnzellen untereinander verbinden können und damit komplexe Verschaltungen möglich machen. Nach neuesten Schätzungen hat das Gehirn etwa eine Billion Gehirnzellen

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