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damit in Zusammenhang stehenden Selbstbilder für ebenso wirklich wie unseren Körper.

      Die Rollen

      Ein weiterer wesentlicher Bereich, der unsere Ich-Identität prägt, sind Rollen, die wir im Laufe des Lebens bekleiden. Da gibt es unsere Rolle im Beruf, in der Familie oder Partnerschaft, in der Gesellschaft oder im Verein. Obwohl wir jede Rolle immer nur phasenweise in der entsprechenden Umgebung einnehmen und sie dann wieder, manchmal mehrmals am Tag, wechseln und uns wieder ganz anders verhalten, vermitteln sie uns das Gefühl von Bedeutung. Durch die Rolle als Mutter oder Vater oder als Architektin oder Sozialpädagoge erhalten wir einen Platz im sozialen Gefüge und bekommen dadurch einen Stellenwert. Das Ich zieht daher einen erheblichen Teil seines Wertes aus den Funktionen und Aufgaben, die wir bekleiden und mit denen wir uns identifizieren.

      Obwohl sich alle Rollen in unserem Leben verändern und keine von Dauer sein kann, verschmelzen wir oft so stark mit einzelnen Rollen, dass wir es als schmerzlich empfinden, wenn es an der Zeit ist, sie wie eine Schlangenhaut wieder abzustreifen. Da das Ich seine Bedeutung aus den Rollen zieht, ist es nicht verwunderlich, dass es häufig zu starken Schwankungen im Selbstwertgefühl und im Erleben von Sinnhaftigkeit kommt, wenn wir eine Rolle, die uns scheinbar ausmacht, aufgeben müssen.

      Der Besitz

      Die Ich-Identität definiert uns als konkrete Person, macht dabei aber keineswegs bei unserem Körper und unserer Innenwelt halt. Sie greift genauso nach außen und schließt viele äußere Objekte mit ein. Unser ganzer Besitz wird so zu einem »verlängerten Ich« und verleiht dem Ich-Gefühl Größe und Macht. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich für viele Menschen so attraktiv, den Besitz immer weiter auszudehnen, obwohl das bei Licht betrachtet viel Mühe kostet, die für ein glückliches Leben eher hinderlich ist.

      Ein Besitz ist zunächst eine gedankliche Zuordnung, bei der wir zum Beispiel ein Kleidungsstück oder eine Wohnung, ein Kind oder ein Land uns selbst zuschreiben. Das ist im Zusammenleben äußerst hilfreich, da es Zuständigkeiten regelt. Problematisch wird es immer dort, wo sich das Ich mit einem Besitz identifiziert und entsprechend einen Anspruch entwickelt. Wenn wir dann eine Wohnung oder einen nahen Menschen loslassen müssen, reißt es regelrecht ein Loch in unsere Ich-Identität und wir spüren einen Verlustschmerz, als ob uns ein Körperteil entrissen würde.

      Die Beziehungen

      All die bisher genannten Aspekte sind wichtig für die Erschaffung einer Ich-Gestalt, aber unsere Ich-Identität könnte niemals eine solche Stabilität entwickeln, wenn sie nicht durch all unsere Beziehungen kontinuierlich bestätigt werden würde. Jede Begegnung – jede gute Unterhaltung und auch jeder Streit – stärkt unser Ich-Gefühl, da sie uns unabhängig vom Inhalt der Begegnung vermittelt, dass es uns als unabhängiges Individuum gibt.

      Wie wesentlich Beziehungen für die Entwicklung einer gesunden Ich-Identität sind, wissen wir aus der Frühkind-Forschung. Ohne ein »Gesehen-Werden«, ohne eine körperliche und seelische Bezogenheit von Bezugspersonen, kann sich ein Baby weder körperlich noch seelisch gesund entwickeln. Und auch in Erwachsenen bleibt das Grundbedürfnis nach Bestätigt-Werden durch Beziehung erhalten. Doch wie abhängig und verletzlich werden wir, wenn wir dieses Grundbedürfnis mit einer bestimmten Person verbinden und das Bedürfnis mit der Zeit zu einem Anspruch wird, mit dem wir identifiziert sind?

      Wo kommen unsere Ängste her?

      Jeder dieser Bereiche, ob Körper, Selbstbilder, Geschichte, Rollen, Besitz oder Beziehungen, hat einen wesentlichen Anteil daran, dass sich das Ich als festes Objekt mit klaren Zuschreibungen kreiert. Das Erschaffen einer Ich-Identität ist ein natürlicher und gesunder Vorgang, der es uns ermöglicht, in der Alltagsrealität als individuelle »Person« in Erscheinung zu treten und zu interagieren. Sobald wir uns jedoch mit einer dieser Zuschreibungen zum Ich identifizieren, beginnen die Schwierigkeiten. Mit jeder Identifikation findet eine Verklebung statt, die uns mit dem jeweiligen Aspekt verschmelzen lässt.

      Wir haben dann nicht mehr das Gefühl, den Körper zu bewohnen oder eine Rolle wie eine Schauspielerin zeitweise zu bespielen, sondern wir »sind« der Körper oder diese Rolle. Mit der Identifikation taucht unmittelbar ein Anspruch auf und entsprechend das Gefühl, ein Recht darauf zu haben. Wir haben keine Offenheit mehr dafür, mitzufließen und uns wieder zu verändern. Im Gegenteil macht uns jede Veränderung Angst. Je stärker wir uns mit Ich-Aspekten identifizieren, desto bedrohlicher erscheint uns der natürliche Wandel des Lebens.

      Das Ego mit seinem Festhalten an der Ich-Identität ist damit die zentrale Ursache für viele unserer Ängste. Paradoxerweise gibt uns eine klar umrissene Ich-Gestalt zunächst Orientierung und Halt und vermittelt uns damit Sicherheit. Doch sobald wir uns damit tiefer verbinden und immer mehr identifizieren, nimmt das Gefühl von Sicherheit irgendwann nicht mehr zu, sondern ab. Ängste beginnen uns zu besetzen.

      Nehmen wir zum Beispiel die Identifikation mit unserem Körper. Zunächst ist der Körper ein wunderbares Gefäß, das uns geschenkt wird und durch dessen Sinnestore wir die Welt auf eine bestimmte, nämlich menschliche Weise, erfahren können. Das schließt die Fähigkeit ein, erfüllende sinnliche Wahrnehmungen zu erzeugen wie Blütendüfte, sinnliche Berührungen und nährende Geschmackserlebnisse. Der Körper verleiht uns eine sichtbare Gestalt und vermittelt uns trotz seiner Flexibilität und Verletzlichkeit das Grundgefühl einer klaren Kontur und Festigkeit. Ist der Körper nicht ein wunderbares Werkzeug?

      Obwohl wir die Lebendigkeit im Körper und auch sein natürliches Wachstum nicht »machen« können, sondern sie sich von selbst entfalten, obwohl wir selbst die Handlungen nicht im Griff haben, sondern der Fähigkeit des Körpers, sich koordiniert zu bewegen, vertrauen müssen, okkupiert im Laufe des Lebens das Ich den Körper immer mehr. Dabei verlassen wir innerlich eine spielerische, dankbare Haltung dem Körper gegenüber und nehmen ihn wie ein besetztes Gebiet ein. Wir schwingen uns zum Herrscher über den Körper auf und er wird zu unserem Staatsgebiet. Obwohl wir immer noch keine (oder nur eine sehr begrenzte) Kontrolle über den Körper und seine Prozesse haben, gebärden wir uns wie ein absolutistischer Herrscher. Wir bilden uns ein, dass er unserem Befehl folgen solle und vor allem, dass wir einen Anspruch auf das Staatsgebiet hätten. Tatsächlich schleicht sich immer mehr das Gefühl ein, dass ich, der Herrscher, das Staatsgebiet bin. Denn gibt es einen Herrscher ohne ein Staatsgebiet? Wohl kaum. Spätestens an diesem Punkt hängen wir unser Wohl und Wehe an die Gestalt des Körpers und jede Veränderung bedroht uns unmittelbar. Jetzt müssen wir das Staatsgebiet ängstlich beäugen, gegen Feinde verteidigen und immer mehr Kontrollmechanismen wie zum Beispiel Diäten oder körperliche Ertüchtigungen einführen.

      Ganz dramatisch wird es, wenn uns zu Bewusstsein kommt, dass das Staatsgebiet irgendwann auf immer verloren gehen wird, nämlich dann, wenn wir sterben. Für die Herrscheridentität stellt der physische Tod nicht nur einen Generalverlust dar, sondern bedeutet die eigene Vernichtung. Kein Wunder also, dass der physische Tod für den Menschen oft die größte Herausforderung darstellt und dadurch tiefe Existenzängste auftauchen können. Allerdings löst der Tod nicht bei jedem Menschen Ängste aus. Personen zum Beispiel, die tief im Glauben verankert sind, also ihr Ich nicht so sehr mit dem Körper verknüpfen, sondern mit einer Dimension jenseits der physischen Gestalt, können sich oft erstaunlich vertrauensvoll dem Prozess des Sterbens anvertrauen.

      Entscheidend ist also nicht, dass wir einen physischen Körper haben und dieser Teil unserer Ich-Identität ist, sondern wie tief wir mit diesem Aspekt unserer Ich-Gestalt identifiziert sind. Mit anderen Worten: Sind wir als Mensch in der Lage, eine normale Ich-Identität zu erschaffen und damit »in der Welt« als objekthafte Gestalt unseren Platz einzunehmen, und gleichzeitig innerlich mit dieser Gestalt nicht verklebt zu sein? Das gibt uns die Freiheit, uns einerseits in einer spielerischen und dankbaren Haltung in der äußeren Welt der Alltagsrealität zu bewegen und andererseits innerlich mit der Seelenrealität und der absoluten Wirklichkeit des Gewahrseins verbunden zu sein. Ein Mensch, der erkennt, dass das Ich zuinnerst dem offenen Raum des Gewahrseins entspringt und an keine Ich-Objekte gebunden ist, verliert jegliche Angst.

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