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Augen konnten einen ganz schön aus der Fassung bringen. Sie nagte an ihrer Unterlippe. Würde er sie küssen?

      „Du hast mich versetzt“, murmelte Paul. „Ich habe jeden Tag im Rosencafé auf dich gewartet.“

      „Wirklich?“ Pauline konnte es nicht fassen. „Ähm, ich dachte, das sei nur so dahingesagt gewesen.“

      „Ich sage niemals etwas nur so dahin.“

      Pauls Augen verdunkelten sich. War er verärgert? Mehrmals hatte Pauline in den vergangenen Tagen überlegt, ob sie auf gut Glück nach Nebel fahren sollte. Doch die Blöße, stundenlang vergeblich im Café auf ihn zu warten, hatte sie sich nicht geben wollen. „Wenn ich das geahnt hätte …“

      „Halt den Mund“, flüsterte Paul. Mit dem Zeigefinger hob er ihr Kinn an. Erwartungsvoll schloss Pauline die Augen. Schon spürte sie seine Lippen auf ihren. Sie schmeckten nach Kräutertee und ein bisschen auch nach Meer. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, er zog sie vom Sessel und zu sich heran. Er hielt sie fest an seinen Brustkorb gedrückt. Sein Kuss wurde fordernder, seine Zungenspitze begehrte Einlass, glitt über ihre Lippen, über ihre Zahnreihe, und tänzelte schließlich mit ihrer um die Wette. Seine Hände glitten über ihren Rücken und eine wohlige Wärme erfüllte Pauline. Staunend registrierte sie seinen heftigen Herzschlag. Dann konnte Pauline nicht mehr denken. Die Gefühle, die Paul in ihr auslöste, zogen sie vollkommen in den Bann.

      6. Kapitel

      Als Pauline gegen Abend durch die Eingangstür in die Pension trat, kam Jule gerade die Treppe heruntergerannt. „Sag mal, wo warst du denn? Ich habe mir wahnsinnige Sorgen gemacht.“ Im Erdgeschoss angekommen stemmte Jule ihre Hände in die Hüften und baute sich vor Pauline auf. Sie sah verärgert aus.

      „Ich hab dir doch einen Zettel auf den Küchentisch gelegt.“

      „Ja, hast du. Was meinst du, wie mir zumute war, als ich bei dem Unwetter vorhin deine Nachricht Ich geh vom Leuchtturm über’n Strand nach Wittdün gelesen hab.“ Jules Gesicht war vor Empörung rot angelaufen und stand in merkwürdigem Kontrast zu ihren wilden karottenroten Haaren. „Ich bin hier rumgerannt wie ein Tiger im Käfig. Zuerst habe ich versucht, dich auf dem Handy zu erreichen. Bis ich es zufälligerweise vom Flur aus in deinem Zimmer hab klingeln hören.“

      „Tut mir leid, der Akku war alle. Da hab ich es zum Aufladen in die Steckdose gesteckt.“

      „Hab ich auch gemerkt. Mensch Pauline! Echt! Ich war drauf und dran mich ins Auto zu setzen und nach Wittdün zu düsen. Doch wo hätte ich dich finden sollen? Ich wusste ja nicht, wann du los bist und ob du es noch vor dem Gewitter in den Ort geschafft hattest.“

      Pauline sackte in sich zusammen. Sie war überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass sich Jule Sorgen um sie machen würde. Sonst hätte sie von Paul aus bei ihr angerufen. Verdammt. Erst hatte sich Paul um sie gesorgt und dann Jule. War sie wirklich so leichtsinnig gewesen oder übertrieben es die beiden mit ihrer Fürsorge? Pauline warf die Tüte mit den nassen Kleidern auf den Boden, eilte zu Jule und umarmte ihre Freundin. „Och Jule. Beruhige dich. Es ist alles gut. Ich bin wieder hier.“

      „Erschreck mich nie wieder so. Sonst kündige ich dir die Freundschaft.“ Jule rückte ein wenig von Pauline ab.

      „Und überhaupt, wie siehst du aus? Hast du einen Altkleidercontainer geplündert?“ Sie schlug ihre Hände über dem Kopf zusammen. „Hoffentlich hat dich keiner meiner Gäste gesehen.“

      Pauline konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und hakte sich bei ihrer besten Freundin unter. „Komm, lass uns in die Küche gehen, dann erzähle ich dir, wer mich am Strand aufgelesen hat.“

      „Das Schicksal scheint euch ja immer wieder zusammenzuführen – oder der Zufall.“ Jule hatte sich beruhigt und lauschte Paulines Bericht.

      „Du musst ihn unbedingt kennenlernen. Du wirst ihn mögen.“

      „So weit ist es schon bei euch? Wie heißt er eigentlich?“

      „Paul. Pauline und Paul. Komischer Zufall oder? Wir treffen uns morgen Nachmittag hier in Norddorf im Eiscafé. Du könntest mitkommen.“

      „Paul, soso.“ Jules Gesicht verdüsterte sich.

      „Was hast du?“

      „Ich kannte mal einen Paul, früher.“ Jule zupfte an den Fransen der Tischdecke herum. „Wie sieht der Typ aus, mit dem du dich triffst?“

      Jules Verhalten irritierte Pauline. „Wird das ein Verhör?“

      „Also, wie sieht er aus?“

      „Schlank, blonde Locken, braun gebrannt. Wieso? Glaubst du, du kennst ihn?“

      Jule atmete sichtlich erleichtert aus. „Wohl nicht. Der, den ich mal kannte, hatte kurz geschorene Haare. Ich bin froh, dass dein Paul ein anderer ist.“

      „Ich verstehe nicht ganz.“

      „Musst du auch nicht. Ist Jahre her und ich will nicht darüber sprechen.“

      Obwohl ihre Auskunft Jule beruhigt hatte, wollte Pauline der ominösen Fragerei auf den Grund gehen. „Nun sag schon, was hast du?“

      Jule schüttelte den Kopf, als wollte sie eine ungute Erinnerung abschütteln. „Vergiss es“, sagte sie mit Nachdruck.

      Pauline hätte gern mehr erfahren, aber sie mochte nicht weiter in Jule dringen. Vielleicht würde sich ein anderes Mal mehr aus Jule herauslocken können. „Was ist? Kommst du morgen mit?“

      „Es ist deine Verabredung, was soll ich da?“

      „Du könntest rein zufällig vorbeikommen.“

      „Mal sehen. Habe ich recht mit der Vermutung, dass du meine Meinung über ihn hören möchtest?“

      Pauline zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Jedenfalls finde ich es blöd, dass du nicht weißt, über wen wir sprechen und mit wem ich mich treffe.“

      „Oh, dein Vertrauen ehrt mich.“ Jule beugte sich über den Küchentisch, an dem sie mittlerweile Platz genommen hatten. Sie zwinkerte Pauline zu. „Ich werde dir zu gegebener Zeit mein Urteil mitteilen.“

      Pauline kicherte. „Da bin ich echt gespannt drauf.“ Sie atmete tief durch und streckte sich. „Danke, dass du mir nicht mehr böse bist.“ Pauline erhob sich. „Ich geh rauf und zieh mich wieder öffentlichkeitstauglich an.“

      „Hoffentlich begegnest du keinem meiner Gäste. Hast du eigentlich gar keinen Hunger?“

      „Nein, Mama. Ich hab oben noch ein bisschen Obst. Das muss genügen.“ Pauline seufzte und kniff sich in die Hüften. „Hab da viel zu viel Speck.“

      „Warte mal“, rief Jule, als Pauline mit der Wäschetüte unterm Arm schon halb die Treppe hinauf war. „Da ist Post für dich.“ Sie kam in den Flur gelaufen und wedelte mit zwei Umschlägen über ihrem Kopf.

      „Beide vom Arbeitsamt.“ Pauline riss die Umschläge auf.

      „Ich hab’s geahnt“, murmelte sie und ließ sich auf eine Treppenstufe plumpsen. „So ein Mist. Zwei Monate kein Geld.“

      „Was steht im zweiten Brief?“

      Pauline riss auch das zweite Kuvert auf und zog den Briefbogen heraus. „Das ist ein Jobangebot. Werbeagentur in Bremen, ab nächsten Monat.“ Pauline tippte sich an die Stirn. „Die spinnen wohl. Ich geh doch nicht nach Bremen. Was soll ich da?“

      „Du musst das ja nicht annehmen. Es findet sich bestimmt noch was anderes.“

      „Das werde ich auch garantiert nicht tun. Was denken die sich eigentlich? Dass ich meine Wohnung in Hameln auflöse und woanders hinziehe? Niemals.“ Pauline erhob sich und straffte ihre Schultern. „Jule, so sehr es mir auch bei dir gefällt, ich muss endlich auf Jobsuche gehen. Hab das schon viel zu lange schludern lassen.“

      „Mach das, Süße. Auch, wenn ich dich gern noch einige Wochen hier behalten

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