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die Stimme des Hausbewohners hinter sich. Zitternd drehte sich Pauline um und starrte ihr Gegenüber ungläubig an. „Paul? Du?“ Erst jetzt, wo er sich seiner triefenden Regenjacke entledigt hatte, erkannte sie ihn. Paul stand mit einem Stapel Kleidung vor ihr und machte ein ziemlich dummes Gesicht. Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, während sie mit eiskalten Fingern versuchte, den Knoten des Kapuzenbandes zu lösen.

      „Pauline! Ich glaub es nicht!“ Paul ließ den Stapel Klamotten fallen und war in zwei Schritten bei ihr. „Warte, ich helfe dir.“ Kopfschüttelnd löste er den Knoten und schob ihr die Kapuze vom Kopf. „Was machst du nur für Sachen?“, murmelte er und zog sie an sich.

      Pauline war nicht fähig zu antworten. In dem Moment, als Paul sie an sich zog, lösten sich Ängste und Anspannung. Tränen der Erleichterung drängten sich in ihre Augen und sie hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten. Ein heftiges Schluchzen übermannte sie.

      „Pst, ist schon gut. Ich bin ja hier.“ Paul strich ihr beruhigend über den Rücken.

      Es wirkte. Nach einer Weile hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie den Kopf heben konnte. „Moment, ich muss mal die Nase putzen.“ In den Jackentaschen wühlte sie nach einem Taschentuch. Sie fand zwar ein Papiertuch zwischen den Muscheln, das aber sandig und nass war. Energisch zurrte sie den Reißverschluss ihrer Umhängetasche auf. Die Tasche schien dem Wetter getrotzt zu haben, wie sie erleichtert feststellte. Die Packung Taschentücher war trocken, der Fotoapparat ebenso. Die Tasche landete auf dem Boden, nachdem sich Pauline die Nase geputzt hatte. Die Jacke ließ sie ebenfalls fallen und blickte Paul an. „Danke. Du hast mich gerettet.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Paul auf den Mund. „Ich hatte fürchterliche Angst“, murmelte sie an seinen Lippen.

      „Wieso warst du eigentlich am Strand?“

      Paul hob seine Augenbrauen und zog sie Millisekunden später drohend zusammen. Pauline interpretierte seine Mimik als eine Mischung aus Überraschung und Ärger.

      „Es war eine verdammt blöde Idee, heute Nachmittag so einen Ausflug zu unternehmen.“ Er schimpfte auch schon los. „Hast du denn keinen Wetterbericht gehört?“

      „Nö.“

      „Das hätte böse enden können. Gewitter an der See sollte man nicht unterschätzen.“

      Pauline wusste, dass Paul recht hatte. Sie atmete tief durch. „Ich weiß. Wenn ich vorher Radio gehört hätte, wäre ich bestimmt nicht aufgebrochen. Aber als ich los bin, schien die Sonne. Ich hatte mich so sehr auf die Strandwanderung gefreut.“

      Pauls Blick wanderte von ihrem Gesicht an ihrem Körper entlang. „Du bist völlig durchnässt“, murmelte er. „Du musst unbedingt aus deinen Sachen raus, und zwar schnell.“ Er bückte sich, sammelte die Kleidungsstücke ein und drückte sie ihr in die Hand. Mit dem Kopf wies er den Flur entlang.

      „Da hinten rechts ist das Bad. Du kannst auch duschen.“

      Als Pauline zögerte, schob Paul sie in Richtung Badezimmer. „Nun mach schon, bevor du dir eine saftige Erkältung holst.“

      Schnell schlüpfte Pauline ins Bad und schloss ab. Sie war so froh, dass Paul sie aufgesammelt hatte. Allerdings hatte er ihr nicht verraten, warum er am Strand gewesen war – wo es doch bei Gewitter angeblich so gefährlich war. Pauline zitterte. Sie fror erbärmlich. In Windeseile zog sie sich die nassen Sachen vom Körper und legte sie auf dem Waschbecken ab. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild. Schwarze Spuren von verlaufener Wimperntusche unter ihren Augen und auf den Wangen ließen sie aussehen, als wäre sie einem Horrorfilm entsprungen. So hatte sie vor Paul gestanden. Wie peinlich. Mit dem Handrücken wischte sie sich übers Gesicht, aber es nützte nichts. Da würde nur ordentlich Seife helfen. Sie wandte sich ab und ging unter die Dusche. Minutenlang ließ sie das Wasser, so heiß sie es ertragen konnte, über Kopf und Körper rieseln. Doch warm wurde ihr davon nicht. Vermutlich war die Erkältung schon im Anmarsch. Das hatte sie nun davon.

      Pauline beeilte sich. Nach dem Abtrocknen schlang sie sich ein Handtuch um die nassen Haare. Der Jogginganzug, den ihr Paul in die Hand gedrückt hatte, war viel zu groß. Die Ärmel musste sie umkrempeln und den Gürtel aus ihrer Jeans um den Hosenbund binden, damit ihr die Hose nicht über den Hintern rutschte. Aber die Sachen waren warm und vor allen Dingen trocken. Die nassen Teile legte sie zusammen. Vielleicht hatte Paul eine Plastiktüte übrig. Als sie aus dem Bad trat, kam Paul gerade mit zwei dampfenden Tassen aus einem der vorderen Zimmer.

      „Komm ins Wohnzimmer. Ich hab uns einen Tee aufgebrüht.“ Er hielt ihr eine Tasse entgegen.

      Dankend nahm ihm Pauline die Tasse aus der Hand. Eine heiße Wolke aus undefinierbaren Gerüchen stieg ihr in die Nase. „Was ist das für ein Tee?“

      „Geheimrezept meiner Großmutter. Keine Ahnung, was da alles drin ist. Sehr gesund.“

      Schmeckte vermutlich grässlich. Sie folgte Paul in einen Raum, der von einer riesigen Fensterfront dominiert wurde. An den Seitenwänden rechts und links des Fensters standen Regale, vollgestopft mit Büchern. Paul schien ein Bücherfreund zu sein. Das gefiel ihr. Eine Sitzecke aus grobem, schwarz-weiß meliertem Stoff lud zum Verweilen ein. Vor der Fensterfront stand ein altmodischer blaurot karierter Ohrensessel. Er passte so gar nicht zur übrigen Einrichtung, war aber dennoch ein schöner Platz zum Lesen oder Faulenzen. Auf dem kleinen dunklen Tisch mit geschnörkelten Beinen lag ein Fernglas.

      „Trink, bevor der Tee kalt wird. Dann schmeckt er nämlich nicht mehr“, holte Paul sie aus ihren Betrachtungen in die Gegenwart zurück.

      Vorsichtig trank Pauline einen Schluck. Gar nicht mal übel. Sie staunte und nahm noch einen Schluck. Im Nu war die Tasse leer und Pauline stellte sie auf dem Tisch ab.

      „Geht es dir besser?“

      „Danke, es geht schon wieder. Allerdings ist mir immer noch kalt.“

      „Das können wir ändern.“ Paul beugte sich über die Lehne des Sofas und beförderte eine kuschlig aussehende Decke zutage. Die legte er Pauline über die Schultern.

      „Wird gleich besser.“

      Pauline hielt die Decke vor ihrem Brustkorb zusammen. Pauls Fürsorge rührte sie. „Danke.“

      „Setz dich doch, ich hole noch einen Tee.“ Er wies lächelnd in Richtung Couch, nahm Paulines Tasse und schlenderte aus dem Zimmer.

      Pauline entschied sich für den Sessel am Fenster. Immer noch regnete es stark und ab und an zuckten Blitze aus dunkelgrauen Wolken, worauf bedrohliches Donnergrollen folgte. Aber hier bei Paul fühlte sie sich sicher und geborgen. Von ihrem gemütlichen Platz am Fenster aus konnte sie das Geschehen am Himmel beobachten, ohne sich fürchten zu müssen.

      Paul stutzte, als er zurückkam. Dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht. „Du hast dir meinen Lieblingsplatz ausgesucht.“

      Rasch sprang Pauline auf. „Oh, das wusste ich nicht.“

      „Ist in Ordnung, bleib sitzen. Hauptsache, du hast es bequem.“ Er stellte Paulines Teetasse auf den kleinen Beistelltisch und blieb neben dem Sessel stehen. „Ich sehe oft hinaus aufs Meer“, gestand er. „Dabei habe ich dich, beziehungsweise eine verrückte Person, die sich am Strand herumtrieb, durchs Fernglas entdeckt. Diese Unvernunft hat mich wütend gemacht, aber ich musste einfach helfen. Schließlich konnte ich nicht zusehen und abwarten, ob es diesem Menschen gelingen würde, heil in den Ort zu kommen.“ Schon wieder umwölkte sich Pauls Stirn, schon wieder schien er sich über ihre Unvernunft zu ärgern.

      „Ich hab dir schon erklärt …“ Sie brach ab. „Entschuldige“, murmelte sie. „Ich wollte niemanden, besonders nicht dich, diesem Wetter aussetzen.“

      „Ist ja nichts passiert.“ Seine Gesichtszüge glätteten sich. „Außerdem war es eine gelungene Überraschung, als du unter der Kapuze hervorkamst.“

      „Wirklich?“

      „Mmh.“

      Pauline konnte Pauls Blick nicht deuten, aber ihr Herz raste plötzlich. Sie war ebenso überrascht gewesen,

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