Скачать книгу

viele Elemente dieses Narrativs in abgeschwächter und weniger militanter Form in vielen islamischen Gemeinschaften vorhanden seien. Der militante Salafismus schöpft aus einem Narrativ, das auf religiöser Einheit und der Feindschaft des Westens gegen den Islam beruht und auf tief verwurzelten Konzepten und Überzeugungen aufbaut. Seine Protagonisten kontrollieren dieses Narrativ und arbeiten daran, es zu gestalten und auszuweiten. Zu den wichtigsten Vermittlern bei diesem Prozess, denen dadurch eine zentrale Rolle zukommt, gehören die missionarischen und propagandistischen Prediger und kleinen Gruppierungen, die vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten sind (Egerton 2011: 5). Egerton (2011: 135) sagt:

       For most Muslims, the West is more usually seen as hypocritical in foreign policy matters and unduly aggressive in those that concern countries wherein Muslims are the majority. Those who engage in militancy amend and develop this narrative and then act upon it in a particular way. Again, this is not to equate Islam with terror, but to acknowledge that those who do engage in militancy do so having emerged from communities in which specific discourses are accepted and propagated.

      In einer neuen Studie wurden 114 Medienquellen aus dem Zeitraum von April 2013 bis zum Sommer 2015 gesammelt, die drei Gruppierungen des dschihadistischen Salafismus zugeordnet werden können: dem IS, der Nusra-Front und Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Darin versuchen Eman El-Badawy und ihre Kollegen, die Ideologie näher zu definieren, welche diese drei Gruppierung mit Hilfe ihrer Medienquellen sorgfältig aufbauen, um damit einen Gegendiskurs für die muslimische Öffentlichkeit, die Regierungen und die Zivilgesellschaft zu schaffen. Die Studie betrachtet eine vielfältige Sammlung an Narrativen, auf die sich die Dschihadisten in ihrem Diskurs konzentrieren, sei es, um neue [24]Anhänger um sich zu scharen, oder um diese zum Dschihad zu motivieren. Diese Studie machte deutlich, dass die Dschihadisten sich auf Narrative konzentrieren, die sich um religiöse Konzepte wie den Monotheismus (at-tauḥīd), den Dschihad (al-ǧihād), die Umma (al-umma), das Kalifat (al-ḫilāfa), den Ausschluss aus dem Islam (at-takfīr) (siehe z. B. Timani 2018 sowie Nedza 2020), das Ende der Zeit (nihāyat az-zamān) und weitere drehen (mehr Informationen zu diesen Konzepten und Narrativen bei El-Badawy, Comerford und Welby 2017).

      Dieses Buch ist nicht die erste Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen der salafistischen Ideologie und dem islamistischen Extremismus herstellt. Viele Arbeiten beschäftigten sich in den letzten Jahren mit diesem Thema (siehe z. B. Kraetzer 2014). Dieses Buch leistet einen Beitrag zu dieser Diskussion und behandelt dabei einen neuen Aspekt, indem ich mich auf die Analyse von Freitagspredigten konzentriere, um zu verstehen, inwiefern die ideologischen Salafisten ihr Metanarrativ über die Kanzel in die lokalen muslimischen Gemeinden transportieren und so versuchen, ihre Ideologie zu verankern. Die Gefahr der salafistischen Ideologie liegt darin, dass sie die Doktrinen des Islam in vereinfachender Weise umformuliert. Sie ist nicht an die Elite gerichtet, die in der Lage ist, ihre Argumente zu durchschauen und zu widerlegen, sondern an diejenigen einfachen Leute, die eines tieferen Verständnisses für ihre Religion und der Hilfe durch ‚religiöse Würdenträger‘ bedürfen, die ihnen sagen, was sie tun und lassen sollen. Dieser Versuch, tief in die ideologische salafistische Gemeinschaft vorzudringen, indem ihr direkter Diskurs mit den Muslimen analysiert wird, ist nach meinem Wissensstand der erste auf dieser Ebene. Das ermöglicht uns ein tieferes Verständnis von der Natur der Botschaft der ideologischen Salafisten und ihrer Ziele, da wir uns der Basis annähern, auf der sie ihre Ideologie aufbauen und zu festigen versuchen.

      Meiner Kenntnis nach wurden Freitagspredigten in salafistischen Moscheen bis jetzt nicht vertieft und umfassend akademisch behandelt und analysiert, und zwar weder in Deutschland noch in anderen europäischen Staaten oder mehrheitlich muslimischen Ländern. Das Buch des deutschen Journalisten Constantin Schreiber (2017), Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird, wäre nicht so kontrovers diskutiert worden, wenn es nicht erhebliche Mängel an akademischem Wissen über Freitagspredigten und deren Inhalt aufwiese. Schreiber ist es allerdings gelungen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf eines der momen-[25]tan politisch und medial sensibelsten Themen zu lenken, nämlich die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft und den Einfluss der islamischen Religion auf diese Problematik. Die Untersuchung von Freitagspredigten in einem akademischen und systematischen Kontext ist daher sehr wichtig. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Untersuchungen von islamischen Freitagspredigten nicht nur im deutschen Sprachraum fehlen: Mit Ausnahme einer Arbeit, die sich mit der Transformation islamischer Autorität in Frankreich durch das Studium und die Analyse der Predigten des Predigers Hasan Iquioussen befasste (Peter 2006), sind bis dato auch im restlichen Europa keine entsprechenden Studien durchgeführt worden.

      Auch im Kontext muslimischer Mehrheitsgesellschaften existiert nur ein verschwindend geringer Korpus an Studien zu dieser Thematik. Vor beinahe 30 Jahren analysierte Richard Antoun (1989) die Freitagspredigten in einem jordanischen Dorf und verglich sie mit einer Recherche Bruce Borthwicks (1967), der Freitagspredigten in städtischen Moscheen in Ägypten untersucht hatte. Dabei kam Borthwick zu dem Schluss, dass die von ihm besuchten Prediger die Idee des ägyptischen Nationalismus förderten, aber nicht zur Modernisierung oder zur politischen Reform ermutigten. Weiterhin zog er das Fazit, dass den ägyptischen Predigern Kenntnisse im Bereich säkularer Bildung fehlten. Im Gegensatz zu Borthwick kam Antoun zu dem Befund, dass der Inhalt der Freitagspredigten in dem von ihm untersuchten jordanischen Dorf von schwachem politischem Gehalt sei. Antoun konzentrierte sich jedoch auf das Studium und die Analyse eines einzelnen Predigers, weshalb seine Schlussfolgerungen nicht auf die Moscheen anderer Dörfer oder auf das Studium der muslimischen Minderheitsgemeinschaften im Westen übertragbar sind.

      Vor Kurzem gelangte Sari Hanafi (2017) nach der Analyse der Freitagspredigten in den schiitischen und sunnitischen Moscheen im Libanon mittels eines soziologischen Ansatzes zu ähnlichen Ergebnissen wie Borthwick. In seiner Studie untersuchte er 210 Freitagspredigten, die zwischen 2012 und 2015 gehalten wurden. Hanafi erklärte, dass die Freitagspredigten im Libanon stark politisiert seien, wenn auch in unterschiedlichem Maße: So seien die von ihm besuchten schiitischen Predigten stärker politisch aufgeladen gewesen als die sunnitischen (Hanafi 2017: 28). Alle von Hanafi untersuchten Predigten befassten sich mit politischen Themen wie Terrorismus und Widerstand.

      Andere Studien zur Thematik konzentrierten sich beispielsweise auf die Analyse der Freitagspredigten, die online auf YouTube zu finden sind (Hirschkind 2012), befassen sich mit dem Einfluss von auf Kassetten [26]aufgenommenen Freitagspredigten auf die öffentliche Sphäre (Hirschkind 2006) oder mit den Verbindungen zwischen religiöser Rhetorik und politischem Dissens in Ägypten (Gaffney 1994).

      Im Gegensatz zu dem großen Mangel an akademischer Literatur zu Freitagspredigten sind islamische Bibliotheken voll mit Büchern und Publikationen, die dem Prediger oder Imam Hinweise und Ratschläge aus Perspektive der islamischen Rechtswissenschaft im Hinblick auf die Formulierung, Darstellung und Ziele der Predigt geben (siehe z. B. Abu Zahra 1934), wobei hier nicht zwischen muslimischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaften unterschieden wird. Diese Hinweise für Imame diskutieren etwa ein bestimmtes Thema, das mit einem mit der Predigt verbundenen Problem zu tun hat. Beispielsweise gibt Muhammad as-Samman den Predigern Hinweise zum Umgang mit neuen kulturellen Einflüssen auf Muslime und verweist auf eine Reihe von Ratschlägen und Richtlinien, um mit diesem Thema umzugehen (al-Samman 2008).

      Der geringe Umfang akademischer Fachliteratur zu dieser Thematik, sowohl im Zusammenhang muslimischer Mehrheitsgesellschaften als auch muslimischer Minderheiten in westlichen Gesellschaften, macht deutlich, dass die Analyse von Freitagspredigten im Kontext kritischer wissenschaftlicher Methodologie dringend erforderlich ist. Ziel zukünftiger Untersuchungen in dieser Richtung muss es daher sein, einen neuen Beitrag zum Verständnis der Mechanismen der Übertragung der heiligen Texte in religiöses Wissen unter Muslimen durch Freitagspredigten zu leisten.

      Angesichts einer oft wenig sachorientierten und pauschalen öffentlichen Debatte über die ‚Gefahren des Islam‘ will dieses Buch zur sachorientierten, wissenschaftlich fundierten Klärung der tatsächlich vorhandenen

Скачать книгу