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im Gegensatz zur großen Mehrheit von Musliminnen und Muslimen Passagen aus den heiligen Texten des Islam (Koran und Sunna) missbrauchen, um so ihre Ideologie zu festigen und sie mit religiöser Legitimität zu versehen. Sie wählen aus den religiösen Texten das aus, was ihnen passend erscheint, um Muslimen vorzutäuschen, ideologische Salafisten würden den wahren Islam verkörpern, dem alle Muslime folgen müssten. Die muslimischen Extremisten, so erklärt beispielsweise der Wissenschaftler Mouhanad Khorchide (2016: 26), argumentieren selektiv. Sie picken sich aus den [27]religiösen Texten das heraus, was ihre ideologischen Positionen rechtfertigt. Ohne die islamisch-religiöse Basis würde die extremistische salafistische Ideologie in sich zusammenbrechen.

      Wer die Grundlagen der salafistischen Ideologie und ihrer Narrative aufdecken will, muss deren Inhalte wiedergeben. Das vorliegende Buch soll in diesem Sinne darüber aufklären, inwiefern die ideologischen Salafisten ihre Narrative in einen ideologischen Rahmen einpassen, mit dem Ziel, diesen Narrativen auf ideeller und religiöser Ebene entgegenzutreten, indem Gegennarrative aufgebaut werden. Das Verständnis der Narrative, die den Extremismus befeuern, muss als eine wichtige Voraussetzung für die Eindämmung und Konfrontation des gewalttätigen Extremismus betrachtet werden. Denn die ideologischen salafistischen Narrative rechtfertigen Gewalt und rufen direkt oder zumindest indirekt dazu auf. Diesen extremistischen Ideologien ist nicht allein mit Sicherheitsmaßnahmen beizukommen, sondern sie müssen parallel auch analysiert und verstanden werden.

      Dabei obliegt die Verantwortung, Strategien gegen die Narrative der ideologischen Salafisten zu entwickeln, vor allem den Musliminnen und Muslimen selbst, den Moscheen, den Imamen, den Gelehrten, islamischen Institutionen und der muslimischen Zivilgesellschaft (für einen internen Kritiker des Salafismus unter Muslimen siehe Fouad 2019). Die Problematik ist eine innerislamische, welche die Eröffnung von Diskursen und die Neuinterpretation der islamischen Texte betrifft, sodass diese mit der deutschen und westlichen Realität in Einklang stehen, anstatt ihr zu widersprechen.

      Dieses Buch argumentiert, dass das ideologische salafistische Metanarrativ Inhalte hat, die möglicherweise eine wichtige Ursache für die Isolation eines Teils der Muslime von der deutschen Gesellschaft und für das Einnehmen einer feindseligen Haltung ihr gegenüber darstellen und somit einen elementaren Beitrag zum Prozess der Radikalisierung leisten. Um diese Hypothese in all ihren Aspekten zu untersuchen und zu verstehen, machte ich mich daran, die Narrative der ideologischen Salafisten in ihren Freitagspredigten und im Alltagsleben in Deutschland zu analysieren. Dabei zeigte sich, dass die ideologischen Salafisten dort Narrative verbreiten, die zu einem großen Teil denjenigen von dschihadistischen Organisationen wie dem IS, der Nusra-Front und Al-Qaida entsprechen. Sie begrüßen die Verbreitung dieser extremistischen Narrative unter Muslimen, weisen jedoch einen markanten Unterschied zu [28]den genannten militanten dschihadistischen Organisationen auf: Sie rufen nicht direkt und öffentlich zum Dschihad auf. Was jedoch den Kern der ideologischen salafistischen Narrative in Deutschland, ihre Sprache, ihre religiösen Quellen und die historischen Ereignisse, auf die sie sich beziehen, betrifft, so stimmen sie letztlich doch größtenteils mit denen der militanten dschihadistischen Bewegungen überein.

      Um die ideologischen salafistische Metanarrative von innen heraus zu verstehen, entschied ich mich für einen anthropologischen Ansatz, der zum Großteil auf der Methode der teilnehmenden Beobachtung und der Teilnahme am Alltag (je nach Möglichkeit) der zu untersuchenden Gruppe beruht. Die teilnehmende Beobachtung wird in einer Reihe von Disziplinen – besonders in der Ethnologie und den Sozialwissenschaften – als grundlegendes Instrument für das Sammeln von Informationen über Menschen, Kulturen und Gesellschaften im Rahmen qualitativer Forschung angewandt. Dabei wird der Forscher selbst zum Teilnehmer der Kultur oder desjenigen Kontexts, dessen Beobachtung er in seiner Studie beabsichtigt, sodass er die Zielgruppe in diesem Kontext analysieren und entsprechende Informationen und Feldnotizen sammeln kann. Die teilnehmende Beobachtung erfordert meist einen intensiven Feldforschungsaufenthalt von mehreren Monaten oder Jahren, da der Forscher als natürlicher Teil der Kultur oder des in der Studie untersuchten Kontexts akzeptiert werden muss. Dies ist auch nötig, um sich vergewissern zu können, dass die von ihm beobachteten Phänomene charakteristisch sind und dass seine Anwesenheit das Verhalten der Akteure nicht beeinflusst (siehe z. B. O’Reilly 2012).

      Aufgrund dessen erstreckte sich die Feldforschung zu dieser Studie über zwei komplette Jahre (von November 2015 bis November 2017), um das Sammeln von Informationen und das Verständnis des Phänomens des ideologischen Salafismus in seinem lokalen Kontext zu vertiefen. Die Feldforschung umfasste die bayerischen Städte München, Nürnberg, Erlangen, Regensburg, Schwandorf, Bayreuth und Weiden. Dabei wurden drei Methoden für das Sammeln von Informationen angewandt.

      1.) Teilnehmende Beobachtung: Das Ziel der teilnehmenden Beobachtung war es, sich mit dem Umgang der Salafisten untereinander vertraut zu machen und Vertrauen aufzubauen, damit ich zu einem tieferen Verständnis des salafistischen Gedankenguts gelangen konnte. Dazu nahm ich an zahlreichen Aktivitäten der Salafisten wie den täglichen Gebeten in den Moscheen, Freitagspredigten, Vorträgen und sozialen Anlässen teil.

      2.) Interviews: Indem ich auf die Methode des snowball sampling (‚Schneeballauswahl‘) zurückgriff, konnte ich mehr als 70 Interviews [29]und Gespräche mit Salafisten, Experten, Aktivisten aus der Zivilgesellschaft und Regierungsangestellten durchführen. Die meisten dieser Interviews (mehr als 40) wurden mit Salafisten geführt und erfolgten face to face. Sie erstreckten sich jeweils über eine Dauer von 30 Minuten bis hin zu mehr als vier Stunden in manchen Fällen. Viele der Personen wurden mehrmals interviewt. Während der meisten Interviews machte ich mir Notizen, nur in wenigen Fällen konnte ich das Interview aufzeichnen und anschließend transkribieren. Unter den Personen, die ich interviewt habe, befinden sich keine, die als führende Persönlichkeiten der salafistischen Bewegung in Deutschland betrachtet werden können oder die in der Szene durch Social Media bekannt sind. Solche Führungsfiguren gibt es in Bayern nicht. Die Leute, die ich getroffen habe, sind lokale Prediger und Imame, Personen, die sich zum Salafismus bekennen, und Aktivisten in muslimischen Gemeinden und Moscheen. Den Fokus auf diese Gruppe zu legen erlaubt es uns, sich den Salafisten von innen her und im Rahmen ihrer lokalen Interaktionen anzunähern und so ihre tatsächlichen Beziehungen und Interaktionen mit den muslimischen Gemeinden und der deutschen Gesellschaft zu beobachten. Denn die bekannten Führungspersönlichkeiten (wie Pierre Vogel, Ahmad Armih (genannt Ahmed Abu al-Baraa), Hasan Dabbagh etc.) haben bereits eine fortgeschrittene Stufe in der Erfahrung mit der Öffentlichkeitsarbeit erreicht, was sie in die Lage versetzt, Details durch Ablenkungsmanöver oder geschickte Formulierungen zu verbergen, wenn sie das möchten, entweder um interne Spaltungen der salafistischen Bewegung oder Gefahren durch die Sicherheits- oder Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (für eine Studie zu den bekannten Salafisten in Deutschland siehe Wiedl und Becker 2014). Leider befinden sich trotz der Bedeutung dieser Thematik und der Notwendigkeit, auch die weibliche Perspektive zu beleuchten und damit ihre Rolle in dem Geschehen zu erfassen, keine Frauen unter den Salafisten, die ich getroffen habe. Wegen der strikten Trennung zwischen Männern und Frauen, die die Salafisten praktizieren, und der Schwierigkeit, zu diesen Frauen durchzudringen, gab es keine Möglichkeit, mich mit einer salafistischen Aktivistin zu treffen. Dieser Bereich bedarf also nach wie vor vertiefter und intensiver Feldforschung, um die Rolle von Frauen in der salafistischen Bewegung zu verstehen (Studien zu der Rolle von Frauen in salafistischen Bewegungen sind sehr selten, siehe Inge 2017).

      3.) Freitagspredigten: Parallel zu der Durchführung von Interviews besuchte ich zwischen April 2016 und April 2017 Freitagspredigten in einer salafistischen Moschee in Bayern und hielt meine Beobachtungen fest. Um das Informationsgeheimnis und die Identität der Moschee zu [30]wahren, werde ich sie in diesem Buch in Anlehnung an das arabische Wort für Monotheismus mit dem Decknamen ‚Tauḥīd-Moschee‘ bezeichnen. Im Laufe eines ganzen Jahres, welches ich damit verbrachte, mir salafistische Freitagspredigten anzuhören, trug ich insgesamt 30 Predigten zusammen und untersuchte sie. Dies bildet die Basis der Analyse und des Verständnisses der ideologischen salafistischen Narrative in diesem Buch.

      Die 30 Freitagspredigten lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie umfasst politisch orientierte

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