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zweimal ausgeplündert.

      Wer immer ihn beraubet oder schädigt,

      Beleidigt Gott mit tätlicher Verlästrung,

      Denn heilig schuf er ihn zu eignem Zwecke.«263

      Die Bilderwelt des Paradiso terrestre ist aber auch Ausdruck der inneren Gefühlslage Dantes. Sein Umkehrweg hat nun die entscheidende Markierung, den Wendepunkt erfahren, von nun an geht es nicht mehr steinig bergauf, sondern beflügelt durch die Himmel. Was er auf dem Gipfel des Läuterungsberges erlebt, ist somit nicht nur Darstellung des Wesens und der Bedrohung der Kirche, sondern auch Darstellung des Wesens und der Bedrohung des einzelnen Gläubigen. Das Szenarium zeigt die Verbindung von Einzelschicksal und Gemeinschaft. Hier – wie an jedem anderen Ort im Jenseits – findet sich der Protagonist wieder mit all seinen Sehnsüchten, Hoffnungen, Erwartungen.264 Das, was Kirche ist, findet seinen Ausdruck im Erlösungsweg des einzelnen Gliedes. Umgekehrt ist der Einzelne in die Gemeinschaft der Kirche eingebunden und insofern beheimatet, als sie in ihrem Selbstverständnis die Erfahrungen und Schicksalsschläge des menschlichen Lebens aufzugreifen und von der Offenbarung her zu beleuchten sucht. Dieses Ineinander, diese gegenseitige Verwiesenheit von einzelnem Glied und dem ganzen Organismus/Leib kommt v. a. auch in der Beichte Dantes in Purg. XXXI zum Vorschein. Auch dieses Geschehen bleibt eingewoben in die Gemeinschaft der Kirche, ist ein der ganzen Kirche zukommender und sie betreffender Vorgang. »Dante […] ist nirgends, am allerwenigsten hier, wo er den Schwung zum Himmel nehmen soll, von kirchlichem Beistand verlassen. Ja, gerade hier erfährt er, dass die kirchliche Autorität […] im entscheidenden Augenblick seine nachsichtigste und zärtlichste Fürsprecherin ist […]. Der kirchliche Beistand löst in ihm die rettende Träne aus. Damit ist der tiefste und schönste Gedanke der katholischen Kirche entwickelt : dass der Mensch, wenn er dem Geist der göttlichen Wahrheit und der fürchterlichen Stimme seines Gewissens allein, ohne Hilfe entgegentreten wollte, an seinem eigenen Stolz zerbrechen müsste.«265

      Diese Geborgenheit des Einzelnen in der ihn tragenden Gemeinschaft ist ein Leitgedanke des dritten Liedes der Commedia, dem Paradiso.

       3.2 Der Aufstieg Dantes durch die Himmel

      Das irdische Paradies als Narthex bzw. Eingangsbereich des Himmels bereitet auf diesen vor. Geläutert und entsühnt vermag Dante frei von aller Sündenlast emporzuschweben, um mit Beatrice die verschiedenen Sphären des Paradieses zu betrachten – dies am Vorabend des siebten Tages der Jenseitsreise, an dem der Schöpfer selbst nach Vollendung seines Werkes ruhte (Par. I, 43 analog zu Gen 2,2 f.). Im Paradiso ist das durch alle Gesänge wie ein roter Faden sich durchziehende Motiv die Unzulänglichkeit der Darstellungskraft des Dichters angesichts der Mysterialität des Geschauten (er ist ja diesbzgl. als noch nicht Gestorbener ganz auf die ihm – vermittelt durch die Fürsprache der Heiligen – zuteilwerdende Gnade angewiesen, die ihn in einer steten Steigerung schließlich zur unverhüllten Anschauung des Dreieinigen führt).266

      Die angesprochene Zunahme der Dante in und als Gnade (Licht267) gewährten Sehkraft, das kontinuierliche Tieferdringen, die Zunahme der visio beatifica gemäß der jeweiligen Himmelssphäre, wird durch die jeweilige Anpassung seines Sehvermögens an dasjenige seiner Begleiterin268 ermöglicht. In den auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit gerichteten Augen Beatricens wird er wie im Spiegel (also indirekt-vermittelt)269 diesem selbst teilhaftig. Dieses Grundmotiv der Lichtmetaphysik des Paradiso hebt bereits im irdischen Paradies an270 und wird in Par. I, 1–6 und 46 ff. wie folgt ausgeführt :

      »Die Glorie des Bewegers aller Dinge

      Dringt durch das Weltall, und von ihr erstrahlen

      Mehr oder minder die verschiednen Sphären.

      Im Himmel, der das meiste Licht empfangen,

      War ich, und ich sah Dinge, die kann keiner

      Verkünden, der von dort herniedersteiget. […]

      Als ich Beatrice nach der linken Seite

      Gewendet sah, das Auge hin zur Sonne ; […]

      So folgte ihrem Blick, der durch die Augen

      Zu meinem Geist gedrungen, nun der meine ;

      Ich schaute mehr als jemals in die Sonne. […]

      Beatrice hatte in die ewigen Kreise

      Den Blick versenkt ; ich hatte meine Augen

      Auf sie geheftet, nicht mehr nach dort oben. […]

      Verklärung kann man nicht mit Worten sagen,

      Darum muß dem das Gleichnis schon genügen,

      Dem Gnade das Erleben vorbehalten.«271

      Dantes Aufstieg durch die Himmel erfolgt dementsprechend durch den Licht freisetzenden Anblick Beatricens. Wenn Dante ihr in die geliebten Augen blickt, geben diese die Liebe Gottes (die sie selbst in der visio beatifica empfängt) an ihn weiter und entzünden ihn in seiner Sehnsucht nach mehr. Licht und Liebe stehen somit in einem unmittelbaren Zusammenhang und verdeutlichen das Geschenk der darin zum Ausdruck gebrachten Gnade : »Der Liebende erfährt, dass ihm im geliebten Menschen etwas entgegentritt, welches jeder Proportion der Macht, des Rechtes und Verdienstes entrückt ist. Es gehört der Ordnung des Geschenkes, der reinwaltenden Freiheit, der Gnade an. So weckt der geliebte Mensch die Ahnung von dem, was über jeder irdischen Macht ist, dem Himmlischen […]. Der Lichtcharakter alles Seienden, der schon durch die Schöpfung begründet und dann, nach seiner Verdunkelung durch die Sünde, in der Erlösung erneuert worden ist, wird in der Gnade frei.«272

      In Beatrice begegnet Dante dem Himmel, aber diese Gnadenerfahrung ermöglicht letztlich und entscheidend nicht die Mittlerin, sondern der unmittelbare Zielgrund allen Liebesstrebens – Gott selbst in seiner unverhüllten Schau. Beatrice ist nur Wegbegleiterin, sie bereitet Dante auf das Höchstmaß jeglicher Liebeserfahrung vor und tritt selbst schließlich ganz zurück.273

       3.3 Die jeweiligen Himmel als Ausdruck der personalen Bestimmtheit des Einzelnen

      Die von Dante durchquerten neun Himmel274 (Mond-, Merkur-, Venus-, Sonnen-, Mars-, Jupiter-, Saturn-, Fixstern- und Kristallhimmel) geben die Gradualität der Schau der (dadurch) Beseligten wieder, ein Gedanke, der dem katholischen Eschatologieverständnis durchaus entspricht.275 Die Heiligen, welche im Empyreum (dem höchsten und alle anderen umfassenden Himmel) im Bild einer Rose als Gemeinschaft erscheinen (vgl. Par. XXX, 1 ff.), werden den einzelnen Planetenhimmeln zugeteilt gemäß ihrer individuellen Begnadung und dem damit verbundenen Verdienst.276 In ihnen begegnet auch Dante den jeweiligen Seligen, die damit einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden (im Mondhimmel sind diejenigen versammelt, die Gelübde brachen, im Merkurhimmel jene, die nach irdischen Gütern strebten, im Venushimmel die Liebenden (diese drei Himmelssphären bilden wiederum eine Einheit, da in ihnen noch das weltliche Streben zum Ausdruck kommt277), im Sonnenhimmel die Kirchenlehrer, im Marshimmel die Märtyrer, im Jupiterhimmel gerechte Fürsten (diese drei Gruppen gelten als zweite Einheit der von allen irdischen Überschattungen freien und dennoch nicht kontemplativen Seelen – für die vita activa stehend), im Saturnhimmel Kontemplative (für die vita contemplativa stehend). Die Himmel bzw. Sterne nehmen hierbei eine Mittlerfunktion ein ; das göttliche Wirken am Einzelnen ist vermittels des Einflusses der Gestirne spezifiziert bzw. individualisiert, jeder Mensch ist zeitlebens (und damit auch ewig) einem Stern zugeordnet.278 Die Perspektive einer sittlichen Stufenfolge, wie sie in Hölle und Purgatorium augenscheinlich als Einteilungsprinzip grundgelegt ist, findet somit auch in den Gesängen des Paradieses Anwendung. Alle Differenzierung und Stufung umfassend und bedingend ist Gott als der universale Schöpfer auch Lenker und Ziel aller Bewegung zur Vervollkommnung (auf ihn hin als den Erstbewegenden), womit die Weltordnung als in ihm gegründet und auf ihn hinführend gekennzeichnet ist :

      »[…]

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