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Dantes Theologie: Beatrice. Stefan Seckinger
Читать онлайн.Название Dantes Theologie: Beatrice
Год выпуска 0
isbn 9783429062156
Автор произведения Stefan Seckinger
Жанр Документальная литература
Серия Bonner dogmatische Studien
Издательство Bookwire
Nach Purg. XXX, 109–117 ist eine gewisse Vorbestimmung und Prägung durch die Sterne (ausgehend von Gott selbst vermittels des alles andere bewegenden Kristallhimmels293) ebenso wie die Gnade Gottes im Besonderen die Grundlage der individuellen Entfaltung der Person.294 Die Mittlerschaft des göttlichen Allwirkens durch die Gestirne bzgl. des Einzelschicksals lässt somit neben der personalen Freiheit des Einzelnen (und damit seiner Verantwortlichkeit) auch Raum für die Betonung der Ungeschuldetheit und Unableitbarkeit der göttlichen Gnadenzuwendung an den konkreten Menschen ; weder der Mensch in seiner freiheitlichen Entscheidungsfindung noch die Allmacht Gottes lassen sich von einem undifferenzierten Sternenglauben abhängig machen. 295
An der Gestalt Piccardas stellt sich das abstrakte Problem der Zuordnung von Gnadenwahl, freiem Willen und Mittlerschaft der Gestirne in einem konkreten Einzelschicksal : Ist sie unschuldig am Gelübdebruch, wieso ist sie dann im untersten Himmel, dem am meisten der Erde zugewandten, dem am wenigsten vom göttlichen Licht durchdrungenen ?296 Die Tragik wird v. a. in der Darlegung des Selbstverständnisses der Theologie im vermeintlichen Widerspruch zu einem offenbarungsunabhängigen Gerechtigkeitsempfinden und einer entsprechenden Wertordnung deutlich :
»Wenn unsere Gerechtigkeit ein Unrecht
Im Aug der Menschen (negli occhi dei mortali) scheint, ist das ein Anlaß
Zum Glauben, nicht zu ketzerischem Wahne.«297
Als gelehrte Gottesweisheit gibt Beatrice aufgrund der bedingten, gefallenen Erkenntnisfähigkeit des Menschen298 Auskunft über dieses ihm letztlich undurchdringliche Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl und ihrer eschatologischen Gerinnung (ebd., 70–72). Auf Seiten des Menschen ist seine bleibende Willensfreiheit entscheidendes Kriterium bzgl. einer eschatologischen Qualifizierung seines Handelns (Par. IV 73 ff.). Die Seelen im Mondhimmel waren nur indirekt und nachträglich dem Willen ihrer Peiniger fügsam, da sie in ihr Los einwilligten (Gewalt vereint sich mit dem Willen ; vgl. ebd., 107). Die Frage ist demnach, wie stark der Wille des Einzelnen gegenüber der Herausforderung des Gelübdebruches war. Die Unterscheidung in absoluten und relativen Willen299 versucht diese Problematik zu verdeutlichen ; auch ein Festhalten am Gelübde – die Furcht überwindend und dem Tod (dem Martyrium300) ins Auge blickend – wäre möglich gewesen.301 Die Willensfreiheit wird somit zum Zentralthema der Frage nach der Begnadung durch Gott, der (nur mittlerischen, nicht ursprungshaften) Bestimmung durch die Gestirne sowie der Gradualität der Seligen im Himmel (als in Relation zur eigenen Zustimmung, der freiheitlichen Zuwendung zum Zielgrund des Lebens stehend). Äußere Umstände (als weltimmanente Erläuterung der Funktion der Gestirne im damaligen Weltbild bzw. als Natur zu verstehen, da diese ja auf die Gnade Gottes hingeordnet ist und durch diese keineswegs korrumpiert wird) und die besondere Hinwendung Gottes (Gnade) gegenüber dem Einzelnen bilden somit den Rahmen, die Grundlage der eigenen Entscheidungsfreiheit im jeweiligen Handeln. Dieses ist – bei aller nochmaligen Gnadenverwiesenheit der Öffnung für Gottes Wort und der Bereitschaft, es aufnehmend auch umzusetzen – Fundament der augenscheinlichen Einordnung der Seelen in die Bereiche der (ewigen) Verworfenheit (Hölle) und Seligkeit (Himmel) sowie in den Raum der Unabgeschlossenheit selbstläuternder Vorbereitung auf die eigene Vollendung (Purgatorium). Die Betonung der Freiheit des Willens ist damit Fundamentalaussage der DC ; Gott verdammt den Menschen nicht in die Hölle, er übervorteilt ihn aber auch nicht um den Preis seiner Freiheit, indem er ihm, gemäß einer von der Kirche verurteilten Apokatastasisanschauung302, den himmlischen Frieden im Voraus versichert. Vielmehr wird der Herausforderungscharakter des Lebens betont – in seiner ganzen Tragweite und Ernsthaftigkeit.303 Der Mensch vermag sich seine eigene Hölle aufgrund seiner Freiheit selbst zu schaffen304, was allerdings einer Pervertierung dieser Freiheit (von Gott her und auf ihn hin) gleichkommt, jedoch der Preis der stets gefährdeten (da freiheitlichen) Liebesbeziehung ist.305
Die Eschatologie nimmt damit die Hoffnung und Freiheit des Menschen über den Tod hinaus in den Blick ; in der Erwartung auf das zukünftige Heil gilt es, Schicksalsschläge anzunehmen, kurzlebige Erfolge zu relativieren und durch die Ausrichtung auf das Wesentlich-Bleibende an der Welt und am Mitmenschen seinen Dienst zu tun. Der Motivation der Möglichkeit des Gelingens ist die Möglichkeit des Scheiterns unweigerlich als Schwester zur Seite gestellt, was letztlich Grundlage des menschlichen Strebens nach Erfüllung und Geborgenheit ist, wo es gilt, seiner eigenen Berufung nachzukommen :
»Das größte Gut, das Gott in seiner Gnade
Geschaffen hat, und das zu seiner Güte
Am besten paßt, das er am höchsten wertet,
Das ist des Willens Freiheit (volontà la libertate) ja gewesen,
Die den vernunftbegabten Wesen allen,
Nur ihnen, allezeit zuteil geworden. […]
Nehmt es, o Christen, schwerer, euch zu rühren,
Seid nicht wie Federn, die im Winde flattern,
Und glaubt nicht, jedes Wasser könnt’ euch waschen.
Ihr habt die neuen und die alten Schriften,
Und habt den Kirchenhirten (il pastor della Chiesa), der euch führet,
Das sollte euch zu eurem Heil genügen.«306
In dieser für alle drei Lieder307 zentralen Frage der DC nimmt Dante das Motiv der Unzulänglichkeit menschlichen Erkennens wieder auf, um es mit der Orientierungshilfe von Schrift und Lehramt in Verbindung zu bringen. Allerdings greift die Theologie (Beatrice) erst an der Stelle ins Geschehen ein, wo die Vernunft entweder fehlgelaufen ist oder nicht mehr weiter weiß. Die sich selbst unter Schrift und Lehramt/Tradition stellende Theologie baut somit – wie die Gnade auf der Natur – auf dem an sich offenbarungsunabhängigen Erkenntnisstreben des Menschen auf, dieses allerdings stets auch in seine Grenzen verweisend.308
In einem zweiten Fragenkreis greift im Venushimmel (Par. VIII, 94 ff.) Karl Martell309 Dantes Frage nach der Vererbung guter Eigenschaften (oder auch Talente) von Eltern auf ihre Kinder auf (ebd. 93 : com’ esser pùo di dolce seme amaro).310 Er setzt Naturveranlagung, Vererbung und Gesellschaftseinfluss in Verbindung mit Vorsehung und freiem Willen, sodass das Zusammenspiel verschiedener Faktoren die Unvorhersehbarkeit und damit Individualität und personale Verantwortlichkeit jedes Einzelnen ausmacht :
»Das Gute, das das Reich, durch das du wanderst,
Bewegt und sättigt, läßt in diesen großen
Körpern die Vorsehung zur Wirkung werden.
Nicht nur sind vorgesehen die Naturen
In jenem Geist, der aus sich selbst vollkommen,
Nein, auch vereint mit ihrem eignen Heile ;
So daß, was immer dieser Bogen schleudert,
Auch richtig trifft zum vorgesetzten Ende
So wie ein Pfeil, der auf sein Ziel gerichtet.«311
Von Gottes Vorsehung her ist der Mensch in Natur und Begnadung bestimmt, er ist berufen zur Heiligkeit, d. h. aufgefordert (seinen individuellen Möglichkeiten gemäß), ein Leben in Rechtschaffenheit und Gottgefälligkeit zu führen. Sein Scheitern kann daher nicht Gott angelastet werden, der den Menschen in Freiheit erschafft und dessen Schöpfung in Gen 1 als ›gut‹ bzw. nach der Erschaffung des Menschen als ›sehr gut‹ ausgewiesen ist (Gen 1,31). Par. VIII, 116 zeichnet den Menschen auf Erden als Bürger (fosse cive) aus, woraus sich eine notwendige Verschiedenheit der Berufe (Berufungen) ergibt (ebd., 119 : diversi uffici)312, die wiederum auf eine Verschiedenheit (in) der Wurzel zurückgeführt werden (ebd., 122 f.). Nach ebd., 127–130 teilt die Natur (la circular natura) ihre Güter ohne Unterscheidung den Menschen zu ; sie »kennt ihre Künste, doch unterscheidet sie nicht ihre Wohnung.«313 Gottes Vorsehung (ebd.,