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Seelen dieser Sphäre zeichnen sich durch ihre Aktivität (che son stati attivi ; Par. VI, 113) in irdischen Belangen aus (in Relation zum Saturnhimmel, der für die vita contemplativa steht). Der zweitunterste Himmel steht ebenso wie Mond- und Venushimmel noch im Bannkreis des sublunaren weltlichen Strebens (hier nach onore e fama ; Par. VI, 114).

      Justinian bezeichnet sich selbst als ein vom Monophysitismus334 Bekehrter (Par. VI, 13–18), der sich für die Kirche auf Erden einsetzte mit Hilfe der ihm von Gott verliehenen Gnade (Par. VI, 22–24). Er macht sich Dantes Idee des gottgewollten römischen Kaiserreichs zu eigen, indem er den Parteienzank seiner Zeit und v. a. das französische Königshaus anklagt, che son cagion di tutti vostri mali (Par. VI, 99).335 Die Einheit des Reiches ist nach ihm Gewähr für Frieden, allgemeine Wohlfahrt und das Seelenheil des Einzelnen, da die Kirche selbst hineingezogen in die unterschiedlichen Parteiungen letztlich wider sich selbst steht, anstatt sich ihrem seelsorglichen Auftrag zu stellen.

      Exkurs : Sündenfall und Erlösung

      Der siebte Gesang des Paradiso beginnt mit einem hymnischen Lobpreis der Erlösungstat Gottes in lateinischer Sprache.336 Hierauf greift Beatrice eine (ungeäußerte, aber dennoch gemäß der captatio benevolentiae der Heiligen wahrgenommene) Frage Dantes bzgl. der Aussage Justinians in Par. VI. 88–93 auf, wonach unter der Regierung des Kaisers Tiberius das gottgeleitete Kaisertum den Kreuzestod Christi als Verbindung von Rache (vendetta) und Zorn (ira) ermöglichte und damit auch die Erlösung, schließlich durch den Jerusalemfeldzug unter Titus diese Rache wiederum mit Rache zu vergelten suchte (Par. VII, 92 f. : far vendetta corse della vendetta del peccato antico), also »warum gerechte Rache auch selber rechter Rache noch bedürfe.«337 Sie gibt ihm Antwort in einem prägnanten Durchgang durch die Heilsgeschichte in der Zusammenschau von Schöpfungslehre und Soteriologie, von Sündenfall (Erlösungsbedürftigkeit) und Kreuzestod (Erlösung). Adam338 (che non nacque ; Par. VII, 25) sündigte (und mit ihm die gesamte, korporative Schicksalsgemeinschaft der Menschen), indem er »verschmähte, die Willenskraft zu seinem Heil zu zügeln«339. Christus hat del suo eterno Amore (Par. VII, 33) durch Inkarnation (ebd., 30–33) und Kreuzestod (ebd., 40) Erlösung gebracht. Der selbstverschuldeten (per sè stessa ; Par. VII, 37) Gottentfremdung der im ersten Menschen eingeschlossenen Schicksalsgemeinschaft aller, die nicht im (guten) Schöpfungswerk selbst verankert werden kann (questa natura […] qual fu creata, fu sincera e buona ; Par. VII, 35 f.), der erbsündlichen Abwendung von Wahrheit und Leben (da via di verità e da sua vita ; Par. VII, 39), wird das Erlösungswerk des Sohnes gegenübergestellt, wobei Anselms Satisfaktionstheorie340 aufleuchtet :

      »Die Strafe also, die am Kreuz erduldet,

      Entsprechend der Natur, die angenommen,

      War so gerecht wie niemals eine Strafe.

      Und dennoch war auch keine je so schändlich,

      Wenn man auf die Person des Dulders achtet,

      Der die Natur auf sich genommen hatte.

      So kommt aus einer Tat verschiedne Wirkung :

      Gott und den Juden (Dio ed ai Giudei) hat ein Tod gefallen,

      Die Erde bebte, auf tat sich der Himmel.«341

      Nach Dante ist dementsprechend der Feldzug des Titus und die Eroberung Jerusalems (70 n. Chr.) als Strafe der gerechten Rache (giusta vendetta ; Par. VII, 50) verstehbar, da er streng zwischen dem Werkzeugcharakter des römischen Weltreiches beim Kreuzestod Jesu und der den damaligen Juden angelasteten Ungeheuerlichkeit der Tötung des erwarteten Messias unterscheidet (legitimer Richter und Vollstrecker des göttlichen Ratschlusses ist allein das gottgewollte Kaisertum).342 Dass hierbei eine im Mittelalter weit verbreitete Ansicht der Universalschuld der Juden am Tod Jesu mit ihrer (gottgewollten) Vertreibung und Verfolgung durch das Reich in Verbindung gebracht wird, ist aus eben diesem Interpretationshorizont heraus zu sehen.

      In der DC stellt Dante der gelehrten Gottesweisheit in der Gestalt Beatricens die Frage nach der Angemessenheit einer solchen Vorstellung. Er stellt sich also zunächst auf die Seite der Skeptiker, nimmt dann allerdings ihre Erklärung an.343 Zunächst jedoch fragt er weiter nach der Notwendigkeit gerade einer solchen Art der Erlösung (wiederum erkennt Beatrice Dantes Zweifel, ohne dass dieser ihn zu äußern brauchte ; Par. VII, 55–57), da er das Wesen der Liebe noch nicht erfasst hat (Questa decreto […] sta sepulto agli occhi di ciascuno il cui ingegno nella fiamma d’amor non è adulto ; Par. VII, 58–60). Die Liebe (buontà del cuore ; ebd., 109) ist somit Motiv von Menschwerdung und Kreuzestod, die beide auch nur in Liebe gnadenhaft annehmbar und verstehbar (im Sinne des mysterialen Glaubenssinnes) sind. Gottebenbildlichkeit344, Unsterblichkeit345 (Par. VII, 67–69) und Freiheit346 (ebd., 70–72) sind nach dem Schöpfungsbericht Auszeichnungen des Menschen, die durch den Sündenfall Schaden erlitten (ebd., 79–81). Da es dem Menschen in seiner Schuld (erbsündlichen Verfangenheit) nicht möglich ist, sich selbst zu erlösen (ebd., 97–102), blieben Gott Gerechtigkeit und Barmherzigkeit347, um sein Erlösungswerk am Menschen in Freiheit zu vollziehen (ebd., 103 ff.). In der Person Jesu Christi wird ungeschuldet allen das Heil angeboten, womit das Wesen der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht ist :

      »Und von der letzten Nacht zum jüngsten Tage

      Ist solche Tat und wird auch niemals wieder

      Auf diese oder andre Art geschehen.

      Denn mehr gab Gott, da er sich selbst gegeben,

      Damit der Mensch sich wieder konnt erheben (per far l’ uom sufficiente a rilevarsi),

      Als wenn er nur die Schuld verziehen hätte.

      Die andern Wege konnten nicht genügen

      Vor dem Gericht, wenn Gottes Sohn nicht selber

      Herabgestiegen wär und Fleisch geworden.«348

      Dabei sieht Dante in Menschwerdung und Erlösungstod der zweiten innertrinitarischen Person eine unmittelbare Begegnung mit dem göttlichen Geheimnis existentiell ermöglicht, die dem Menschen als Offenbarung bleibend vermittelt, wer Gott ist und wie er am Menschen handelt. Kein abstrakter, formaler Vergebungsakt schenkt Erlösung, keine dem erbsündlichen Menschen auferlegte Strafe oder Sühne, sondern die stellvertretende Aufopferung des Sohnes aus Liebe. Die Selbsthingabe Gottes ist daher umso größer zu preisen und ungleich mehr zu schätzen als ein bloßer Verzeihensakt, der keine wirkliche Begegnung von Gott und Mensch, keine wirkliche Erfahrung der Befreiung durch Gott selbst vermittelt. Die Inkarnation des Logos ist die Bedingung dieses erlebten Heilshandelns Gottes, welches das gesamte Leben Jesu umfasst, schließlich in seinem Tod und seiner Auferstehung kulminiert. Wie in der gesamten Göttlichen Komödie die Veranschaulichung der Wirkmacht Gottes durch Begegnung erfolgt (mit den Verstorbenen, mit Heiligen, mit Engeln, schließlich mit Gott selbst), so ist auch für die Offenbarungsgeschichte Jesu Christi diese Dimension der Erfahrbarkeit Motiv der Menschwerdung und seines gesamten Wirkens über den Kreuzestod hinaus.349 Die konkrete Geschichte Jesu schließlich wird als Heilshandeln Gottes an allen Menschen durch ihre Verschriftlichung (NT), Tradierung (Kirche) und weiterführende Reflexion (Theologie) erfahrbar. Das Wesen von Sünde und Erlösung, der Tod und die Auferstehung Jesu als personale, existentielle Wirklichkeit können so je neu aktualisiert und interpretiert werden. Entscheidend dabei ist jedoch, dass sie erfahrbar bleiben. Die Divina Commedia hat diese Erfahrbarkeit im Blick, wenn sie jenseitige Erlebnisse schildert, die den Glauben veranschaulichen, der von Begegnung lebt. Sünde und Erlösungsgeschehen werden damit im Bereich der Eschatologie so personalisiert und kommuniziert, wie es bereits in der konkreten Offenbarungsgeschichte Jesu Christi grundgelegt ist.

      Allgemein lässt sich festhalten, dass das Heilshandeln Gottes zur Rechtfertigung des Menschen wird, insofern diese die freiheitliche Entscheidung beinhaltet, das Erlösungsgeschehen anzunehmen und den Willen Gottes im eigenen Leben zu erfüllen. Der Mensch ist nicht einfach passives Objekt des gnadenhaften

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