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werden kann, sondern Grunderlebnis für alles Weitere und insbesondere des Strebens nach der glückselig machenden Anschauung Gottes ist.240

      Nach Reue241 und Bekenntnis (die satisfactio ist durch den Aufstieg zum irdischen Paradies gegeben) sieht Dante erstmals im Laufe seiner Jenseitsreise in die Augen der geliebten Gottesführerin, die ihm Vorausgleichnis der visio beatifica sind. Beatrice verweist somit Dante auf sein Gewissen, sie redet ihm nicht Schuld ein, sondern öffnet ihm vielmehr die Augen, bewegt ihn zur Selbsterkenntnis, indem sie ihn den Weg der Selbstwerdung einschlagen lässt, ihn auf den rechten Weg der Gottsuche bringt. Durch ihren Eintritt in die Ewigkeit verklärte sie sich zum Sehnsuchtsbildnis unbedingter, absoluter Liebe und steht so für die Rückgewinnung der Blickrichtung hin zum Unbedingten, nachdem Dante durch die Verabsolutierung irdischer Güter das ewige Gut selbst aus den Augen verlor. Sie ist die personifizierte Aufforderung zur Transzendentalisierung kontingenter (scheiternder) Lebenswirklichkeit.

      Das Bad (das Trinken bzw. die Taufe242) im Lethefluss (Purg. XXXI, 91 ff.) durch Matelda versinnbildlicht Dantes Absolution ; er wird aufgenommen in den Reigen der Kardinaltugenden (Purg. XXXI, 104 in Anlehnung an Purg. XXIX, 130–132) und erblickt in Beatricens Augen (zunächst noch verschleiert) Jesus Christus (in der Greifengestalt ; Purg. XXXI, 115 ff. in Anlehnung an Purg. XXIX, 108–114). Die vier weltlichen Tugenden bereiten auf die drei theologischen (Purg. XXXI, 111) vor243, die sich ihm im (nun unverschleierten) Anblick Beatricens zeigen, da sie sich in die Anschauung Gottes versenkend ihrer zweiten Schönheit erfreut (la seconda bellezza ; Purg. XXXI, 138). H. Gmelin schreibt in seinem großen Dantekommentar hierzu : »Der Schluß des Gesanges bringt die abschließende Szene des Beichtaktes, das sichtbare Zeichen der Gnade für den Geläuterten, die Enthüllung Beatrices […] in dem sich das Augenmotiv der Minnedichtung mit dem Spiegelmotiv der transzendentalen Lichtsymbolik verbindet […]. Dieses Spiel der Blicke, in dem Beatrice die Mittlerin zwischen Dante und Christus darstellt, ist begleitet […] durch […] den Tanz der drei geistlichen Tugenden«.244 Beatrice, die Seligmachende, Allegorie des Gottschauens und der dahin führenden Gottesweisheit, ist hier als Mittlerin245 ausgezeichnet ; in ihr und durch sie erblickt Dante die Unbedingtheit der göttlichen Liebesfülle. In der Transzendierung irdischer Liebeserfahrung (im Gegenüber/Anblick des geliebten Du) gewinnt diese erst ihre Tiefe, da sie als Abbild der Liebe des Dreieinigen246 auch in ihm ihren Zielgrund weiß und dadurch vor Selbstvergottung geschützt ist. Selbstrelativierend ob ihrer Abkünftigkeit von Gott und ihrer Zukünftigkeit in Gott erfährt irdische Liebessehnsucht Mut zur Einholung der eigenen Bedingtheit und Anfälligkeit angesichts der Bedrohung aller kontingenten Wirklichkeit. Der Sackgasse der Verabsolutierung des Endlichen wird in der DC mit der Transzendierung irdischer Liebessehnsucht247 begegnet, die neue Wege gangbar macht, den Horizont und den Blick auf die Sterne eröffnet : Puro e dosposto a salire alle stelle.248

       3.1.3 Das Kirchenverständnis in den Gesängen zum irdischen Paradies

      Neben der Begegnung mit Beatrice und der damit verbundenen Entsühnung Dantes als Voraussetzung der Weiterführung der Jenseitsreise durch die Himmel des Paradieses ist im irdischen Paradies auf der Höhe des Läuterungsberges das darin gezeichnete Kirchenverständnis bedeutsam.249 Mit Beatrice, der Führerin zur Seligkeit, tritt die Kirche in ihrer himmlischen Pracht (ecclesia triumphans), aber auch in ihrer irdischen Anfälligkeit in Erscheinung. Neben der Anklage Beatricens, dem persönlichen Sündenbekenntnis Dantes und seiner Läuterung wird parallel die Schuldverfangenheit weltlicher Machtansprüche der Kirche zur Sprache gebracht und der Gestalt Beatricens (als Verkörperung der idealen, da sich ganz der Gottsuche und Offenbarungsverkündung anheimgestellten Kirche mit ihrer entsprechenden Theologie) gegenübergestellt.250

      In Purg. XXIX begegnet Dante im lichten Wald des irdischen Paradieses einer Prozession, dem Zug der himmlischen Kirche. Sieben Leuchtern (den sieben Gaben des Geistes)251 folgen die 24 Greise der Offenbarung des Johannes (in weißen Kleidern ; Purg. XXIX, 64–66)252 ein Marienlob anstimmend, schließlich die vier Evangelisten (nach Ez 1,4 ff. und Offb 4,6 ff.), bevor im Zentrum der Prozession ein Triumphwagen, der die Kirche repräsentiert253 (und dessen Räder für das AT und NT stehen könnten), gezogen von Christus in der Gestalt eines Greifes – seine Gottmenschlichkeit andeutend254 – zu erkennen ist (Purg. XXIX, 106–114). Das Gefährt (carro ; ebd., 107) begleiten am rechten Rad die theologischen Tugenden (drei tanzende Frauen in den entsprechenden Farben), am linken die vier Kardinaltugenden. Ihnen folgen Lukas (die Apostelgeschichte) und Paulus (dessen Briefkorpus), schließlich bilden die Personifikationen der vier sog. Katholischen Briefe255 und der Apokalypse den Schluss.

      Im XXXII. Gesang des Purgatorio folgt die Darstellung der Unterlegenheit der irdischen Kirche gegenüber den Versuchungen der Zeitgeschichte. Die Szene wird durch den Ausruf Adamo (Purg. XXXII, 37, sein Schicksal klingt in Purg XXXIII, 62–64 an) eingeleitet und optisch um einen kahlen Baum (una pianta dispogliata ; Purg. XXXII, 38) gelagert.256 Die Prozession ist an diesem Baum zum Stehen gekommen, an dessen Stamm der Greif die Wagendeichsel mit den Worten festmacht : »So rettet man den Samen der Gerechten.«257 Daraufhin fängt der Baum zu blühen an (die gefallene Menschheit ist durch Inkarnation und Erlösungstod erneuert), und Dante fällt in Schlaf. Nach seinem Erwachen sieht er Beatrice an der Wurzel des Baumes sitzen und zusammen mit den Geistesgaben und Tugenden den Wagen der Kirche bewachen (der Greif ist verschwunden, die Zeit der pilgernden, auf die Wiederkunft des Herrn harrenden Kirche beginnt). Die nun folgenden Anfeindungen versinnbildlichen die Versuchungen der Kirche258 : Der Sturzflug des Adlers auf den Baum und Wagen steht für die Christenverfolgungen der ersten Jahrhunderte durch das römische Weltreich. Ein gieriger Fuchs (häretische Strömungen der frühen Kirche) wird von Beatrice (der Theologie) vertrieben. Der erneute (Federn lassende) Sturzflug des Adlers versinnbildlicht die Verweltlichung der Kirche durch die sog. Konstantinische Schenkung (als Legitimation aller irdischen Machtansprüche der Päpste259 gegenüber des im Jupiterhimmel (Par. XVII–XX) gelobten und in Dantes Monarchia begründeten gottgewollten Kaisertums). Der Drache (nach Offb 12), der den Wagen durchsticht, könnte Satan oder den aufkommenden Islam symbolisieren. Es folgt die Verwandlung des Wagens in das Tier der Apokalypse (vgl. Offb 17) und die Erscheinung einer Dirne, die um einen Riesen buhlt (ebenfalls in Anlehnung an Offb 17 ; vermutlich eine Anspielung auf das französische Königtum), woraufhin beide von dem Tier in den Wald verschleppt werden (womit das Avignonesische Schisma – 1304 unter Clemens V. beginnend – angesprochen ist). Nachdem die Tugenden in Purg. XXXIII, 1 den Psalm 79 anstimmen (Klage über die Zerstörung Jerusalems), wiederholt Beatrice die Worte Jesu aus Joh 16,16 über seine Wiederkunft und gibt eine Deutung des Geschehens (Purg. XXXIII, 26 ff. mit der Hoffnung auf einen Retter, einen das Reich einenden Führer oder Kaiser, in ebd., 40–45).

      Dantes Kirchenverständnis orientiert sich demnach an dem spirituellen, soteriologischen Auftrag der pilgernden Kirche, die in ihren Sakramenten den Menschen Dienerin ihrer Erlösungssehnsucht sein soll. In seiner Betrachtung treffen sich Schöpfungstheologie (Sündenfall, der entblätterte Baum der Erkenntnis) und Christologie (die Neubegrünung desselben) in einer eschatologisch-apokalyptischen Gesamtschau.260 Er entwirft keine systematische Ekklesiologie, dennoch ist nach der DC die Kirche unter der Perspektive des Seelenheils der Gläubigen (also gnadentheologisch) zu sehen. Die Einmischung der Kirche in weltliche Angelegenheiten, ihre Machtansprüche in Konkurrenz zu dem damit dem Parteienzank ausgelieferten Kaisertum261, werden aufs Entschiedenste verurteilt, da nur ein starkes Kaisertum die Wohlfahrt der gesamten Christenheit seiner Überzeugung nach (v. a. vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen in Florenz262) herbeiführen kann. Dies ist der Grund seiner Mahnung im irdischen Paradies der DC gegenüber dem nach Erkenntnis und Macht strebenden Menschen, dessen letztes Ziel in der Transzendenz, nicht Immanenz, auf ihn wartet :

      »So melde diese Worte dort den Menschen

      Im Leben, das zum Tode nur ein Laufen (viver ch’è un corre all morte),

      Und denk daran, daß du bei deinem Schreiben

      Auch

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