Скачать книгу

der geliebten Augen Beatricens, die ihm Tor zur Ewigkeit sind, entspricht der Läuterung seines Liebesstrebens als einer Neuausrichtung zur unbedingten Liebesfülle, die Gott ist. Insofern lässt sich sagen, dass Dante seine Gefühlswelt nicht sub specie aeternitatis schreibt, um damit eine dreifache (entsprechend der drei Jenseitsreiche) Weiterführung irdischer Lebensschicksale in der Geronnenheit endzeitlicher Vorstellungen zu geben, vielmehr, um die Möglichkeit und Durchführung der Überwindung individueller Höllen (als Hoffnungs- und Ausweglosigkeit) aufzuzeigen. Das schmerzhafte Erlebnis des Hinscheidens seiner Jugendliebe wird so für ihn zur Erfahrung ihrer erhöhten Daseinsweise, und Beatrice wiederum vermittelt Dantes Anschauung Gottes als den Zielgrund der Schöpfung, d. h. auch seines eigenen Lebens.

       2.3 Aberrative Versuche der Problembewältigung

      Nachdem der Jenseitspilger am Ende eines Tales einen Hügel erblickt und den Sternenhimmel darüber – was ihm Zuversicht verleiht150 – wird er durch den Anblick dreier Tiere jäh in die Dunkelheit des Waldes zurückgetrieben : Panther, Löwe und Wölfin versperren ihm den weiteren Weg, er weicht zurück. Während Panther und Löwe Dante nur bedingt ängstigen, gleichwohl unüberwindlich erscheinen, vernichtet der Anblick der Wölfin in ihm alle neu erstarkte Hoffnung.151 Es ist in erster Linie dieses Tier, welches ihn in den nunmehr als Sündenwald zu verstehenden Forst zurücktreibt. Die Interpreten sehen in der Wölfin eine Allegorie der Habgier (wobei entsprechend der Hauptlaster der drei Lebensalter der Panther die Sinnenlust, der Löwe den Hochmut verkörpert).152 Die Habgier (avaritia)153 in Gestalt der Wölfin154 versperrt ihm den Weg zum bereits erfassten Ziel, da sie für die Unstillbarkeit des Gewinnstrebens steht, das den zur Umkehr Bereiten somit blockiert, ihn in die Ausweglosigkeit hinein zu fesseln versucht. Wollust, Stolz und Habgier sind die von ihm selbst erkannten Schwächen seines Lebens. Sein Drang aber, zu viel erreichen zu wollen, die unstillbare Gier nach immer mehr, zwingt ihn letztlich (wenngleich auch schmerzhaft), sich angesichts der in Ewigkeit Gescheiterten in Selbstbescheidung zu üben.

      Erkennen und Eingestehen eigener Schuld durch die Begegnung mit den drei Tieren sind Voraussetzung für Sühne und Läuterung, allerdings bedarf es zur Sühne auch der beratenden, begleitenden und fürsprechenden Mithilfe. Dante exkulpiert sich nicht selbst, er wird geleitet und schließlich mit Hilfe der Gnade Gottes entsühnt, die Absolution wird ihm geschenkt. Zunächst begegnet er daher Vergil, seinem Lehrer in Fragen der natürlichen Gotteserkenntnis, der ihn auf diesem Weg begleitet.

       2.4 Die Hilfe von oben : Vergil und Beatrice

       2.4.1 Die natürliche Gotteserkenntnis als Beginn der Bewegung zum Zielgrund des eigenen Lebens (Vergil) 155

      Von Kleinmut übermannt, von den Tieren zurückgedrängt in die dunkle Wirrnis des Sündenwaldes, erblickt Dante einen Mann – nicht wissend, ob er Mensch (uomo) oder Schatten (ombra) ist – und ruft ihm in seiner Bedrängnis zu : Miserere di me156. Nachdem Vergil sich zu erkennen gibt und den Verirrten nach seinem Säumen befragt, preist ihn Dante als seinen Meister und sein dichterisches Vorbild157, worauf der Dichter der Aeneis ihm kundtut, er müsse – um dem alles vernichtenden Tier (der niemals gesättigten und alles verschlingenden Habgier) zu entgehen – einen anderen Weg einschlagen. In die Ewigkeit eingegangen vermag er den Verirrten (durch die Hölle und den Läuterungsberg hinauf) bis auf die Höhe des irdischen Paradieses zu geleiten (Purg. XXVIII), wo Beatrice sich seiner als Geleit und Fürsprecherin annehmen wird :

      »Dort wirst du die Verzweiflungsschreie hören

      Und sehn die alten schmerzenvollen Geister,

      Die alle ihren zweiten Tod beklagen.

      Und sehen wirst du, die zufrieden wandeln

      Im Feuer, weil sie noch die Hoffnung haben,

      Wann immer, zu den Seligen zu kommen.

      Wenn du zu diesen dann empor willst steigen,

      Kommt eine Seele, die dich würdiger führet,

      Sie laß ich zum Geleit dir, wenn ich scheide«.158

      Vergil führt Dante nur bis zur Spitze des Läuterungsberges, wo dieser nach erfolgter Reinigung (Absolution) Beatrice wiedersieht, deren Anblick er so lange vermisste und die ihm nun zur Führerin in die Seligkeit der Himmel wird. Der antike Dichter steht hierbei für die auf die Offenbarung hinführende natürliche Gotteserkenntnis.159 Obgleich Vergil nicht einfach als Personifikation der Philosophie angesehen werden kann, übernimmt er dennoch deren Rolle als Zuarbeiterin theologischer Wahrheitskunde, da nach Dante die Dichtung der vornehmste Ausdruck der Gottsuche des Menschen ist (und Vergil ihm darin Vorbild und Meister ist). Die philosophischen, offenbarungsunabhängigen Betrachtungen Vergils in Infernum (in welchem theologische Fragen kaum eine Rolle spielen und auch nicht durch den Führer beantwortet werden können, vielmehr stehen die drastisch-plastische Darstellungskraft der ewigen Verdammungsstrafen und die entsprechenden Einzelschicksale im Vordergrund) und Purgatorium (wo Vergil immer mehr in den Hintergrund tritt und gerade in den zentralen Gesängen XVII und XVIII auf Beatrice verweist, die Dante vollends in das Wesensgeheimnis der Liebe einführen wird) sind vorläufig, insofern sie die Begegnung mit der theologisch-mystischen Gnadenerhellung, Beatrice, vorbereiten.160

       2.4.2 Die übernatürliche Gotteserkenntnis als Gnadenbeistand der eigenen Sehnsuchtsbewältigung (Beatrice 161 )

      Im zweiten Gesang des Infernums162 hegt Dante Zweifel, ob er würdig zu geratner Reise, da er sich weder mit Aeneas163 noch Paulus164 vergleichen könne.165 Der Mutlosigkeit166 (Feigheit) Dantes entgegentretend berichtet Vergil ihm von der Intervention Beatricens :

      »[…] rief mich eine Frau so schön und selig […] :

      ›Mein Freund […]

      Ist an dem öden Strande so behindert

      Auf seinem Weg, daß er aus Furcht sich wendet […]

      Nun geh und hilf […]

      Ihm, daß ich selbst darob getröstet werde.

      Ich bin Beatrice (Io son Beatrice), die dich zu ihm sendet.

      Ich komm von dort, wohin ich gerne kehre.

      Die Liebe trieb mich (Amor mi mosse), daß ich reden mußte.‹«167

      Auf Fürsprache und Weisung Mariens (die »dort oben bricht des Richterspruches Härte«168) und der hl. Lucia sucht Beatrice (die aufgrund ihrer Seligkeit daran keinen Schaden nehmen kann)169 Vergil im Limbus der Hölle auf :

      »Nun wird dich dein Getreuer brauchen,

      Und ich will deiner Hilfe ihn empfehlen. […]

      Beatrice, wahre Gottesfreude,

      Was hilfst du dem nicht, der dich so sehr liebte,

      Daß er sich deinetwegen ausgezeichnet ?«170

      Auf die Fürsprache dieser drei Frauen macht sich Vergil auf, Dante ins Jenseits zu führen.

      H. Gmelin (u. a.) ordnet sie gnadentheologisch als Personifikationen der gratia praeveniens (Maria), der gratia illuminans (Lucia) und der gratia cooperans (Beatrice) zu.171 Diese aus der Gnadenlehre entnommene Unterscheidung gibt in ihrem interpretativen Gehalt Aufschluss bzgl. der theologischen Bestimmung des rechtfertigenden Geschehens ; unableitbar, ungeschuldet und geheimnisvoll gewährt der Schöpfer und Erlöser die Gnade, welche erst den Durchgang durch die Hölle, den Aufstieg auf die Spitze des Läuterungsberges und den Flug durch die Himmel ermöglicht.

      Die

Скачать книгу