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synchrone Emergenz konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen den Eigenschaften eines Systems und den Eigenschaften seiner Bestandteile und deren Anordnung. Hierbei wird die schwache Emergenz um die Irreduzibilitätsthese verstärkt. Die synchrone Emergenz ist nicht mehr mit einem reduktiven Physikalismus verträglich.177

      Unter den Britischen Emergentisten sieht Stephan C. D. Broad als Vertreter einer synchronen Emergenztheorie an.178 Die diachrone Emergenz hingegen berücksichtigt die zeitliche Dimension und verstärkt die schwache Emergenz um die Neuartigkeitsthese. In der Neuartigkeitsthese kommt der evolutionäre Charakter der Entwicklung von emergenten Phänomenen zum Tragen. In der synchronen Emergenz ist dies nicht der Fall, da es irreduzible Eigenschaften auch in einem nicht-evolutiven Universum geben kann. Durch das Hinzufügen der Neuartigkeitsthese erhält man aber nur eine schwache diachrone Emergenz, die mit einem reduktiven Physikalismus verträglich bleibt. So wird die diachrone Emergenz in stärkeren Varianten um die These der prinzipiellen Unvorhersagbarkeit der neuartigen Phänomene erweitert. Die Unvorhersagbarkeitsthese ist dabei – entsprechend ihrer Definition im Merkmal der Unvorhersagbarkeit179 – in zwei Varianten von Interesse: In der ersten Variante beruht die prinzipielle Unvorhersagbarkeit einer emergenten Eigenschaft auf ihrer Irreduzibilität, in der zweiten Variante ist die Struktur des Systems, das die neue Eigenschaft ausbildet, prinzipiell unvorhersagbar. Der evolutionär orientierte diachrone Emergentismus der zwanziger Jahre ist im Sinne der ersten Variante als eine Verbindung der Neuartigkeitsthese mit dem synchronen Emergentismus zu verstehen: Die Unvorhersagbarkeitsthese erhält man dabei als Folge der Neuartigkeitsthese und der Irreduzibilitätsthese. Der daraus entstehende starke diachrone Emergentismus ist nicht mehr mit einem reduktiven Physikalismus verträglich. Den starken diachronen Emergentismus hält Stephan für die zeitgenössische Betrachtung des Emergenzbegriffs für eher uninteressant, da hier der synchrone Emergentismus nur um die „theoretisch belanglose“180 Neuartigkeitsthese ergänzt würde. Er lenkt sein Augenmerk daher auf die zweite Variante der Unvorhersagbarkeitsthese: Ist die Struktur eines neuartigen Systems prinzipiell nicht vorhersagbar, so auch nicht die – aus dessen Systembestandteilen sich ausbildenden – neuen emergenten Eigenschaften. Zu dieser Form der diachronen Emergenz, die Stephan als diachrone Strukturemergenz bezeichnet, braucht es keine synchrone Emergenz, da es möglich ist, dass die Struktur eines Systems prinzipiell unvorhersagbar ist, obwohl die Eigenschaften des Systems im Prinzip aus den Eigenschaften seiner Bestandteile und deren Anordnung deduziert werden können. Die diachrone Strukturemergenz ist daher grundsätzlich mit einem reduktiven Physikalismus vereinbar. Nicht mit einem reduktiven Physikalismus vereinbar ist hingegen der starke diachrone Strukturemergentismus, den man erhält, wenn einer diachron emergenten Struktur zusätzlich noch die Irreduzibilitätsthese zukommt, man also den diachronen Strukturemergentismus und den synchronen Emergentismus miteinander verbindet.181

      Varianten der Emergenz im Modell II182:

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      Der diachrone Emergentismus lässt sich aufgrund der zeitlichen Komponente nur auf solche Emergenztheorien anwenden, die evolutionär ausgerichtet sind. Hier kommen im Britischen Emergentismus sowohl Samuel Alexander als auch Conwy Lloyd Morgan in Betracht. Lloyd Morgan ist dabei ohne Schwierigkeiten als starker diachroner Emergentist einzuordnen. Folgt man der Stephanschen Lesart der Emergenz bei Alexander, in der die Überzeugung zum Ausdruck kommt, dieser habe emergente Qualitäten als im ontologischen Sinne neu einführen wollen, so ergeben sich zwei Möglichkeiten der Einordnung Alexanders unter die Varianten der Emergenz im zweiten Modell: Entweder, man geht vom Originalzitat aus, in welchem Alexander die Reduzierbarkeit der emergenten Qualitäten postuliert. In diesem Fall muss Alexander als schwacher diachroner Emergentist charakterisiert werden. Oder aber, man folgt dem Vorschlag Stephans, nimmt somit von der uneingeschränkten Form des Alexanderschen Zitats Abstand und geht mithin von der Nicht-Reduzierbarkeit emergenter Qualitäten aus. Dann lässt sich diese Modifikation des Alexanderschen Emergenzbegriffs als starke diachrone Emergenz im Sinne des zweiten Modells charakterisieren. Bei Stephan findet sich jedoch kein expliziter Hinweis darauf, wie er die Einteilung in Bezug auf diese zwei Autoren vorgenommen hat. Sein Modell scheint aber dem ersten Modell gegenüber geeigneter zu sein, da es divergierenden Merkmalen in den verschiedenen Emergenzkonzeptionen (und ihren verschiedenen Lesarten) besser Rechnung tragen kann, wie am Beispiel der Diskussion um den Alexanderschen Emergenzbegriff zu ersehen.

      4.6 Der Niedergang des Britischen Emergentismus

      Die Reaktion der philosophischen Fachwelt auf die Werke der Britischen Emergentisten – mithin die dritte Phase des Emergentismus – ließ nicht lange auf sich warten. Wie Stephan schreibt, wurden die Theorien der Britischen Emergentisten bereits in den zwanziger Jahren auf mehreren Symposien vorgestellt und diskutiert, so auf dem „Sixth International Congress of Philosophy“, welcher vom 13.-17. September 1926 an der Harvard University stattfand.183 „The Aristotelian Society“ befasste sich sogar in fünf Symposien mit den Arbeiten C.D. Broads, wovon besonders das Symposium „The Notion of Emergence“ sich mit seiner Theorie der Emergenz beschäftigte.184 Zudem fand der Britische Emergentismus in zahlreichen philosophischen Fachzeitschriften Beachtung. Die Beschäftigung in Büchern und Aufsätzen mit den Hauptwerken der Britischen Emergentisten dauerte bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein an. Die Vielzahl der Kritikpunkte am Britischen Emergentismus, die sich über diesen Zeitraum ergeben haben, hat Stephan systematisch in mehrere Gruppen von Einwänden geordnet und diskutiert: Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die große Mehrzahl der – in der Folge der Veröffentlichung der klassischen Werke des Emergentismus erhobenen – Einwände zurückgewiesen werden kann.185 Die einzige Gruppe von Einwänden, die hierbei – und dies besonders aus der Perspektive der Diskussion um die Emergenz in der zeitgenössischen Philosophie – vielleicht eine Ausnahme darstellt, richtet ihre Kritik auf das Merkmal der abwärts gerichteten Verursachung: Sie stellt infrage, dass emergenten Eigenschaften wirklich eine kausale Rolle zugesprochen werden kann bzw. bezweifelt, dass sich ein Mechanismus für die abwärts gerichtete Verursachung finden und beschreiben lässt. Diese Gruppe von Einwänden lässt sich jedoch geeigneter aus der Perspektive neuerer Arbeiten zum Emergentismus diskutieren, so dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen wird.186

      Wenn aber die Mehrzahl der Kritikpunkte am Britischen Emergentismus entkräftet werden kann, stellt sich die Frage, warum der Britische Emergentismus, so vielbeachtet er war, schon Ende der 20er Jahre aus dem Fokus der Philosophie verschwand und bis in die 70er Jahre hinein von keinem Autor mehr ernsthaft vertreten, sondern nur kritisiert wurde. Hierfür existieren mehrere Erklärungsversuche: So hat Brian McLaughlin die Ansicht vertreten, dass der Niedergang des Britischen Emergentismus vor allem mit dem Aufkommen der Quantenphysik verknüpft gewesen sei:

      „The explanation of chemical phenomena is generally touted as one of the greatest achievements of quantum mechanics. It took a little time for the dust to settle after the initial quantum mechanical revolution, of course, and for its influence to spread to biology. But once it did, it was all quickly downhill for the Emergentist tradition. It is not at all surprising that Broad’s The Mind and Its Place in Nature was the last truly major work in the British Emergentist tradition. Its publication in 1925 was followed soon after by the advent of the quantum mechanical revolution.“187

      McLaughlin sieht den Niedergang des Britischen Emergentismus dabei als ‚Wachablösung‘ in der Erklärung bestimmter Eigenschaften und Gesetze in der Chemie und in der Biologie durch die Quantenmechanik:

      „Prior to that [quantum mechanical] revolution, Emergentism’s main doctrines appeared to many to be exciting empirical hypotheses […]. Emergentism was mainly inspired by the dramatic advances in chemistry and biology in the nineteenth century that made psychologically salient the conceptual chasms between physics and chemistry and between chemistry and biology, and by the failures of various attempts to build conceptual bridges to cross those chasms.“188

      Jaegwon Kim hingegen sieht den Hauptgrund für den Niedergang des Britischen Emergentismus im Aufkommen der philosophischen Strömung des Logischen Positivismus:

      „In

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