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diachrone Determiniertheit wird der Umstand bezeichnet, dass zwei Systeme, die sich im gleichen Ausgangszustand befinden, unter gleichen Bedingungen auch genau gleiche Strukturen ausbilden. Es ist somit nicht vorstellbar, dass in zwei Welten, in denen der gleiche Ausgangszustand und gleiche Naturgesetze herrschen, aus zwei Systemen unterschiedliche Strukturen hervorgehen.121 Diesem Verständnis zufolge sind emergente Eigenschaften in ihrer Ausbildung nicht beliebig, sondern Ausdruck einer ‚Geordnetheit‘ in der natürlichen Entwicklung. Lloyd Morgan umschreibt dies folgendermaßen:

      „Is emergent evolution itself the expression of an orderly and progressive development? If so (and such is my contention), then emergence itself takes rank, as Mill and Lewes also contended, among the "laws of nature." […] May we, then, say: […] That, if there be a natural plan of emergence, then every effect is strictly determinate in accordance with the nature of that plan; […].“122

      Nach Lloyd Morgan ist die Ausbildung emergenter Eigenschaften determiniert im Sinne eines Plans der Natur („natural plan of emergence“123). Dieser Plan bezeichnet nichts anderes als die Determiniertheit emergenter Prozesse im Rahmen der Evolution. Hierbei muss jedoch Erwähnung finden, dass Lloyd Morgan wenige Jahre später seine Meinung zur Determiniertheit emergenter Prozesse radikal änderte:124

      „An argument for freedom is that no choice is predetermined. The argument for emergence is that no emergent is predetermined. Freedom and emergence have at least this in common. They stand for indeterminism when and where they obtain.“125

       4.4.4.2 Synchrone Determiniertheit

      Synchrone Determiniertheit bedeutet, dass die Eigenschaften der Teile eines Systems (Mikroeigenschaften) die Eigenschaften eines Systems als Ganzes (Makroeigenschaften) bestimmen. Die Eigenschaften und Verhaltensdispositionen eines Systems sind also durch seine Mikrostruktur determiniert.126 Zwei Systeme, die sich in den Mikroeigenschaften nicht unterscheiden, unterscheiden sich auch nicht in den Makroeigenschaften. Verändern sich aber die Mikroeigenschaften, verändern sich folglich auch die Makroeigenschaften. Hier zeigt sich noch einmal, dass emergente Eigenschaften nicht neue, nicht-physische Entitäten sind, sondern im Sinne des emergentistischen Naturalismus aus natürlichen Bestandteilen und deren (Neu-)Kombinationen bestehen.127

      Der Begriff der synchronen Determiniertheit ist auch in Bezug auf das Merkmal des Naturalismus von Interesse, in welchem Stephan anführt, dass der schwächere Naturalismus der Britischen Emergentisten nicht von einer Reduzierbarkeit mentaler Eigenschaften, sondern von ihrer Supervenienz über physischen Eigenschaften ausgeht. Um dies zu erläutern, ist eine kurze Betrachtung der möglichen Verwendung des Begriffs der Supervenienz im Zusammenhang mit dem Britischen Emergentismus erforderlich: Der Begriff ‚supervenient‘ wird nur von Lloyd Morgan verwendet, doch mehr als sprachliche Umschreibung für ‚etwas Zusätzliches‘, denn als philosophischer Fachbegriff. Dies wird exemplarisch an folgenden Stellen deutlich:

      „[W]hat is supervenient at any emergent stage of evolutionary progress is a new kind of relatedness […].“128

      „Consciousness as supervenient is a late product of emergent evolution.“129

      Die Grundidee eines philosophisch gehaltvollen Supervenienzbegriffs scheint zunächst der Determiniertheit der Makro- durch die Mikrostruktur im Merkmal der synchronen Determiniertheit bei Stephan sehr ähnlich zu sein. Supervenienz bedeutet in einer – vor dem Hintergrund der vielfältigen modernen, kontrovers diskutierten Supervenienzbegriffe – neutralen Formulierung: Eigenschaft A superveniert genau dann über Eigenschaft B, wenn es nicht möglich ist, A zu ändern, ohne B zu ändern. Supervenienz in diesem Sinne scheint bei den Britischen Emergentisten nicht nur dazu geeignet zu sein, den emergentistischen Naturalismusbegriff zu sichern, sondern sich zudem auch implizit aus ihren Betrachtungen zu emergenten Phänomenen zu ergeben. Denn durch die Annahme von Supervenienz lässt sich die Relation zwischen der supervenienten (emergenten) und der subvenienten (physischen) Ebene auf einfache Weise ausdrücken. Dies ist ohne einen solchen Begriff nicht möglich, da emergente Eigenschaften aufgrund des Umstands, dass sie nicht-reduzierbar130 sind, andernfalls nicht auf die sie ausbildenden physischen Eigenschaften bezogen werden können. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen lässt sich eine Definition der Supervenienz emergenter Eigenschaften bei den Britischen Emergentisten formulieren: Emergente Eigenschaften supervenieren über den sie konstituierenden physischen Eigenschaften, ohne dabei auf sie reduzierbar zu sein.

      Die Supervenienz emergenter Eigenschaften über physischen Eigenschaften scheint zunächst aus zwei Gründen für Emergenztheorien geeignet: Einmal, da sie einen emergentistischen Naturalismus im Sinne eines schwachen Naturalismus garantieren kann, in dessen Rahmen emergente Phänomene nicht gemäß eines starken Naturalismus naturalisierbar und damit reduzierbar sind. Zweitens, da sich über die Supervenienz emergenter Eigenschaften die Relation zwischen der emergenten und der basalen Ebene herstellen lässt, was aufgrund der Irreduzibilität emergenter Eigenschaften andernfalls nicht möglich wäre. Auch wenn der Begriff der Supervenienz für diese Aspekte zunächst ausreicht, macht Stephan auf eine Problematik aufmerksam, die mit der Supervenienzthese verbunden ist: So ist der Begriff der Supervenienz schwächer als jener der synchronen Determiniertheit.131 Er verweist hierbei auf Thomas R. Grimes, der herausgearbeitet hat, dass der Begriff der Supervenienz nicht die Abhängigkeit der Systemeigenschaften von der Mikrostruktur des Systems, sondern bloß ihre Kovarianz behauptet.132 Der stärkere Begriff der Abhängigkeit der emergenten von der physischen Ebene entspricht jedoch mehr als die Behauptung ihrer Kovarianz der Konzeption der Britischen Emergentisten. Dies lässt sich am nachdrücklichsten bei Broad, wenn auch hier in funktionalistischer Terminologie, ersehen:

      „The properties of compounds133 […] are doubtless functions of their structure and the motion of their atoms, and of the peculiar properties of the atoms themselves.“134

      Daraus folgt, dass in Bezug auf die Abhängigkeitsbeziehung zwischen emergenter und physischer Ebene von der synchronen Determiniertheit emergenter Eigenschaften – und nicht von ihrer Supervenienz – ausgegangen werden muss. Und auch im Fall der Sicherung des emergentistischen Naturalismus sollte, auch wenn hier die Behauptung der Supervenienz emergenter über physischen Eigenschaften ausreicht, der stärkere Begriff der synchronen Determiniertheit emergenter Eigenschaften verwendet werden. Denn es ist wenig sinnvoll, für den Naturalismus einen schwachen Begriff (Supervenienz) und in Bezug auf die Abhängigkeitsbeziehung einen starken Begriff (synchrone Determiniertheit) zu verwenden, wenn die synchrone Determiniertheit beide Fälle einschließen und den einen davon in geeigneterer Weise erfassen kann.

      4.4.5 Nicht-Deduzierbarkeit und Irreduzibilität

      Obwohl die Britischen Emergentisten aus ihrem naturalistischen Verständnis heraus auf ontologischer Ebene nur physische Bestandteile annehmen und zudem Gesetze zulassen, welche die mentale und die physische Ebene miteinander verbinden, gelten für sie emergente Phänomene als nicht-reduzierbar. Der Grund hierfür liegt darin, dass selbst eine vollständige Kenntnis der Bestandteile eines komplexen Systems keinerlei Aufschluss über seine emergenten Eigenschaften geben kann, die emergenten Eigenschaften also nicht-deduzierbar sind.135 Hierzu das bereits bekannte Zitat Broads:136

      „Put in abstract terms the emergent theory asserts that there are certain wholes, composed (say) of constituents A, B, and C in a relation R to each other; that all wholes composed of constituents of the same kind as A, B, and C in relations of the same kind as R have certain characteristic properties; that A, B, and C are capable of occurring in other kinds of complex where the relation is not of the same kind as R; and that the characteristic properties of the whole R(A, B, C) cannot, even in theory, be deduced from the most complete knowledge of the properties of A, B, and C in isolation or in other wholes which are not of the form R(A, B, C).“137

      Nach Stephan gibt es zwei verschiedene Formen der Irreduzibilität im Britischen Emergentismus: „Eine systemische Eigenschaft ist irreduzibel, wenn sie (i) weder mikro- noch makroskopisch

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