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irreduziblen systemischen Eigenschaften, die unter Umständen gar nicht mehr dem physischen Bereich angehören, zugesprochen würde.163 Die – im Hinblick auf die abwärts gerichtete Verursachung – wichtige Frage, wie es die emergente Ebene anstellt, kausal auf die ihr zugrunde liegenden physischen Bestandteile Einfluss zu nehmen, wird von keinem der Britischen Emergentisten beantwortet. Es wird nur postuliert, dass die emergente Ebene kausal wirksam ist, das ‚Wie‘ findet aber keine Erklärung.164

      4.5 Varianten der Emergenz

      Zur Unterscheidung emergentistischer Theorien gibt es in der philosophischen Literatur verschiedene Modelle, von denen sich bislang keines hat endgültig durchsetzen können. Am gebräuchlichsten scheint in Aufsätzen und Verweisen zum Thema die Einteilung in schwache (epistemologische) Emergenz und starke (ontologische) Emergenz zu sein. Wie jedoch bereits angemerkt, findet sich die ausführlichste und am umfassendsten angelegte systematische Behandlung dieses Themas bei Stephan, der stattdessen in schwache Emergenz, synchrone Emergenz und diachrone Emergenz sowie verschiedene Unterformen dieser unterscheidet. Entsprechend gilt es, die beiden Modelle zu untersuchen und zu diskutieren, welches von ihnen für die Diskussion um den Emergenzbegriff besser geeignet ist.

      4.5.1 Modell I: Schwache und starke Emergenz

      Für die Unterscheidung emergentistischer Konzeptionen in solche der schwachen und solche der starken Emergenz spricht sich in der modernen Literatur besonders Philip Clayton aus:

      „Although the particular labels and formulations vary widely, commentators are widely agreed that twentieth-century emergence theories fall into two broad categories. These are best described as ‘weak’ and ‘strong’ emergence […].”165

      Die Unterscheidung in starke und schwache Emergenz ist dabei in einem konzeptionellen, nicht aber in einem qualitativen Sinn gemeint. Während nach Clayton gemäß diesem Modell Vertreter einer starken Emergenztheorie davon ausgehen, dass in der Evolution emergente Phänomene entstehen, die ontologisch neu sind und sich durch spezifische eigene Gesetze und Kräfte auszeichnen, glauben schwache Emergentisten, dass die hier involvierten Kausalprozesse weiterhin zum physischen Bereich gehören. Dass man in den emergenten Phänomenen nicht Manifestationen derselben fundamentalen Kausalprozesse erkennt, liegt ihrer Meinung nach in der eigenen mangelnden Erkenntnis begründet, nicht aber darin, dass hier ontologisch etwas Neues vorliegt. Aus diesem Grund wird die schwache Emergenz auch als epistemologische Emergenz166, die starke Emergenz hingegen als ontologische Emergenz bezeichnet. In einer schwachen Emergenztheorie ist das emergente Phänomen entsprechend prinzipiell auf seine Ursachen bzw. Bestandteile reduzierbar und kann somit nur auf der Beschreibungsebene als neu bezeichnet werden. Die schwache Emergenz ist daher mit einem reduktiven Physikalismus verträglich. Dies ist in einer starken Emergenztheorie anders, da die emergenten Phänomene hier auf der ontologischen Ebene neu und somit – ihren Bestandteilen gegenüber – irreduzibel sind.167 Clayton betrachtet dieser Definition entsprechend C. D. Broad und Conwy Lloyd Morgan als Vertreter eines starken Emergenzbegriffs, Samuel Alexander dagegen als schwachen Emergentisten.168 Clayton begründet seine Einstufung des Alexanderschen Emergenzbegriffs als einen solchen der schwachen Emergenz damit, dass Alexander – im Gegensatz zu Lloyd Morgan und Broad – keine emergenten Entitäten im Sinne ontologisch neuer Entitäten postuliert habe.169 Die Frage, ob Alexander emergente Phänomene im ontologischen oder bloß formal im epistemischen (semantischen) Sinne eingeführt hat, erfordert eine nähere Untersuchung. Hierzu noch einmal das bereits bekannte Zitat Alexanders170:

      „The emergence of a new quality from any level of existence means that at that level there comes into being a certain constellation or collocation of the motions belonging to that level, and possessing the quality appropriate to it, and this collocation possesses a new quality distinctive of the higher complex.“171

      Clayton vertritt die Ansicht, dass hier keine neuen Entitäten postuliert würden, sondern nur der emergenten Natur der Realität („emergent nature of reality“172) Rechnung getragen werde, indem Erklärungen gesucht würden, die für jede neue Ebene der Komplexität in der Natur geeignet seien. Es möge dabei im Falle höherer, sehr komplexer Ebenen vielleicht manchmal so scheinen, als würden hier Qualitäten ausgebildet, die das Ergebnis von Ursachen höherer Ordnung im Sinne ontologisch neuer emergenter Entitäten seien. Letztendlich würde Alexander aber nur zum Ausdruck bringen wollen, dass die Qualitäten der Dinge im emergenten Sinne z.B. mentaler oder spiritueller werden würden, je höher man die Leiter der Emergenz hinaufschreitet, ihre Bestandteile und Ursachen aber nicht. Dass eine Qualität als emergent anzusehen ist, sei dabei – entsprechend der Definition der schwachen Emergenz – nur in einem formalen (semantischen bzw. epistemischen) Sinne gemeint. Denn sowohl die emergente Qualität als auch die Konstellation, zu welcher sie gehört, bestehen nur aus den bekannten (physischen) Bestandteilen und sind auch auf diese reduzierbar.173 Diese Interpretation scheint durch den weiteren Verlauf des Zitats von Alexander bestätigt zu werden:

      „The quality and the constellation to which it belongs are at once new and expressible without residue in terms of the processes proper to the level from which they emerge; […].“174

      Hier liegt ein klarer Fall von Reduzierbarkeit vor, da die emergente Qualität und die Konstellation, zu welcher sie gehört, restlos auf die (niedrigere) Ebene, aus welcher sie emergiert, reduzierbar sind.

      Im Gegensatz zu Clayton betont Stephan, dass Alexander Qualitäten nur dann als emergent auszeichnen wolle, wenn sie auch wirklich neue Qualitäten seien, und zwar in dem Sinne, dass sie neu sind im Vergleich zu den Eigenschaften der Teile, die die höhere Ebene ausbilden.175 Er betrachtet sie demnach nicht – wie Clayton – als im semantischen, sondern im ontologischen Sinne neu. In Stephans Lesart könnte man sie daher – auf das obige Modell bezogen – als in einem starken Sinne emergent betrachten, da die neuen Qualitäten hier als ontologisch neu angesehen werden, wäre da nicht der Umstand, dass Alexander sie gleichzeitig – entsprechend der Definition der schwachen Emergenz – für reduzierbar erklärt. Wie bereits beschrieben176, hat Stephan vorgeschlagen, von Alexanders Auffassung, dass die emergenten Qualitäten restlos in der Terminologie der niedrigeren Ebene beschreibbar sind, Abstand zu nehmen. Folgt man diesem Vorschlag, so ist Alexander gemäß dem ersten Modell der Varianten der Emergenz ein Vertreter eines starken Emergenzbegriffs. Folgt man Stephans Vorschlag jedoch nicht, so kann man hier zwar Qualitäten, die in der Stephanschen Lesart ontologisch neu, aber gemäß dem Originalzitat gleichzeitig reduzierbar sind, herauslesen. Der Widerspruch, der sich hieraus ergibt, nämlich zwischen ontologisch neuen Qualitäten, was eigentlich starker Emergenz entspricht, und deren Reduzierbarkeit, was wiederum auf schwache Emergenz hindeutet, lässt sich in den Begriffsdefinitionen dieses Modells nicht auflösen. Es wird daher zu untersuchen sein, ob die Definition der Varianten der Emergenz im Modell von Stephan besser mit diesem Widerspruch zurechtkommt.

      4.5.2 Modell II: Schwache, synchrone und diachrone Emergenz

      Stephan plädiert für die Einteilung in schwache, synchrone und diachrone Emergenz. Die Theorie der schwachen Emergenz ist bei Stephan durch drei Grundannahmen charakterisiert: Durch eine naturalistische Grundhaltung, die Annahme systemischer Eigenschaften und die synchrone Determiniertheit der systemischen Eigenschaften. Die schwache Emergenz ist auch bei Stephan mit einem zeitgenössischen reduktiven Physikalismus verträglich. In Bezug auf die obige Diskussion um Samuel Alexander ist hierbei interessant, dass Stephan anmerkt, die Herausarbeitung eines Begriffs der schwachen Emergenz sei zwar für die neuzeitliche Diskussion erforderlich, verlasse jedoch den historischen Rahmen, da sie von keinem der Britischen Emergentisten vertreten worden sei. Hierin kommt zum Ausdruck, dass er – wie bereits beschrieben – entgegen Clayton den Emergenzbegriff Alexanders nicht als einen solchen der schwachen Emergenz ansieht. Die schwache Emergenz lässt sich auf verschiedene Weise verstärken. Da die beiden Varianten, die Stephan daraus entwickelt, sich besonders dadurch unterscheiden, dass die Emergenz einmal vor einem zeitlichen Hintergrund betrachtet

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