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aus dem Verhalten ergibt, das jene Komponenten ‚isoliert‘ oder in anderen Konstellationen zeigen.“138

      Während für Broad die Irreduzibilität einer Eigenschaft das wesentliche Merkmal ihrer Emergenz ist, betonen die Theorien Alexanders und Lloyd Morgans die prinzipielle Unvorhersagbarkeit emergenter Eigenschaften.139

      4.4.6 Prinzipielle Unvorhersagbarkeit

      Die Nicht-Deduzierbarkeit und die Unvorhersagbarkeit einer emergenten Eigenschaft stehen in einem engen Zusammenhang miteinander: So ist eine systemische Eigenschaft, die irreduzibel ist, vor ihrem ersten Auftreten nicht vorhersagbar, und zwar im Prinzip nicht.140

      Im Rahmen der evolutionären Kosmologien von Alexander und Lloyd Morgan steht die Frage im Vordergrund, was in einem früheren Stadium der Entwicklung des Kosmos über die in der evolutionären Entwicklung entstehenden Systeme und ihre Eigenschaften im Prinzip vorhergesagt werden kann. Deshalb ist die Frage nach der Reduzierbarkeit von systemischen Eigenschaften hier weniger wichtig als die nach ihrer Vorhersagbarkeit.141 So schreibt Lloyd Morgan:

      „If it be asked: What is it that you claim to be emergent? – the brief reply is: Some new kind of relation. […] It may still be asked in what distinctive sense the relations are new. The reply is that their specific nature could not be predicted before they appear in the evidence, or prior to their occurrence.“142

      Broad hingegen geht in einer systematischen Untersuchung von den charakteristischen Eigenschaften der in unserer Welt befindlichen Systeme aus. Er untersucht dabei besonders, ob sich die charakteristischen Unterschiede im Verhalten chemischer, vitaler und mentaler Systeme reduzieren lassen oder ob sie irreduzibel sind. Daher steht für ihn die Frage nach der Reduzierbarkeit dieser Eigenschaften im Vordergrund.143 Doch auch er vertritt die Unvorhersagbarkeit emergenter Phänomene, wie sich am Beispiel des Verhaltens eines lebenden Organismus ersehen lässt:

      „And no amount of knowledge about how the constituents of a living body behave in isolation or in other and non-living wholes might suffice to enable us to predict the characteristic behaviour of a living organism.“144

      Aufgrund der starken Betonung des Merkmals der Unvorhersagbarkeit bei Alexander145, Lloyd Morgan146 und Broad147 soll es hier noch einmal mit Stephan in einer konkreten Definition wiedergegeben werden: „Eine systemische Eigenschaft ist vor ihrem erstmaligen Auftreten prinzipiell unvorhersagbar, (i) wenn sie irreduzibel ist; oder (ii) wenn die Struktur, die sie instantiiert, vor ihrem ersten Entstehen prinzipiell unvorhersagbar ist.“148

      4.4.7 Abwärts gerichtete Verursachung

      Das vielleicht kontroverseste Merkmal von Emergenztheorien ist die abwärts gerichtete Verursachung149. Um das Merkmal der abwärts gerichteten Verursachung postulieren zu können, muss man annehmen, dass emergente Phänomene zum kausal wirksamen Bereich der Welt gehören. So schreibt Lloyd Morgan:

      „That novelty itself is […] caught up in the web of causal nexus […].“150

      Dabei gilt, dass emergente Phänomene einen Platz im kausalen Netz der Welt einnehmen müssen. Würde man sie als kausal unwirksam ansehen, so wären sie Epiphänomene, da sie eine oder mehrere Ursachen, aber keine (kausale) Wirkung hätten. Die Existenz solcher Epiphänomene wäre äußerst rätselhaft. Da sie nichts bewirken, gäbe es keine evolutiven Gründe für ihre Entstehung und Erhaltung. Brüntrup fragt in diesem Zusammenhang, wie wir emergente Phänomene überhaupt erkennen könnten, wenn sie von keinerlei kausaler Rückwirkung auf die Welt wären. Schließlich hinterließen sie in diesem Fall keine nachvollziehbaren ‚Spuren‘ in der Welt. Emergente Phänomene müssten daher allein schon deshalb kausal wirksam sein, weil sonst ihre Realität selbst in Frage gestellt werden könnte. Denn real sein, schreibt Brüntrup, heißt kausal wirksam sein.151

      Das Merkmal der abwärts gerichteten Verursachung bei den Britischen Emergentisten besagt, dass die in der Evolution neu entstandenen Strukturen dann abwärts gerichtet kausal wirksam sind, „wenn sie das Verhalten der in ihnen vorkommenden Bestandteile derart mitbestimmen, daß es nicht mehr auf ihr Verhalten in weniger komplexen Systemen zurückgeführt werden kann“152. Explizit wird ein Konzept der abwärts gerichteten Verursachung nur von Lloyd Morgan vertreten. Während es bei Broad indirekt durch das Irreduzibilitätskriterium impliziert ist, ist abwärts gerichtete Verursachung in der Konzeption Alexanders ausgeschlossen. So nimmt Alexander an, dass neue Konstellationen und die in ihnen ablaufenden Prozesse sowohl der Existenzstufe, aus der sie entstammen, als auch der nächsthöheren Existenzstufe angehören, die durch ihre neuen Qualitäten erst begründet wird. Durch diese identitätstheoretische Annahme werden stufenübergreifende Kausalbeziehungen ausgeschlossen:153

      „[N]o brain process shall be understood to cause its corresponding mental process and no mental process its corresponding brain process. Let large letters denote the psychical and small ones the neural series. What we have then in fact is a series, Aa, Bb, Cc, etc., where some of the small letters may have no corresponding large letter at all. Now A does not cause a but is identical with it […].“154

      Lloyd Morgan hingegen vertritt nachdrücklich das Konzept einer abwärts gerichteten Verursachung. Für ihn sind es dabei allein die neuen Beziehungsgebilde („kinds of relatedness“155), nicht aber irgendwie geartete Kräfte („forces“156), denen der abwärts gerichtete kausale Einfluss zugesprochen werden kann:

      „Here someone may intervene and ask: Why this cumbrous and pedantic phraseology? Why relatedness? Why not this or that force as the cause of such and such change in what you call the manner of go of events? I seek only to avoid ambiguity. […] There is, […], some ambiguity in the word, "force." And this I seek to avoid by using the word "relatedness," which is meant to exclude the concept of "agency," or "activity," from any place in scientific interpretation.“157

      Lloyd Morgans Konzept der abwärts gerichteten Verursachung ist so zu verstehen, dass die neuen (emergenten) Beziehungsgebilde – wie Stephan es ausdrückt – „einen Unterschied für den Ablauf der Ereignisse auf der tieferen Stufe machen“158:

      „The go of physico-chemical events at the level of life is not the same as that which obtains at the level of materiality only; the go of organic events at the level of effective consciousness is not the same as that which obtains at the level of vitality only. I speak of this alteration in the manner of go at any given level as "dependent on" the new and emergent kind of relatedness which there supervenes in the course of emergent evolution. So long as the words are used in a purely naturalistic sense, one may say that the higher kinds of relatedness guide or control the go of lower-level events.“159

      Bei Broad ergibt sich die Möglichkeit einer abwärts gerichteten Verursachung implizit aus seiner Formulierung des Merkmals der Irreduzibilität: In Broads Definition ist eine neue Struktur dann irreduzibel, wenn sich das spezifische Verhalten ihrer Strukturkomponenten nicht aus dem Verhalten ergibt, das diese Komponenten in anderen Konstellationen zeigen:160

      „[S]ome part of the behaviour of the second order complex could be neither deduced nor suspected from a knowledge of the behaviour of its parts in other surroundings.“161

      Da sich hier das Verhalten, das die Komponenten zeigen, weder aus ihrer Anordnung ergibt noch auf das von ihnen in anderen Systemen gezeigte Verhalten zurückführen lässt, muss die neue Struktur einen kausalen Einfluss ausüben: Denn nur durch den abwärts gerichteten kausalen Einfluss, der nicht nachvollziehbar ist, wird der Umstand begreiflich, dass sich das Verhalten der Strukturbestandteile hier nicht aus ihrem Verhalten in anderen Konstellationen erklären lässt.162

      Das Konzept der abwärts gerichteten Verursachung wird von Lloyd Morgan und Broad in schwachen Formulierungen vertreten, da die abwärts gerichtete kausale Wirkmächtigkeit hier der Struktur des neuen Systems, also der spezifischen Anordnung der beteiligten Komponenten,

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