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Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner
Читать онлайн.Название Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
Год выпуска 0
isbn 9783532600627
Автор произведения Hans-Peter Hübner
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
5.Leitung als geistlicher und rechtlicher Dienst
Nach Artikel 5 KVerf ist in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern „Leitung der Kirche zugleich geistlich und rechtlicher Dienst“26. Damit ist zweierlei gesagt:
a)Die Kirche ist kein Herrschaftsverband weltlicher Art, sondern Christokratie27. In der Kirche, d. h. im Verhältnis der Kirchenmitglieder zueinander, gibt es weder ein „Oben“ noch ein „Unten“. Vielmehr stehen alle Kirchenmitglieder als Teilhaber am allgemeinen Priestertum der Getauften (sacerdotium) dienend unter dem Auftrag Jesu Christi, seine frohe Botschaft in der Welt zu bezeugen.
b)In der Kirche hat jede leitende Handlung unabhängig davon, ob sie auf der Ebene der Kirchengemeinden, der Dekanatsbezirke oder der Landeskirche selbst erfolgt, zugleich eine geistliche und eine rechtliche Dimension. So geschieht die öffentliche Verkündigung von Gottes Wort schon insofern in einem rechtlichen Rahmen als sie nach Art. 14 CA einer ordnungsgemäßen Berufung bedarf, die kirchenrechtlich zu ordnen ist. Umgekehrt darf keine der kirchenrechtlichen Bestimmungen und keine Vollzugshandlung im Bereich der Kirche „wider das Evangelium“ sein (Art. 28 CA). Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Kirchenkampfes im Dritten Reich ist in der auf der Barmer Bekenntnissynode des Jahres 1934 verabschiedeten „Erklärung zur Rechtslage der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche“ formuliert, dass „in der Kirche eine Scheidung der äußeren Ordnung vom Bekenntnis nicht möglich“ ist28. Gleichwohl ist es, um die nach evangelischem Verständnis unterschiedliche rechtstheologische Legitimation der einzelnen Funktionen kirchenleitenden Handelns erfassen zu können, hilfreich, zwischen „geistlicher“ und „äußerer“ Kirchenleitung zu differenzieren.29
Dabei gehören zur „geistlichen Kirchenleitung“ die dem Amt der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung (ministerium verbi divini) zugeordneten, in Art. 28 CA aufgezählten Funktionen der Predigt, der Sakramentsverwaltung, der Absolution und der Beurteilung der Lehre. Ausschließlich diese sind gemeint, wenn von den Reformatoren oder in den Bekenntnisschriften (z.B. in Art. 14 CA) der Begriff „Kirchenregiment“ gebraucht wird. Das Kirchenregiment beruht nur insoweit auf göttlichem Recht, als es um die Ausübung des öffentlichen Predigtamtes geht. „Soweit nun die Bischöfe sonst noch Macht- oder Rechtsprechung in anderen Angelegenheiten ausüben, tun sie dies kraft menschlichen Rechts (Art. 28 CA).30 Geistliche Kirchenleitung ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass jede Art von Kirchenleitung, die durch Träger des öffentlichen Predigtamtes ausgeübt wird, darunter fiele; die Begriffe „geistlicher Stand“ und „geistliche Kirchenleitung“ sind keineswegs identisch.31
Zur geistlichen Kirchenleitung tritt vielmehr der weitere Bereich der „äußeren Kirchenleitung“ hinzu. Hierunter ist der Bereich der Kirchenleitung zu verstehen, der dazu dient, den göttlichen Auftrag der Kirche zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung zu ermöglichen, zu erleichtern und zu fördern. Deshalb hat sie alles zu unterlassen, was der Verwirklichung des göttlichen Auftrags entgegensteht oder ihn hindern könnte. Für die äußere Kirchenleitung bestehen keine Vorgaben nach göttlichem Recht. Dieser Bereich ist vielmehr ganz der menschlichen Rechtsetzung anheimgegeben; entscheidend ist nur, ob die getroffenen Regelungen ihrem Sinn und Zweck entsprechen, nämlich der Verwirklichung des Auftrages der Kirche in der Welt zu dienen.
Die Angelegenheiten der „äußeren Kirchenleitung“ sind freilich in unterschiedlicher Intensität auf die „geistliche Kirchenleitung“ bezogen. Bei den klassischen bischöflichen Funktionen der inspectio, der visitatio und der ordinatio, bei der Gestaltung von Gottesdienstordnungen oder bei der Pfarrstellenbesetzung ist dieser Bezug ganz erheblich stärker ausgeprägt als etwa beim kirchlichen Finanz- oder Bauwesen. Entsprechend dem Grad ihrer Nähe zum Auftrag der Kirche werden deshalb Angelegenheiten im Bereich der „äußeren Kirchenleitung“ auf Ordinierte und Angehörige anderer Berufe übertragen.32
6.Dienst- und Solidargemeinschaft der kirchlichen Ebenen
Eine weitere zentrale Problemstellung des Verfassungsrechts betrifft das Verhältnis von Einzelgemeinde und Gesamtkirche, aus heutiger Sicht entsprechend auch das Verhältnis von Einzelgemeinde und der „mittleren Ebene“ des Dekanatsbezirkes:
Für die Vertreter des sog. Gemeindeprinzips (z. B. Adolf v. Scheurl, Rudolph Sohm) kam kirchliche Rechtshoheit allein der Einzelgemeinde zu, da diese der Ort ist, an dem primär das Wort verkündigt und die Sakramente verwaltet werden und an dem sich vorrangig im eigentlichen, geistlichen Sinne Kirche ereignet. Zusammenschlüsse von Kirchengemeinden können danach nur lockere Zweckverbände sein, die den Gemeinden wohl Dienstleistungen erbringen können, aber keine geistlichen Leitungs- und Aufsichtsbefugnisse über diese haben.
Demgegenüber sahen die Vertreter des sog. Kirchenprinzips (z. B. Karl Rieker) in den Einzelgemeinden lediglich Verwaltungsbezirke einer umfassenderen kirchlichen Einheit. Begründet wurde dies damit, dass in der geschichtlichen Entwicklung sowohl der Alten Kirche als auch der Reformationskirchen die Landeskirche zeitlich und begrifflich der Einzelgemeinde vorangegangen sei und sich die Kirchengemeinde in ihrer heutigen Struktur erst im 19. Jahrhundert aus der zuvor parochial verfassten Gesamtkirche herausgebildet habe.
Heute hat diese Streitfrage aus dem 19. Jahrhundert ihre Bedeutung verloren, weil allgemein anerkannt ist, dass (Kirchen-)Gemeinde nicht ohne Kirche und Kirche nicht ohne (Kirchen-)Gemeinde sein kann.33 Deutlich ist auch, dass sich eine Kirchengemeinde nicht isoliert verstehen darf, wenn sie nicht zur Sekte mutieren will, sondern sie sich als Teil der umfassenden Weltchristenheit (ecclesia universalis) verstehen muss, die sich in zahlreichen verfassten Landeskirchen darstellt (ecclesiae particulares), die ihrerseits in ökumenischer Gemeinschaft stehen.34
So ist das Verhältnis von Kirchengemeinden und Landeskirche weder durch Zentralismus noch durch Kongregationalismus beschrieben, sondern vielmehr durch die gemeinsame Verantwortung für Erfüllung des (Kirchen-)Gemeinden und (Gesamt-)Kirche gegebenen Auftrags, welche sie zu einer gesamtkirchlichen Dienst- und Solidargemeinschaft verbindet. In der Stärkung dieses Bewusstseins kommt den Dekanatsbezirken als mittlerer und vermittelnder Ebene eine wesentliche Bedeutung zu. Auf dieser heute allgemein anerkannten Grundlage können das Maß der Eigenverantwortung der Kirchengemeinden und der Grad ihrer Einbindung in die Landeskirche aber durchaus recht unterschiedlich geordnet sein, wie die verschiedenen landeskirchlichen Regelungen z.B. im Pfarrstellenbesetzungsrecht, zur landeskirchlichen Aufsicht über die Gemeinden und über die Stellung der Kirchengemeinden im gesamtkirchlichen Finanzsystem zeigen.